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# taz.de -- Kolumne Der Rote Faden: Shadowrun mit Axel Springer
> In den Schatten schreien die Süchtigen nach Stoff. Die Linkspartei hätte
> sie sich böser nicht ausdenken können, die Zukunft.
Bild: Eine Zukunft, die sich die Linkspartei nicht hätte schlimmer ausdenken k…
Schüsse fallen, Neonlichter flackern, schmierige Läden verkaufen Organe,
und in den Schatten schreien die Süchtigen nach Stoff. Die Linkspartei
hätte sie sich böser nicht ausdenken können, die Zukunft. Und die
Kapitalisten die Gegenwart nicht schöner. „Shadowrun Returns“ ist ein
Computerspiel, das eine postmoderne diktatorische Gesellschaft in dreißig,
vierzig Jahren zeigt. Und es war schon ein kommerzieller Erfolg bevor es am
Donnerstag zu kaufen war. Weltweit wurden 2 Millionen Dollar für seine
Produktion gesammelt.
Es ist das erste millionenschwere Spiel, das per Crowdfunding in die Welt
kam. Mit seinem leichten Hang zur Apokalypse hat es etwas tazziges: Staaten
sind nur noch Staffage. Konzerne regieren, und der große Teil der
Menschheit fleucht in radioaktiv verseuchten Slums herum.
Cyberpunk nennt sich die geistige Strömung dahinter, die eine Zukunft
heraufziehen sieht, in der alles wahr wird, was die Punks heute scheiße
finden. Entstanden in den 1980ern war sie intellektuelles Futter für Hacker
wie den Wikileaks-Mitbegründer Julian Assange und beeinflusst bis heute,
wie sie die Welt sehen.
Was auch daran liegt, dass gute Science-Fiction nichts neu erfindet.
Sondern extrapoliert. Spiegel online und andere schrieben diese Woche ganz
aufgeregt über die neuesten Gerüchte zum nächsten iPhone, also kleine
Computer, die wir am Körper tragen – bei „Shadowrun“ geht es um den
heißesten Kram, den man sich den Körper einbauen lassen kann. Cyberarme
oder Implantate, mit denen das Hirn direkt ins Internet geht. Oder eine
Drone steuert. Ja, wenn der Euro Hawk so etwas drauf hätte, hätte Herr de
Maizière Geld wenigstens für Beeindruckendes hinausgeworfen.
Einen Schritt in die Zukunft hat auch der Axel-Springer-Konzern gemacht,
wobei noch nicht ganz klar ist, wer da eigentlich wen gekauft hat, bei dem
Riesenkredit, den die Funke-Gruppe bei Springers aufnehmen musste. Bald
aber auch egal, der Gemischtwarenladen Deutsche Medien- und Kommunikations
AG verkauft in „Shadowrun“ von BZ bis Süddeutsche alles, was gedruckt und
digital zu haben ist.
Die Spieler verdienen als Tagelöhner ihr Geld, die von Konzernen angeheuert
werden, um deren Drecksarbeit zu erledigen. Okay, man kann auch für die
Gegenseite arbeiten. Aber als wir in den 2000ern noch die analoge Variante
von „Shadowrun“ spielten, habe ich Anarchisten, Sozialdemokraten und
Iro-Träger meist nur für unbarmherzige deutsche Stahlkonzerne und brutale
japanische Technikkonglomerate laufen sehen. Die Wirtschaft zahlte einfach
besser als ihre Gegner. Wir waren alle Gerhard Schröder.
Aber so düster diese Fiktion ist, die Wirklichkeit schlägt sie wieder mal.
Denn die Cyberpunk-Vision hatte wenigstens noch etwas sehr Körperliches.
Wenn es Daten zu stehlen galt, musste man mit seinem Hacker meist immer
noch ins Gebäude eindringen, mit Schleichen und Schießen. Im Gegensatz zu
dem, was die NSA abzieht, wie Überwachung heute generell funktioniert –
unsichtbar, unscheinbar, fast gar nicht da – hat das schon etwas beruhigend
Bruce-Willis-haftes. Vielleicht wird man erschossen, aber wenigsten von
jemandem, den man anfassen kann. Gegen den man sich wehren kann.
Kein Wunder, dass die Menschen sich mehr für ein Kind namens George
interessieren. Anfassbareres als das königliche Gutschi-gutschi-gu gibt es
ja wohl kaum. So schön wie sinnlos stemmte sich auf Twitter dem Hype ein
Mann entgegen, der sich @_D_B_Cooper nennt: „Die einzigen William&Kate, die
mich interessieren, heißen Tanner und haben vor 27 Jahren ALF bei sich
aufgenommen.“
Aber auch Alf hatte ja etwas unheimlich Körperliches. Und wäre auch ein
schöner Name für das Kind gewesen. George, Harry, William … laaaangweilig!
Kevin, das wäre doch mal ein Statement Richtung Grundschullehrer. Louis,
der letzte Name des Kindes, der hat wenigstens ein bisschen was
Provokatives, weil französisches. Erzfeind und so. Wo derzeit ausgerechnet
auf dem Trafalgar Square in London, also dem Ort, der dem historischen Sieg
über die Franzosen gewidmet ist, die deutsche Künstlerin Katharina Fritsch
einen gigantischen blauen Hahn aufgestellt hat. Das französische
Symboltier, der Londoner Bürgermeister tat sich etwas schwer bei der
Präsentation. Zumal sich neben dem Hahn, Englisch „cock“, die phallische
Säule des Siegeradmirals Nelson erhebt. Das gab ein Hoho und Hihi und
wenigstens ein bisschen Aufregung über Kunst.
Die Frage stellt sich ja – produziert Crowdfunding nur noch Ergebnisse des
kleinsten gemeinsamen Nenners? Konsenskonsumkunst? „Shadowrun returns“
jedenfalls ist so fehlerhaft und sieht so 1990er aus, dass sich man sich
wundert: Wo ist nur das viele Geld geblieben?
27 Jul 2013
## AUTOREN
Daniel Schulz
## TAGS
Punk
Rhetorik
Thomas de Maizière
NSA
Schwerpunkt Angela Merkel
Gezi-Park
Schwerpunkt Angela Merkel
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