# taz.de -- Kolumne Der rote Faden: Stöckchen für die mit der Angst | |
> Einmal quer durch die Woche: Von #Neuland über die Baumhausfraktion in | |
> die Echokammer bis nach Loon und zurück. | |
Bild: Google lässt einen Ballon steigen! | |
Gnihihi, die Merkel hat „Neuland“ gesagt! Bis zum frühen Mittwochnachmittag | |
waren Witzeleien darüber das alles bestimmende Thema in meiner | |
Twitter-Timeline – bis endlich Obama den Pariser Platz betrat und man sich | |
über sein durchscheinendes Unterhemd und über Präsidenten der freien Welt | |
hinter Glasscheiben lustig machen konnte. Und als er nichts Bahnbrechendes | |
verkündete, startete die zweite #Neuland-Runde: Klar, CDU halt, keine | |
Ahnung von diesem Internet, besonders nicht Mutti. | |
Müssen Deutschlands netzpolitisch Interessierte wirklich jedes verdammte | |
Stöckchen apportieren, das man für sie wirft? Natürlich ist es ziemlich | |
hingewurschtelt von Merkel, die Prism-Frechheit der USA mit so einem | |
Sätzchen abzumoderieren. Allerdings: richtig hingehegelt hat Merkel das ja | |
erst mit dem zweiten Satzteil – Stichwort: Gefahr! Aber das haben die | |
Besserwisser der Netzavantgarde schon nicht mehr gehört. | |
Fast scheint es, als wäre die erste Netzexpertise, die die CDU sich zulegt, | |
die, der netzpolitischen Baumhausfraktion ein paar billige Provokationen | |
hinzuwerfen, an denen die sich abarbeiten kann – um dann ungestört Politik | |
am Internet vorbei zu machen. Oder hat irgendjemand mitbekommen, dass in | |
der vorvergangenen Woche mitten im Sturm um Ed Snowden die Regierung einen | |
Gesetzentwurf für den Schutz von Whistleblowern als unnötig abgeschmettert | |
hat? Oder die FDP einen nutzlosen Vorschlag für Netzneutralität vorlegte – | |
während US-Medien berichteten, dass Google, Facebook und Microsoft für die | |
Durchleitung ihrer Daten an US-Provider zahlen? | |
„Klar mitgekriegt“, werden die einen denken. „Was, bitte?“, die anderen. | |
Womit wir wieder da wären, wo Habermas vor über 50 Jahren über die | |
Fragmentierung von Öffentlichkeiten nachzudenken begann. Ihm folgten | |
US-Netzdenker wie David Weinberger, der im Netz Echokammern entstehen | |
sieht, in denen immer nur das widerhallt, was man eh schon denkt. Oder Eli | |
Pariser, der die Filterblase kritisiert, in der wir leben – weil etwa | |
Googles Suchtreffer uns nur anzeigen, was Google als für uns interessant | |
berechnet hat. Wie da noch über gemeinsame Themen streiten – oder gar von | |
einem gemeinsamen Wissensstand für eine Diskussion ausgehen? | |
Merkels Satz über das Neuland Internet trifft, wenn man ihn auf einen Teil | |
der deutschen Bevölkerung bezieht – denn sie halten sich hartnäckig, die | |
Leute, für die das Internet nur aus Mailanbieter, Facebook und SpOn | |
besteht. Einige von ihnen sollen sogar im Parlament sitzen. Dass sie | |
diejenigen, die einen Großteil des Lebens im Netz verbringen, bescheuert | |
finden und umgekehrt – so bescheuert, dass man nicht miteinander diskutiert | |
–, ist ein Problem für den demokratischen Diskurs. Da hat Habermas schon | |
recht. Und dieses Problem wird größer, je mehr Lebensbereiche das Netz | |
umfasst. | |
Aber ach: Während diese deutsche Nabelschau uns wunderbar abgelenkt hat, | |
ist Obama wieder weg und hat uns zu Prism mit einem zweideutigen „We listen | |
to the ones we disagree with“ abgefrühstückt. Eines Fans darf er sich | |
sicher sein: Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, | |
lobt das Vorgehen der NSA und wünscht sich Ähnliches auch für Deutschland. | |
Schließlich sei der Schutz vor Terror und Kriminalität das „wertvollste“ | |
Bürgerrecht. Wenn das seine Vision ist, kann man ihm nur dieses olle | |
Schmidt-Zitat und also einen Arzttermin ans Herz legen – und muss sich | |
ansonsten sehr wundern, wie geschichtsvergessen ein qua Amt auf die Rolle | |
des Sicherheitskläffers Abonnierter sein kann. | |
Apropos Visionen: Google hat auch noch was anzubieten. Das Projekt Loon. | |
Die Idee: Afrika, abgelegene Bergregionen und die restlichen fünf | |
Milliarden armen Schlucker, die noch keinen anständigen Internetzugang | |
haben, ans Netz zu bringen. Durch Ballons, die in der Stratosphäre schweben | |
und Netz runterfunken. Erste Feldversuche gab es in der vergangenen Woche | |
in Neuseeland. Und egal wie unausgegoren diese Mischung aus Cargolifter und | |
„In 80 Tagen um die Welt“ noch ist: Googles Kreativabteilung „X“ hat mit | |
Google Glass und selbstfahrenden Autos bereits bewiesen, dass sie jede noch | |
so spinnerte Science-Fiction-Vision umsetzen kann. | |
Erst in Teilen der USA Glasfaserkabel verbuddeln, jetzt Afrika und | |
abgeschiedene Bergvölker aus der Luft bespaßen – nach dem Motto: Da will | |
doch die böse Datenkrake zum Anbieter für Internetinfrastruktur werden. Das | |
wäre doch eine tolle neue Erzählung für die Deutschen. Schluss mit diesem | |
ganzen Gerede über Vorratsdatenspeicherung oder Geheimdienste, die Daten | |
speichern. Denn der Google-Horror, das ist auch so ein Stöckchen, auf das | |
Deutsche immer anspringen, um es schnell wieder zu apportieren. Jedenfalls | |
die mit der Internetangst. | |
22 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Meike Laaff | |
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