# taz.de -- Kolumne Der rote Faden: Liebe, Dünkel, Macht | |
> Was Helmut Schmidt, der NSU-Prozess in München und die Liebe miteinander | |
> zu tun haben. | |
Bild: Wer möchte noch etwas geißeln? Wer will nochmal, wer hat noch nicht. Ge… | |
Wer ist stärker - Helmut Schmidt oder das Schicksal? Eltern müssen solche | |
Fragen manchmal beantworten: Wenn ein Bär und ein Hai gegeneinander | |
kämpfen, wer würde gewinnen? Die richtige Antwort wäre wie immer eine | |
Frage: An Wasser oder an Land? Und dann rennen, solange das Kind noch | |
verwirrt ist. Aber hier geht es um Höheres als die profanen Konflikte der | |
Fauna. Es geht um die Liebe. Aber dazu später. | |
Anfang der Woche hatte das Oberlandesgericht München die Plätze für | |
Journalisten beim NSU-Prozess per Los vergeben, und das ging für die sich | |
renommiert nennenden deutschen Zeitungen nicht gut aus. Zeit, FAZ, Welt, | |
taz - alle draußen, die Süddeutsche nur drinnen, weil sie ein Magazin hat. | |
Stattdessen die Frauenzeitschrift Brigitte, viele Regionalzeitungen und das | |
nur von Kennern geschätzte "Radio Lotte" aus Weimar. | |
Unmut kam auf bei den Lottoverlierern und ihren Lesern, die sich wahlweise | |
in Häme gegenüber den Begünstigten oder dem Betonen der eigenen Wichtigkeit | |
niederschlug. Am Donnerstagabend dann die öffentliche Auspeitschung der | |
Katastrophe durch Volksgeißel und nebenher auch Zeit-Mitherausgeber Helmut | |
Schmidt in einer ARD-Talkshow: Die Münchener Richter "seien nicht von sich | |
aus schlau genug". | |
Wäre es eigentlich völlig absurd gewesen in Deutschland, es gut zu finden, | |
dass mal nicht die Medien begünstigt werden, deren Position an der Spitze | |
des sogenannten Qualitätsjournalismus als angestammtes Recht gilt? Denen | |
eine Chance zu geben, sich zu beweisen, die normalerweise von wichtigen | |
Hintergrundzirkeln und Möglichkeiten der Recherche abgekoppelt sind? Neue | |
Blickwinkel, andere Perspektiven - irgendwer noch interessiert? Zumal zur | |
Aufklärung der NSU-Morde alle Medien gleich viel beigetragen haben: nichts. | |
Aber hey, die Qualitätspresse hat es eben auch nicht leicht. Trotz allem | |
Abmühen ist im Netz noch kein Geld zu verdienen, die Leser werden weniger | |
und nun kommt noch Pech dazu. Internet, Mensch und Schicksal haben sich | |
abgewandt - wer würde angesichts eines solch universalen Liebesentzugs | |
nicht erste Anzeichen der Verzweiflung zeigen? | |
Die Zeit kann sich nicht selbst ein Interview geben, so wie es der | |
ebenfalls um seine Beliebtheit fürchtende Präsident des FC Bayern getan | |
hat. Obwohl. Eigentlich hat sie genau das gemacht, als Zeit-Chefredakteur | |
Giovanni di Lorenzo jahrelang Herausgeber Helmut Schmidt interviewte, und | |
die Zeit steht als einzige Zeitung sehr gut da … Hm. Merke: Mehr über sich | |
selbst reden. Jedenfalls ängstigt auch Uli Hoeneß die Aussicht, durch seine | |
Steueraffäre eines Tages nicht mehr der Liebling der Massen zu sein: "Ich | |
fühlte mich in diesen Tagen auf die andere Seite der Gesellschaft | |
katapultiert, ich gehöre nicht mehr dazu." | |
Um sich wieder zu integrieren, erklärte sich Hoeneß de facto für krank, er | |
sei süchtig nach dem Zocken an der Börse gewesen, um sogleich | |
hinterherzuschieben, er sei inzwischen wieder gesund. Schließlich muss er | |
einen erfolgreichen Verein leiten. Golfprofi Tiger Woods musste 2010 noch | |
mehrere Wochen in eine Klinik, um sich von "Sexsucht" heilen zu lassen, | |
nachdem das Bekanntwerden mehrerer Affären sein privates und berufliches | |
Glück zu zerstören drohte. Sucht, Krankheit - dafür kann der Betroffene | |
nichts, im Gegensatz zu einer Steuerhinterziehung ist er nicht Handelnder, | |
sondern zu Behandelnder. Ein Opfer verdient Mitleid und für einen | |
Gefallenen kommt Mitleid der Liebe doch schon recht nah. | |
Ob Hoeneß fabuliert oder nicht, lässt sich schlecht sagen. Es spielt auch | |
keine Rolle. Denn der Mann hätte auch an der Börse spekulieren können, ohne | |
Steuern zu hinterziehen. Aber er bietet eine unterhaltsame Show. | |
Solches gelang auch Angela Merkel im Berliner Maxim Gorki Theater. An jenem | |
Platze sprechen Journalistinnen der, ja genau, Brigitte vor der | |
Bundestagswahl mit den mächtigen Frauen dieses Landes. Katrin | |
Göring-Eckardt von Bündnis 90/Die Grünen war da, ebenso die Linke Sahra | |
Wagenknecht. | |
Privates wird erzählt, um dem verständlichen Anliegen nachzukommen, hinter | |
der Macht das Menschliche zu wissen. Angela Merkel erzählte, ihre | |
spezifische Haltung der Hände, die Merkel-Raute, sei entstanden, weil sie | |
nicht wusste, wohin mit den Armen. Die Geste zeige sicherlich "eine gewisse | |
Liebe zur Symmetrie." An Männern schätze sie schöne Augen. | |
Sonst verrät die Kanzlerin wenig über sich, Macht ist schließlich auch die | |
Fähigkeit, die anderen plappern zu lassen. "Man braucht das Schweigen, um | |
klug reden zu können", sagte sie im Gorki. Ihrer Beliebtheit ist das nur | |
zuträglich. | |
Um nun auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Die richtige Antwort ist: | |
Angela Merkel. | |
7 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Daniel Schulz | |
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