| # taz.de -- Kolumne Der Rote Faden: Würmer, Helden, Gezi-Park | |
| > Das Internet ist nicht schön. Kein Wunder, dass die Menschen sich nach | |
| > Lichtgestalten sehnen. Aber wenn Snowden ein Arschloch wäre, änderte das | |
| > etwas? | |
| Bild: Geradezu erleichternd, wenn auf den Bildern Menschen auftauchen. | |
| Das Internet ist keine Schönheit. Es ist jedenfalls nicht fotogen. Bilder | |
| von ihm gibt es eigentlich nur in zwei Varianten: Würmer und Mausoleum. | |
| Spiegel Online illustriert beispielsweise einen Text darüber, was derzeit | |
| über die Spionageprogramme Prism und Tempora bekannt ist, mit einer Kaskade | |
| von Kabeln. Es sieht so aus, als hätten sich gelbe Parasiten mit ihren | |
| grünen Köpfen an einem metallenen Wirtskörper festgesaugt. Auch die taz | |
| behilft sich öfter damit, Leitungen in möglichst dekorativen Arrangements | |
| abzubilden. Dank der oder dem Unbekannten, der die eigentlich sinnlose | |
| Erfindung des farbigen Kabels gemacht hat. Sonst kröche überall fahler | |
| Leichenwurm. | |
| Besonders anheimelnd wirken auch die Fotos der Rechenzentren nicht, auf | |
| denen sich hohe Speichertürme – unsere Geschäftsmails, Urlaubsfotos, | |
| Liebesschwüre – irgendwo in der Weite gigantischer Hallen verlieren. Ob | |
| Indiana Jones durch monumentale Gräber klettert oder hier entlang, was wäre | |
| der Unterschied? Okay, weniger Schummerlicht. Früher war Fackel, heute | |
| Neon. | |
| In den Bildern drückt sich aus, wie sich das Verhältnis Mensch–Netz in den | |
| vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat. Das Netz hat den Alltag von | |
| Millionen verändert, mit seiner Hilfe bringen sie sich zum Lachen, Weinen. | |
| Obwohl ein Leben ohne das Internet nicht mehr vorstellbar scheint, ist es | |
| selbst nur schwer vorstellbar geblieben. Unfassbar. Fremd. Gruselig. | |
| Geradezu erleichternd, wenn auf den Bildern Menschen auftauchen: Julian | |
| Assange, Mitbegründer von Wikileaks; Thomas Drake und Edward Snowden, beide | |
| ehemalige Mitarbeiter des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA; seit | |
| vergangener Woche auch der pensionierte US-General James Cartwright. Er | |
| soll 2010 den Cyberangriff auf das Atomprogramm des Iran geleitet haben – | |
| der Computerwurm namens Stuxnet könnte seine Idee gewesen sein. Ebenso wie | |
| die, später mit der Presse zu reden. | |
| ## Vorbild oder Verräter? | |
| Wird auch er ein Held? Die Sehnsucht nach so einem wächst, je abstrakter | |
| und übermächtiger der Gegner erscheint. Drachen, Geheimdienste, Internet. | |
| Bei Snowden ging das recht schnell, quasi sofort nach den Enthüllungen | |
| warfen Medien die Frage auf: Vorbild oder Verräter? Und sie wurde im Netz | |
| leidenschaftlich diskutiert. Von beiden Seiten, sowohl der, die es | |
| gutheißt, was er getan hat, als auch der, die ihn im Gefängnis sehen will. | |
| Wehe, wenn der Held nicht ausschließlich vom Reinen und Guten erfüllt ist. | |
| Die Lust an seinem Sturz ist mindestens ebenso groß wie die, ihn zu | |
| verehren. | |
| Selbst beim Journalisten Glenn Greenwald, der für den britischen Guardian | |
| vieles über Prism enthüllt hat, forschen Kollegen inzwischen nach, in | |
| welche Streitigkeiten er vor mehr als zehn Jahren mit einem | |
| Videoproduzenten verwickelt war. | |
| Aber wenn Snowden ein Arschloch wäre und Cartwright ein Narzisst – änderte | |
| das etwas an dem, was sie enthüllt haben? Zumal die Figur des Helden aus | |
| einem Zeitalter stammt, das demokratische Gesellschaften längst überwunden | |
| zu haben glauben. In der DDR musste der wahrscheinlich gerade im Sterben | |
| liegende Nelson Mandela und seine jahrzehntelange Haft im | |
| Apartheidssüdafrika noch als Beleg dafür herhalten, wie richtig das | |
| autoritäre sozialistische Regime mit seiner Politik lag. Er wurde als Ikone | |
| gebraucht, der Mensch Mandela war da im Grunde egal. | |
| ## Helden soll es nur in Mehrzahl geben | |
| Helden sollte es in demokratischen Gesellschaften, wenn überhaupt, nur in | |
| der Mehrzahl geben. Siehe den Aufruhr in der Türkei, die Proteste in | |
| Brasilien. Dort wollen sie gar keine Anführer benennen. Vielleicht, um sich | |
| zu schützen. Vielleicht, weil der Held im Singular einsam ist. Hier die | |
| Gemeinschaft im Gezi-Park, dort Snowden auf den Gängen des Moskauer | |
| Flughafens. | |
| Allein gegen eine Supermacht. Das Image des Hackers, desjenigen, der sich | |
| mit Computern auskennt, suggeriert, dass so etwas ginge. Einige wenige | |
| mögen dafür Zeit haben, aber das ist kein Gesellschaftsmodell. Sondern | |
| absolute Überforderung. Umso irrer, wenn auch gut gemeint, erscheinen die | |
| ganzen Anleitungen, die Zeitungen jetzt herausbringen: Wie auch Sie sich | |
| vor den Geheimdiensten schützen können! Da gibt es dann Hinweise wie den, | |
| kein Bankkonto zu unterhalten und auf die virtuelle Währung Bitcoin | |
| umzusteigen. Das sind Tipps, die Verrückte machen. Jeder Einzelne von uns | |
| ein Partisan? Im Solo-Guerillakrieg mit den Großen der Welt? | |
| Was nicht heißt, nichts zu tun. Aber man muss an die Menschen hinter der | |
| Technik ran. Die politischen Umstände ändern, unter denen sie handeln. Wenn | |
| das politische Angebot in Sachen Bürgerrechte mau ist, muss etwas anderes | |
| her. Die Menschen in Brasilien und in der Türkei haben das verstanden. Und | |
| die Bilder von dort sind auch schöner. | |
| 1 Jul 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Schulz | |
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