# taz.de -- Krieg in der Ukraine: Viele Fragezeichen rund um Wagner | |
> Unterstützung für Lukaschenko? Angriff auf Ukraine von Belarus aus? | |
> Vieles zur Söldnertruppe bleibt im Dunkeln. Die russische Armee misstraut | |
> ihr. | |
Bild: Training in Belarus – aber wofür? Wagner-Kämpfer am 20. Juli | |
BERLIN taz | Die Wagner-Truppe hat offenbar neue Pläne – wenn man dem | |
belarussischen Präsidenten glaubt. Sie wollten einen „Ausflug nach Warschau | |
und Rzeszów“ in Polen machen, sagte Alexander Lukaschenko beim Treffen mit | |
Russlands Präsidenten Wladimir Putin am Wochenende in Sankt Petersburg. | |
Nach dem gescheiterten Aufstand Ende Juni in Rostow am Don wurde ein Teil | |
der Truppe nach Belarus verlegt. | |
Dieser Umstand hat in der EU, insbesondere in Polen und den baltischen | |
Staaten, Besorgnis ausgelöst. Warschau hat die Verlegung von polnischen | |
Truppen in Richtung belarussische Grenze angekündigt. In Kyjiw ist man | |
gelassener. Nach Angaben des ukrainischen Militärkommandos reichen die | |
Kräfte dieser Söldner eindeutig nicht aus, um eine Offensive vom Norden aus | |
[1][auf die Ukraine] zu starten. Andriy Jusow, ein Vertreter der | |
Hauptdirektion für Geheimdienste des ukrainischen | |
Verteidigungsministeriums, sagte neulich, dass die Wagner-Truppen noch | |
unbewaffnet seien. Aktuell sollen bis zu 3.000 Kämpfer in Belarus sein. | |
Putins Taktik besteht weniger darin, Proteste zu unterdrücken, als vielmehr | |
darin, ihnen zuvorzukommen. Das war eines der Ziele der Gründung des | |
privaten Militärunternehmens Wagner: eine Personalreserve zur | |
Unterdrückung von Aktivitäten der Opposition bereitzustellen. Die | |
Anwesenheit von Tausenden Schwerverbrechern stabilisiert zugleich die | |
Diktatur Lukaschenkos. Darüber hinaus verfügen einige dieser Söldner über | |
Erfahrung in der Niederschlagung von Aufständen in Afrika oder Syrien. Nun | |
dürften [2][die Belarussen dreimal überlegen, ob sie auf die Straße gehen] | |
– wenn Gefahr droht, mit einem Vorschlaghammer getötet zu werden. | |
Es ist bezeichnend, dass die Kämpfer der „Wagner“-Truppe bereits an Übung… | |
mit Einheiten der belarussischen Territorialtruppen auf einem Übungsgelände | |
in der Nähe der Stadt Assipowitschy teilgenommen haben. Das wurde auf dem | |
Telegram-Kanal des Minsker Verteidigungsministeriums gemeldet. Das | |
belarussische Militärpersonal werde von Wagner-Söldnern geschult, heißt es. | |
Sie werden auch zur Stärkung der Grenzsicherung sowie zum Schutz von | |
Unternehmen, Wasser- und Kraftwerken und anderer Infrastruktur eingesetzt. | |
Damit sollen Sabotageakte der belarussischen Opposition verhindert werden. | |
Wo die Söldner dauerhaft leben werden, bleibt unklar. „Die Hauptfrage, wo | |
sich die Wagner-Truppe niederlassen und was sie tun wird, hängt nicht von | |
mir ab, sondern von der Führung der Russischen Föderation“, äußerste | |
Lukaschenko in einer Erklärung vom 6. Juli. | |
## Dramatische Szenen bleiben aus | |
In Russland ähnelt die Auflösung der Struktur von Wagner-Chef und | |
Unternehmer Jewgeni Prigoschin oder die Verlegung seiner Einheiten in einen | |
– aus Moskau-Perspektive – Bruderstaat nicht der Niederschlagung eines | |
Aufstands. Auch dramatische Szenen bleiben aus. Was die von Kreml | |
geforderte Abrüstung angeht, so verlief der Prozess reibungslos – bis zum | |
12. Juli übergaben die Wagner-Leute dem russischen Verteidigungsministerium | |
2.000 Ausrüstungsgegenstände und schwere Waffen, 20.000 Kleinwaffen und | |
2.500 Tonnen Munition. | |
Durch Prigoschins Provokation ging die Bewegungsfreiheit nicht dem | |
wortgewandten Koch des Präsidenten verloren, sondern den Generälen und | |
Obersten der russischen Armee. Etwa ein Dutzend verloren ihren Posten, 13 | |
weitere wurden zwecks Verhören festgenommen. Noch immer ist unklar, wo sich | |
der sogenannte syrische Schlächter befindet, der ehemalige Kommandeur und | |
damalige Vizekommandeur der russischen Truppen in der Ukraine, Sergei | |
Surowikin. | |
Zu Wort meldete sich nach dem gescheiterten Wagner-Aufmarsch der Gründer | |
von Prigoschins Armee, Dmitri Utkin, ein Skinhead: „Dies ist nicht das | |
Ende, sondern erst der Anfang der größten Aufgabe der Welt, die ganz bald | |
erledigt sein wird. Willkommen in der Hölle.“ | |
## Rückgang erklärt sich nicht allein durch Verluste | |
Laut des russischen Militärexperten Kirill Michailow sei der rechtliche | |
Status von Prigoschins Truppen unklar. „Weder von den Wagner-Leuten noch | |
vom Verteidigungsministerium gab es Aussagen darüber, dass die Söldner | |
massenhaft Verträge mit dem Verteidigungsministerium abschließen. Wäre | |
dies der Fall, würde das Militär stolz berichten, dass ‚Glücksritter‘ zu | |
Vertragssoldaten geworden seien. Ungeklärt bleibt auch, mit welchem Status | |
und welchen Strukturen die Söldner in afrikanischen Ländern dienen werden“, | |
sagt Michailow. | |
Zu Beginn dieses Jahres hatte die Personalstärke von Prigoschins Truppen | |
allein in der Ukraine bis zu 50.000 Mann betragen. Im Juni sagte | |
Priogoschin, er habe 25.000 Kämpfer unter seinem Kommando. Der Daily | |
Telegraph hält das für eine dreifache Übertreibung. Laut dem britischen | |
Blatt dürfte die aktuelle Zahl des Wagner-Kontingents, in Russland, Belarus | |
sowie möglicherweise auch in den besetzten Gebiete in der Ukraine, | |
insgesamt 10.000 Personen nicht übersteigen. | |
Der Rückgang erklärt sich nicht allein durch Verluste. Er ist auch der | |
Tatsache geschuldet, dass die meisten Söldner ehemalige Häftlinge waren, | |
deren sechsmonatiger Vertrag ausgelaufen ist. Die Rekrutierung neuer | |
Kämpfer in Gefängnissen war Prigoschin bereits im Februar verboten worden. | |
## Soldaten betrachten Wagner-Söldner mit Misstrauen | |
Offensichtlich betrachten russische Soldaten – Medienberichte und Videos in | |
sozialen Netzwerken suggerieren dies – die Wagner-Söldner mit Misstrauen. | |
Was die Söldner angeht, so träumt kaum jemand davon, während eines | |
Einsatzes an der Front eine Kugel in den Rücken zu bekommen oder im Schlaf | |
in der Kaserne von Stiefeltritten verstümmelt zu werden. Zudem war das | |
Gehalt bei Wagner höher als das der Vertragssoldaten der russischen | |
Streitkräfte. Auch die Disziplin in der Armee ist strenger, was nicht allen | |
„Glücksrittern“ gefällt. | |
Neulich schlug Sergei Mironow, ein Freund Putins und Vorsitzender der | |
Fraktion Gerechtes Russland in der Duma, vor, Privatarmeen für ihre | |
Einsätze im Ausland der Kontrolle des Auslandsgeheimdienstes (SWR) zu | |
unterstellen. Der SWR ist der politische Geheimdienst und direkter | |
Nachfolger der Ersten Hauptverwaltung des KGB. | |
Die Konsequenz einer solchen Umstrukturierung wäre eine Schwächung des | |
Militärs, mit dem Putin wegen der Misserfolge in der Ukraine unzufrieden | |
ist. Zwar spioniert der SWR im Ausland und verübt dort Anschläge, aber da | |
er aus der Staatssicherheit hervorgegangen ist, gehört zu seinen Aufgaben | |
eher der Kampf gegen Aufruhr im Land – im Gegensatz zum GRU, dem | |
Geheimdienst des Militärs. Er stand hinter der Gründung der Wagner-Gruppe. | |
Aus dem Russischen: Barbara Oertel | |
24 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Alexander Gogun | |
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