| # taz.de -- Konservative Anti-Migrations-Pläne: Dann eben noch schärfer | |
| > Egal, wie die Lage ist: Konservative wie Friedrich Merz wollen Migration | |
| > immer weiter begrenzen. Und wenn der Erfolg ausbleibt, legen sie nach. | |
| Bild: Hier soll keiner mehr rein: Beamte der Bundespolizei kontrollieren an der… | |
| Mindestens 38 einzelne Verschärfungen allein im Asyl-, Migrations- und | |
| Staatsbürgerschaftsrecht forderte die Union in einem Antrag, den sie am | |
| Mittwoch in den Bundestag eingebracht hat: Von der Möglichkeit der | |
| Ausbürgerung über ein Ende der „Chancenkarte“ bis hin zum „gänzlichen | |
| Leistungsausschluss“ für Ausreisepflichtige. | |
| In der Aufregung über den Wortbruch von CDU-Chef Friedrich Merz, nicht mit | |
| der AfD kollaborieren zu wollen, ging unter, dass der Antrag abgelehnt | |
| wurde. Mit den Stimmen von AfD und FDP angenommen wurde nur ein zweites, | |
| deutlich abgespecktes CDU-Papier, in dem viele Element des anderen Katalogs | |
| – darunter die Ausbürgerungsmöglichkeit – nicht enthalten sind. | |
| Trotzdem zeigte Merz’ Aktion erneut: Von nichts versprechen Konservative | |
| sich mehr als davon, Flüchtlingen und Migrant:innen das Leben schwer zu | |
| machen. Ob wenige Asylsuchende kommen oder viele, ob Antragszahlen steigen | |
| oder sinken, ob es islamistischen Terror gibt oder nicht, ob sie die AfD im | |
| Nacken haben oder schon vor deren Entstehung: Stets heißt es, es kämen zu | |
| viele Flüchtlinge, Verschärfungen müssten her. Ohne Unterlass geht das so, | |
| seit vielen Jahren schon. | |
| Die Empirie ändert daran nichts: In den Jahren 2000 bis 2012 gab es im | |
| Schnitt nur 45.000 Anträge pro Jahr – und nonstop meldeten sich | |
| Unions-Innenminister wie Joachim Herrmann (Bayern) oder Uwe Schünemann | |
| (Niedersachsen) mit immer neuen, einschlägigen Ideen gegen zu viele Roma, | |
| Libanesen, Kurden im Land zu Wort. Obwohl die Bevölkerungszahl in | |
| Deutschland seit 2006 wuchs, lag die Zahl der erfassten Gewalttaten im Land | |
| 2023 mit rund 214.000 niedriger als 17 Jahre zuvor. | |
| ## Permanent heißt es, die Sicherheit sei in Gefahr | |
| Das Risiko, Opfer von Gewalt zu werden, ist also gesunken – auch wenn es | |
| 2022 und 2023 einen Anstieg gab. Permanent aber heißt es, die Sicherheit | |
| sei in Gefahr und Asylrechtsverschärfungen seien nötig. Seit 2024 sinken | |
| auch die Asyl-Antragszahlen erheblich. Doch ständig ist zu hören, | |
| Deutschland sei „immer noch zu attraktiv“. Der Arbeitskräftemangel | |
| explodiert – die Konservativen wollen endlich mehr abschieben. Ihr Glaube | |
| an den politischen Nutzen von Anti-Flüchtlings-Gesetzen scheint | |
| unerschütterlich. Sie wollen davon immer mehr, niemals ist es genug. Ein | |
| Fass ohne Boden. | |
| Für 2015 bis 2020 sind die Gesetzesänderungen im Asylrecht auf Bundesebene | |
| erfasst. Es waren 77, im Schnitt also alle vier Wochen eine. Die meisten | |
| waren Verschärfungen. Dazu gehörte etwa das Verbot, Abschiebetermine | |
| anzukündigen, oder die Einschränkung des Familiennachzugs. | |
| Darin sind Verschärfungen auf Landes- und EU-Ebene sowie in anderen | |
| Bereichen des Migrationsrechts noch nicht enthalten. In den Jahren davor | |
| und danach gab es erhebliche weitere Verschärfungen, darunter die | |
| Ausweitung der „sicheren Herkunftsländer“, umfassende | |
| Internierungsmöglichkeiten durch das EU-Asylsystem Geas, Leistungskürzungen | |
| oder neue Möglichkeiten, Seenotretter als Menschenhändler zu verfolgen. | |
| All die Verschärfungen sollen – vor allem über Abschreckung – die | |
| Ankunftszahlen drücken. Sie sollen die extreme Rechte kleinhalten und so | |
| die Macht der Konservativen rechts der Mitte sichern. Sie sollen allgemeine | |
| Unzufriedenheit und Vertrauensverlust in den Staat und seine Institutionen | |
| eindämmen, deren „Handlungsfähigkeit“ beweisen. Sie sollen gegen | |
| Wohnungsnot, Investitionsstau und Sozialkassenlöcher helfen und die innere | |
| Sicherheit erhöhen. | |
| ## Die extreme Rechte gewinnt an Zulauf | |
| Tatsächlich tritt praktisch keine dieser Wirkungen mittelfristig ein. | |
| Menschen kommen trotzdem nach Deutschland, Mieten steigen weiter, die | |
| extreme Rechte gewinnt an Zulauf. | |
| Doch die Erwartungen in die Anti-Flüchtlings-Politik bleiben erstaunlich | |
| stabil. Die AfD sagt offen, dass sie die Konservativen zerstören will, | |
| andere EU-Staaten zeigen, dass dies möglich ist. Trotzdem geben die | |
| Konservativen der AfD permanent recht in ihrer zentralen Aussage: dass es | |
| keine Tabus im Kampf gegen die Migration geben darf. | |
| Die Konservativen halten dies für ihre beste politische Allzweckwaffe, Merz | |
| stößt dafür nun der halben Republik vor den Kopf. Der Raum, der der Frage | |
| „Tut die Politik genug gegen die irreguläre Migration?“ öffentlich | |
| eingeräumt wird, steht seit Jahren in groteskem Missverhältnis zum | |
| Nachdruck, mit dem andere Themen behandelt werden. Und so glauben selbst | |
| viele Linke heute, dass sie an Popularität verlieren, weil sie zu wenig | |
| dabei mitmachen, laut über noch mehr Verschärfungen nachzudenken. | |
| Der autosuggestive Glaube an die Anti-Flüchtlings-Politik ist in weiten | |
| Teilen der Politik und Medien so stark, dass jedes Mal, wenn die | |
| erwünschten Folgen ausbleiben, trotzdem alle einig darin sind, dass die | |
| Medizin richtig, aber die Dosis falsch war: Es muss eben noch mehr | |
| verschärft werden. So zu denken entzieht drängenden anderen Themen den | |
| Raum, es zersetzt die Achtung der Menschenrechte und untergräbt Rechtsstaat | |
| und Demokratie. | |
| 31 Jan 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
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