| # taz.de -- Dokumentation offener Brief: „Bitte Nerven bewahren, Herr Merz“ | |
| > [Nach der Gewalttat eines wohl psychisch kranken Mannes in Aschaffenburg | |
| > fordert Friedrich Merz massive Einschränkungen im Asyl- und | |
| > Migrationsrecht. Mehr als 30 Psychiater:innen und | |
| > Wissenschaftler:innen kritisieren das und fordern mehr Hilfe für | |
| > Menschen in Not. Die taz dokumentiert hier ihren Brief an den CDU-Chef.] | |
| Die Gewalttat von Aschaffenburg hat uns alle zutiefst erschüttert und | |
| entsetzt. Zwei unschuldige Menschen sind ums Leben gekommen. Empörung und | |
| Schuldzuweisungen folgen. Auch wir sind fassungslos, haben viele Fragen und | |
| hoffen auf eine nachdenkliche und nachhaltige Diskussion. | |
| Der Täter ist nicht gerade erst eingewandert, er ist nicht gerade durch die | |
| Grenzkontrollen geschlüpft. Die nicht erfolgte Abschiebung ist nur eine | |
| Seite des Problems. Der Täter war schon zwei Jahre bei uns, er ist mehrfach | |
| aufgefallen, war offensichtlich selbst in großer Not, wurde mehrfach in die | |
| Psychiatrie eingewiesen oder ist freiwillig dorthin gegangen. Wenn die | |
| Daten aus der Presse stimmen, wurde er jedes Mal nach wenigen Stunden | |
| wieder entlassen – mit oder ohne Medikation. War das angemessen? | |
| Vermutet wird eine eigene schwere traumatische Erfahrung vor, während oder | |
| nach der Flucht. Traumatische Erfahrungen betreffen nicht nur Geflüchtete. | |
| Wer Gewalt erlebt, hat vielleicht ein höheres Risiko, gewalttätig zu | |
| werden. Dieser Zusammenhang gilt grundsätzlich – vor allem für junge Männer | |
| – und hat eher wenig mit deren Nationalität zu tun. | |
| Sehr geehrter Herr Merz, als Konsequenz rufen Sie auf, die Grenzen zu | |
| schließen, Migranten abzuweisen und abzuschieben, nehmen die Zustimmung der | |
| AfD billigend in Kauf. (Damit widersprechen Sie Ihrer eigenen Ankündigung | |
| nach dem Scheitern der Ampel, als sie selbst aufriefen, genau das | |
| auszuschließen.) Warum? Keiner Ihrer aktuellen Vorschläge hätte den | |
| schrecklichen Vorfall von Aschaffenburg verhindert. | |
| Im Gegenteil können die durchklingende Pauschalisierung und der massive | |
| öffentliche Druck die seelische Situation von Migranten nur verschlimmern. | |
| Das mögliche Dilemma der Anlaufstellen ist subtiler, die Balance von Hilfs- | |
| und Schutzmaßnahmen immer schwierig. Viele Fragen sind offen. Wir wehren | |
| uns gegen den politischen Missbrauch dieser komplexen Situation. | |
| Warum, Herr Merz, fordern Sie nicht mehr und noch sorgfältigere | |
| psychiatrische und psychotherapeutische Diagnostik für alle Menschen in | |
| seelischer Not – egal welcher Nationalität? Warum fordern Sie nicht | |
| nachhaltige Hilfen für alle, die sich an die Psychiatrie wenden? Warum | |
| fordern Sie nicht mehr Resonanz für Menschen in existenzieller seelischer | |
| Not – egal, woher sie kommen und wohin sie (bald) gehen. Sie hätten | |
| vielleicht nicht die Stimmen der AFD, aber eine große Mehrheit in der | |
| deutschen Bevölkerung und vermutlich auch im Bundestag hinter sich. | |
| Die Unterzeichnenden haben jahrzehntelange Erfahrung in der psychiatrischen | |
| Versorgung, manche haben die Debatte um die Psychiatriereform mitgeprägt. | |
| Unsere Schlussfolgerungen sind nicht spektakulär, vielleicht auch nicht | |
| wahlkampftauglich. Uns geht es um einen gründlichen Diskurs und sorgfältig | |
| überlegte Konsequenzen. Politische Schnellschüsse bei gleichzeitiger | |
| Mittelkürzung migrationsspezifischer Hilfen lösen das Problem sicher nicht. | |
| Prof. Dr. Thomas Bock, Hamburg | |
| Prof. Dr. Andreas Bechtolf, Chefarzt Berlin | |
| Prof. Dr. Peter Brieger, Chefarzt München | |
| Prof. Dr. Arno Deister, Berlin | |
| Christiane Engelbecht, Fachärztin Hamburg | |
| Dr. Kathleen Fahr, Fachärztin Reinbek | |
| Prof. Dr. Jürgen Gallinat, Hamburg | |
| Nils Greve, Facharzt Köln, Vorsitz Dachverband Gemeindepsychiatrie | |
| Prof. Dr. Dorothea von Haebler, Berlin, Vorsitz Dachverband | |
| Psychosen-Psychotherapie (DDPP) | |
| Prof. Dr. Dr. Andreas Heinz, Berlin | |
| Prof. Dr. Martin Heinze, Rüderdorf (Brandenburg) | |
| Dr. Matthias Heißler, Geesthacht | |
| Dr. Roswitha Hurtz, Fachärztin München | |
| Dr. Christian Kieser, Potsdam | |
| Prof. Dr. Ulrike Kluge, Berlin | |
| Dr. Martina Koch, Fachärztin Hamburg | |
| Dr. Hendrik Müller, Psychotherapeut Köln | |
| Patrick Nieswand, Geschäftsführer Deutsche Gesellschaft für Soziale | |
| Psychiatrie (DGSP) | |
| Prof. Dr. Nils Pörksen, eh. Chefarzt Bethel | |
| Prof. Dr. Jens Reimer, Chefarzt Itzehoe | |
| Dr. Dr. Horacio Riquelme, Facharzt Hamburg | |
| Hilde Schädle-Deiniger, Pflegewissenschaftlerin Offenbach | |
| Prof. Dr. Ingo Schäfer, Hamburg | |
| Prof. Dr. Georg Schomerus, Leipzig | |
| Dr. Kathrin Schümann-Riquelme, Fachärztin Hamburg | |
| Dr. Sabine Schütze, Fachärztin Wohltorf | |
| Dr. Werner Schütze, Facharzt, Wohltorf | |
| Prof. Dr. Dr. Michael Sadre-Chirazi-Stark, Hamburg | |
| Dr. Dr. Samuel Thomas, Rüderdorf (Brandenburg) | |
| Dr. Bettina Wilms, Querfurt | |
| Dr. Ralf Seidel, eh. Chefarzt Mönchengladbach | |
| 31 Jan 2025 | |
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