| # taz.de -- Merz-Debatte im Abgeordnetenhaus: Wegners Brandmauer | |
| > Berlins Regierungschef will im Bundesrat Gesetze, die mit AfD-Stimmen | |
| > zustande kommen, ablehnen. Die Linke fordert die SPD zum Koalitionsbruch | |
| > auf. | |
| Bild: Kai Wegner (CDU) drängt die demokratischen Parteien, vor der Bundestagss… | |
| Berlin taz | Um 10.10 Uhr, kurz nach Sitzungsbeginn, ist immerhin klar, | |
| dass er sprechen wird: „Rg. Bm“ steht an letzter Stelle der Redeliste, die | |
| auf der Anzeigetafel im Abgeordnetenhaus erscheint. Kai Wegner, der | |
| Regierungschef und CDU-Landesvorsitzende, wird also etwas sagen in der | |
| Aktuellen Stunde anlässlich der Befreiung des KZs Ausschwitz vor 80 | |
| Jahren, auf der nach dem CDU-AfD-Beschluss im Bundestag vom Vortag [1][so | |
| viele Erwartungen liegen]. | |
| Die SPD-Landesspitze hatte ihn gedrängt, „klare Kante“ zu zeigen. Wenn | |
| Wegner das Vorgehen seines Kanzlerkandidaten Friedrich Merz wortlos | |
| toleriere, „macht sich auch er mit all seinen Bekundungen zur Abgrenzung | |
| gegen die AfD unglaubwürdig“. | |
| Die Unionsfraktion im Bundestag hatte am Donnerstag erstmals mit Stimmen | |
| der AfD einen Beschluss zu einer unverbindlichen Resolution zu verschärfter | |
| Migrationspolitik gefasst, am Freitag steht eine folgenreiche | |
| Gesetzesänderung an. Von jenen nur 8 von insgesamt 196 Unionsabgeordneten, | |
| [2][die dem nicht zustimmten, indem sie gar keine Stimme abgaben], gehören | |
| zwei zur 5-köpfigen Berliner Landesgruppe: Ex-Kulturstaatsministerin Monika | |
| Grütters und Ex-Senator Thomas Heilmann. | |
| SPD, Grüne und Linke sehen darin am Donnerstagmorgen das Ende der von der | |
| CDU zuvor beschworenen Brandmauer zur AfD. Gleich zwei Mal fordert die | |
| Linksfraktion die SPD zum Koalitionsbruch auf. Direkt an deren | |
| Fraktionschef Raed Saleh richtete sich die Linken-Abgeordnete Elif Eralp: | |
| „Raed, könnt ihr mit dieser CDU weiterregieren?“ Aus ihrer Sicht nicht, sie | |
| fordert: „Liebe SPD, brich die Koalition mit der CDU und lass uns eine | |
| antifaschistische Koalition bilden.“ SPD, Grüne und Linkspartei, die schon | |
| von 2016 bis 2023 zusammen regierten, hätten im Abgeordnetenhaus genauso | |
| eine Mehrheit wie SPD und CDU. | |
| ## Saleh bleibt Antwort schuldig | |
| Ähnlich wie Eralp hat sich zuvor schon Linksfraktionschef Tobias Schulze | |
| geäußert. Saleh könnte nun direkt auf sie antworten und die Zukunft von | |
| Schwarz-Rot klären, nutzt jedoch diese von der Parlamentspräsidentin | |
| angebotene Möglichkeit nicht. Auch gegenüber der taz wird der Fraktionschef | |
| sich dazu nicht äußern. Die Landesvorsitzenden der von Eralp so | |
| angesprochenen „lieben SPD“ lassen auf taz-Anfrage später zum | |
| Koalitionswechsel-Angebot ausrichten, „dass sich diese Frage zum jetzigen | |
| Zeitpunkt nicht stellt“. | |
| Die spannendste Frage des Tages aber, nämlich Wegners Haltung zu Merz, | |
| steht noch an, nachdem klar ist, dass der Regierungschef selbst reden wird | |
| und nicht etwa der Kultursenator – nominell geht es ja um die Befreiung | |
| des KZs Ausschwitz 1945 und damit um ein Thema der Erinnerungskultur. Die | |
| Linksfraktion hat den Titel allerdings um den Satz ergänzt: „Die Brandmauer | |
| gegen Faschismus und Rechtsextremismus darf nicht fallen“. | |
| Was also würde Wegner sagen, der am Schluss der Debatte ans Mikro kommt? | |
| Sich abgrenzen von Merz, auf den er seit gut zwei Jahren kritisch schaut? | |
| Oder die Parteiräson vorne anstellen und sich nicht 24 Tage vor der Wahl | |
| gegen den eigenen Kanzlerkandidaten stellen? Wegner versucht den Spagat – | |
| und gemessen an den Reaktionen im Parlament, wo anders als bei vorigen | |
| Rednern laute wütende Zwischenrufe ausbleiben, gelingt ihm das. | |
| „Die Brandmauer steht“, widerspricht er einerseits. Aber dann folgt eine | |
| klare Festlegung: Der Senat werde im Bundesrat „niemals einem Gesetz | |
| zustimmen, das nur in Abhängigkeit von AfD-Stimmen zustande gekommen ist“. | |
| Eine Minute später erweitert er „niemals zustimmen“ auf „ablehnen“. Das | |
| kommt im Bundesrat zwar aufs Gleiche hinaus. Doch Nichtzustimmung in Form | |
| von Enthaltung sieht der Koalitionsvertrag bei fehlender Einigkeit ohnehin | |
| vor – Wegner aber legt seine CDU nun auf ein Nein fest. | |
| ## Wegner: „Die Stunden nutzen, die uns bleiben“ | |
| Vollkommen still ist es zeitweise bei seinen Worten. Nur ein-, zweimal kann | |
| sich eine Linken-Abgeordnete nicht zurückhalten, bleibt mit ihrem | |
| Zwischenruf aber allein. Man will ihm merklich genau zuhören. Und | |
| tatsächlich hat Wegner noch mehr zu sagen. Er fordert von „allen | |
| demokratischen Parteien der Mitte“, vor den weiteren Bundestagsabstimmungen | |
| am Freitag eine Lösung zu finden. Im Kreise der Ministerpräsidenten gehe | |
| das doch über Parteigrenzen hinweg auch, argumentiert er. | |
| Schon seit über einem Jahr hat er darauf verwiesen, dass sich dort alle 16 | |
| Länderchefs – von CSU-Söder über den Grünen Kretschmann bis zum bis vor | |
| sieben Wochen amtierenden Linkspartei-Mitglied Ramelow – über ein Umsteuern | |
| bei der Migration einig seien. Wegner drängt darauf, „die Stunden, die uns | |
| bleiben (bis Freitag; Anm. d. Red.) zu nutzen.“ Dazu müsse man auch zu | |
| Kompromissen bereit sein. „Das ist mein Appell auch an die Kollegen der | |
| CDU/CSU-Bundestagsfraktion.“ | |
| Das sagt [3][innerhalb des christdemokratischen Spektrums nicht irgendwer]. | |
| Wegner war die meist beachtete Stimme, als er im Sommer 2023 nach einem | |
| verunglückten ZDF-Interview von Merz auf die Brandmauer zur AfD pochte. Er | |
| ist auch einer der führenden CDU-Kritiker an Merz’ Festhalten an der | |
| Schuldenbremse. | |
| Begleitet wird all das am Donnerstagvormittag von einer Aktion jener drei | |
| Fraktionen, die die Linksfraktion wieder in einer Koalition vereint sehen | |
| möchte. Als AfD-Redner Martin Trefzer ans Mikrofon tritt, wenden sich alle | |
| Abgeordneten von SPD-, Grünen- und Linksfraktion in ihren Sitzen von ihm | |
| ab. Für Distanz zum Redner und seiner Partei steht das offenbar. Am Mikro | |
| beschreibt der AfD-Abgeordnete derweil das Leiden der | |
| Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer und kritisiert Antisemitismus. | |
| 30 Jan 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Debatte-um-Migrationsrecht/!6062144 | |
| [2] https://www.bundestag.de/parlament/plenum/abstimmung/abstimmung?id=940 | |
| [3] /Berlins-CDU-Chef-fuehrt-Kritiker-an/!5958700 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Alberti | |
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