# taz.de -- Konflikt im Ostkongo: Die Twitter-Krieger | |
> Eine gebildete Rebellenarmee kämpft in Ostkongo. Gegen Präsident Kabila, | |
> den sie für eine Witzfigur hält. Gegen ehemalige Mitkämpfer. Und gegen | |
> ihren schlechten Ruf. | |
Bild: Krieger hinter Schnittblumen: Ein M23-Mitglied bewacht eine Pressekonfere… | |
GOMA/RUTSHURU taz | Auf Twitter attackieren sie ihre Kritiker: Journalisten | |
wie UN-Ermittler. Auf Facebook posten sie Videos: Etwa das Ende des | |
Comicfilms „König der Löwen“ – die finale Schlacht. Auf Blogs | |
veröffentlichen sie Fotos von Opfern angeblicher UN-Bomben. Und | |
Pressesprecher Vianney Kazarama klingelt morgens um 6 Uhr Journalisten aus | |
dem Bett, um einen „Massakerschauplatz“ zu zeigen. Die | |
Öffentlichkeitsarbeit der ostkongolesischen M23-Rebellen läuft auf | |
Hochtouren. | |
Der Anführer dieser Bewegung 23. März, Oberst Sultani Makenga, gibt sich | |
hingegen medienscheu. Er verabscheut Kameras. Das konnte man ihm deutlich | |
ansehen, als er kurz nach der Eroberung der Grenzstadt Bunagana Anfang Juli | |
in einem Klappstuhl hoch oben auf einem Hügel seine erste und bislang | |
einzige Pressekonferenz gab. | |
Der große Mann in Khaki-Uniform mit Pistole am Gürtel wurde von seinen | |
Offizieren mit iPhones gefilmt. Doch während des Interviews surfte Makenga | |
gedankenverloren mit seinem Smartphone. | |
Immerhin: Für die M23-Facebook-Seite posiert er kurz für ein Foto, hoch | |
oben auf dem Hügel. Hinter ihm im Tal liegen im Abendrot die glitzernden | |
Hausdächer von Bunagana, der strategischen Grenzstadt im Dreiländereck | |
zwischen Ostkongo, Uganda und Ruanda. | |
## Kongos Regierung in der Defensive | |
Das Bild ist ein Symbol der Stärke der jüngsten Rebellenarmee des Kongo. | |
Anfang Juli hat die M23 begonnen, aus ihren Basen in den Vulkanbergen an | |
der Grenze in die ostkongolesische Provinz Nordkivu vorzudringen. Kongos | |
Regierung gerät mit jeder Woche, in der ihr dazu kein Gegenmittel einfällt, | |
stärker in die Defensive. | |
Um diesen Krieg zu verstehen, muss man die Biografien und persönlichen | |
Motive der M23-Offiziere kennen. In Gesprächen mit Makengas engsten | |
Gefährten wird deutlich: Sie gehören einer jungen, globalisierten und | |
gebildeten Generation an. | |
Die meisten sprechen neben Französisch, Kisuaheli, Lingala und Kinyarwanda | |
fließend Englisch, sogar mit Oxford-Akzent. Auf ihren SmartPhones spielen | |
sie Gospelmusik oder zeigen die Fotos ihrer Freundinnen. Sie kommunizieren | |
gern via G-Chat. Sie haben an internationalen Universitäten Jura oder | |
Business Management studiert. | |
Zugleich aber sind sie gestandene Krieger. Die meisten begannen schon | |
1996/97 als Kindersoldaten in Laurent-Désiré Kabilas Rebellenallianz AFDL | |
(Allianz der Demokratischen Kräfte zur Befreiung von Kongo-Zaire). Diese | |
eroberte – unterstützt von den Nachbarstaaten Ruanda, Uganda und Angola – | |
in einem Blitzkrieg das damalige Zaire bis hin zur Hauptstadt Kinshasa und | |
stürzte den damaligen Diktator Mobutu. | |
## Taxifahrer als Oberkommandeur | |
Als Laurent-Désiré im Jahr 2001 ermordet wurde, folgte ihm sein Sohn Joseph | |
als Präsident. Der wurde 2006 in Wahlen bestätig, aber in den Augen der | |
alten Kämpfer ist er nur eine „Witzfigur“: eine Rebellion hat er selbst nie | |
angeführt, er ist nicht einmal gelernter Soldat; in seiner Jugend schlug er | |
sich in Tansania als Taxifahrer durch. Ihn als Oberkommandierenden | |
anzuerkennen käme einer Demütigung gleich. „Das ist der letzte Krieg, wir | |
wollen eine Revolution“, heißt es immer wieder bei der M23. | |
Schon ab 2006 kämpften diese Soldaten unter der Führung von Tutsi-General | |
Laurent Nkunda die Rebellenarmee CNDP (Nationalkongress zur Verteidigung | |
des Volkes) in Nordkivu gegen Kabilas Armee. Am 23. März 2009 wurde ein | |
Friedensvertrag geschlossen, 6.000 CNDP-Kämpfer wurden in die Armee | |
integriert, ihr damaliger Führer Bosco Ntaganda als General. | |
Doch dieser Frieden dauerte nur drei Jahre. Dann kam Joseph Kabila, frisch | |
wiedergewählt, nach Goma und hielt eine öffentliche Rede. Er denke darüber | |
nach, verkündete der Präsident am 11. April 2012, Bosco Ntaganda verhaften | |
zu lassen. Denn der Internationale Strafgerichtshof sucht ihn per | |
Haftbefehl wegen mutmaßlicher früherer Rekrutierung von Kindersoldaten. | |
Daraufhin marschierte Ntaganda mit seinen Truppen in einer Parade aus Goma | |
hinaus und zog sich auf seine Farm in Mushaki in den Masisi-Bergen zurück. | |
Weitere Deserteure folgten. Anfang Mai konstituierten sich die Meuterer als | |
M23, benannt nach dem Friedensvertrag vom 23. März 2009, dessen | |
Nichtumsetzung sie anprangern, und richteten sich nahe der ruandischen | |
Grenze ein, bis sie Anfang Juli zum Angriff übergingen. | |
## Rebellen kritisieren Korruption | |
Die M23-Führung besteht hauptsächlich aus ehemaligen CNDP-Offizieren. Wie | |
schon ihre Vorläuferorganisation präsentiert sich die M23 als „Rebellion | |
des Volkes“, die für die Interessen der Bevölkerung kämpft: In Reden und | |
Ansprachen im Radio kritisieren sie Korruption, schlechte | |
Regierungsführung, permanente Unsicherheit und Kongos dysfunktionalen | |
Staat. | |
Damit trifft die M23 zwar die Stimmung im Land – doch Kämpfe bedeuten für | |
die Menschen in den Kriegsgebieten stets Vertreibung, Krankheit, | |
Traumatisierung oder Tod. Das sei ein „Terrorregime“, erzählen Zivilisten | |
im M23-Territorium – hinter vorgehaltener Hand. | |
Die M23 hat derzeit ihr Hauptquartier im Hotel St. Ana in der Stadt | |
Rutshuru. Täglich rufen dort weitere Anführer lokaler ethnischer Milizen | |
an, die sich dem Krieg anschließen wollen. Oder Regierungsoffiziere, die | |
überlaufen wollen. Mit langen Wegbeschreibungen werden diese dann nach | |
Rutshuru gelotst, zum Strategiemeeting mit dem M23-Oberkommando. So wird | |
die Liste der Mitglieder der „Koalition der bewaffneten Gruppen“ täglich | |
länger. | |
Diese Koalition verbessert nicht nur die Kampfstärke der M23, sondern auch | |
ihr Image. Als Nachfolgeorganisation des CNDP stehen die Rebellen in dem | |
Ruf, reine Tutsi-Interessen zu verfolgen. Je mehr andere Milizen sich mit | |
ihnen verbünden, desto breiter ihre Basis. Die Koalition der Milizen hat | |
zwar kein gemeinsames Kommando und keine gemeinsamen Truppen. Aber eine | |
Strategie. Und ein Ziel: Flickenteppichartig soll ganz Ostkongo der | |
Kontrolle des Staates entzogen werden. | |
## Ehemaliger Anführer in Ruanda im Hausarrest | |
Ein sehnsüchtiges Seufzen geht durch den Speiseraum des Hotels, als Fotos | |
des ehemaligen CNDP-Anführers Laurent Nkunda auf dem Bildschirm aufblitzen | |
– das Fotoarchiv eines ehemaligen Nkunda-Leibwächters, das die taz auf | |
einem USB-Stick mitgebracht hat. | |
In Erinnerungen schwelgend, klicken die M23-Rellen durch die Bilder. „Ach, | |
Afande, wir vermissen ihn so sehr“, heißt es zu Nkunda. Der einstige | |
CNDP-Anführer sitzt heute in Ruanda im Hausarrest. Von seinen alten | |
Kampfgefährten wird er noch immer verehrt. | |
Die M23 ist nämlich nicht so einig wie es aussieht. In vielen Berichten ist | |
fälschlicherweise zu lesen, der abtrünnige Bosco Ntaganda sei ihr Anführer. | |
Der hatte 2009 erst Laurent Nkunda als CNDP-Chef gestürzt, dann den | |
Friedensvertrag mit Kongos Regierung geschlossen und hingenommen, dass | |
Ruandas Armee seinen Rivalen Nkunda festnahm, während er selbst als General | |
der kongolesischen Regierung mächtig und reich wurde. Jahrelang war | |
Ntaganda danach der „Big Man“ in Nordkivu. | |
Tatsächlich aber ist Sultani Makenga Chef der M23. Der alte Rivale | |
Ntagandas in der CNDP, der ab 2009 als Oberst in Südkivu stationiert war, | |
gilt bis heute als Nkunda-treu. | |
## Kriegsverbrecher versteckt sich im Wald | |
„Ntaganda schadet unserem Ansehen“, sagen M23-Offiziere. Er befinde sich | |
nicht im M23-Oberkommando, sondern verstecke sich mit rund 100 seiner | |
Anhänger im dichten Dschungel im Virunga-Nationalpark. Mehrfach habe die | |
M23 Trupps in den Wald geschickt, um Ntaganda zu fassen. Doch da er noch | |
Vertraute in der M23 habe, erfahre er das immer rechtzeitig. | |
Die M23 sagt, sie würde Ntaganda übergeben, an Den Haag oder an Kongos | |
Regierung. Den als Kriegsverbrecher gesuchten General publikumswirksam aus | |
dem Weg zu räumen würde das Ansehen der M23 gewaltig aufpolieren. | |
Das kann sie brauchen, denn die jüngsten Berichte, dass die Rebellentruppe | |
massiv von Ruanda und auch von Uganda unterstützt wird, haben sie in ein | |
schlechtes Licht gerückt. Diverse Quellen bestätigen, dass es der M23 nur | |
deshalb gelang, Bunagana, Rutshuru und Rumangabo einzunehmen, weil sie von | |
ruandischen und ugandischen Reservebataillonen unterstützt wurde, die sich | |
danach wieder über die Grenze zurückzogen. Es gibt zahlreiche | |
Augenzeugenberichte von Einwohnern, die gesehen haben, wie Militärlastwagen | |
die Grenzen passierten. | |
So fällt es Kongos Regierung leicht, die Rebellen als Marionetten des | |
Auslands abzutun, und die Probleme, die die M23 zur Legitimation ihres | |
Kampfes angibt, zu ignorieren. Militärisch aber hilft ihr das nicht weiter. | |
Die Regierungsarmee wirkt wie eine Lumpenarmee: Beim letzten Versuch, die | |
M23 nördlich von Goma zurückzudrängen, stürmten die Soldaten sturzbetrunken | |
an die Front. Eine ernsthafte Reform der Streitkräfte wäre überfällig, doch | |
daran ist nicht zu denken, solange die Generäle in Kinshasa dabei ihre | |
Seilschaften und Einkommen verlieren. | |
9 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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