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# taz.de -- Kommentar Spenden für Seenotrettung: Rackete hat es uns leichtgema…
> EU-Staatschefs sehen dem Sterben im Mittelmeer zu, Bürger fühlen sich
> handlungsunfähig. In diesem Vakuum wurde Carola Rackete zur Heldin.
Bild: Perfekte Antagonistin für Italiens Innenminister Matteo Salvini: „Sea-…
Es war der Moment, als die Kapitänin die Gangway ihres Bootes
herunterschritt. Carola Rackete verlässt die „Sea-Watch 3“ und wird in ein
bereits wartendes Polizeiauto geleitet. Gerade hatte sie [1][40 Flüchtlinge
in einen lampedusischen Hafen gefahren] und damit ein politisches Statement
abgegeben. Und egal, ob es ihr vorrangig um die Rettung ging oder vorrangig
um das Statement oder um beides: Das war der Moment, in dem sie zur Heldin
wurde. Stumm ging sie diesen Gang, ernsthaft, würdevoll. Pathetisch klingt
das, aber so muss es sein, wenn Bilder erzeugt werden, die bleiben werden,
weil sie so vieles bedienen.
Die Kapitänin, die man schon vorher in einem Video erleben konnte, wie sie
ruhig, sachlich, vielleicht etwas erschöpft den Ernst der Lage an Bord
ihres Schiffs geschildert hatte. Dunkel war’s, tief in der Nacht,
schemenhaft zeichnete sich hinter ihr die Brücke ab, von wo aus sie die
„Sea-Watch 3“ einsam steuert in politisch heikler Mission. Das Bild
[2][einer verantwortungsvollen Frau].
Für die Ikonisierung war noch etwas wichtig: Racketes männlich-derber
Gegenspieler, Innenminister Matteo Salvini, war immer dann, wenn man
Rackete sah, zwar nicht anwesend, [3][aber doch sichtbar]. Sie im schwarzen
Top, er – dieses Bild von ihm hat sich eingeprägt – im weißen Hemd, das er
trägt wie die Uniform des Polit-Rabauken. Als Gegenmodell, als der, gegen
den sich der Auftritt der Kapitänin vor allem richtet – aber nicht nur.
Wer wollte, konnte Rackete in diesem Moment auch hassen. Angeschrien wurde
sie, als sie abgeführt wurde, in Handschellen wollte eine schrill brüllende
Frau sie sehen. Aber auch das gehört zur Stilisierung dazu. Ohne
Gegenposition geht’s nicht. Zumal diese Stimme sozusagen [4][die Stimme
Salvinis] war, die da brutal dröhnte. Wieder war er anwesend, ohne sichtbar
zu sein. Seine Anhänger nennen ihn „capitano“.
Die Bilder also stimmten, aber was ist mit der Tat?
Carola Rackete hat Flüchtlinge in einen Hafen gebracht. Allein das wieder
so eine starke Symbolik. Das Meer, die bedrohliche Macht; doch nicht
abschreckend genug, um dem Schrecken – der Fluchtursache, wie es so
technisch heißt – zu entkommen. Menschen, verzweifelt genug, um die
gefährlichste Route von allen einzuschlagen, auf der Suche nach Sicherheit.
## Auf dem Meer gilt die Menschenwürde nicht
Wie es sein kann, dass Carola Rackete mit ihrer Tat eine derartige Welle
schlug, lässt sich nur erklären, wenn man die Lücke, die sie damit gefüllt
hat, genauer betrachtet. Sie hat gehandelt, wo die EU über Jahre durch
Unterlassung ein Vakuum hat erzeugt hat. Tat gegen Tatenlosigkeit.
Rackete hat sich gegen die fahrlässig massenhaft den Tod durch Unterlassen
in Kauf nehmende Flüchtlingspolitik der EU gestellt. Und damit sehr
drastisch offengelegt, was Europa im Umgang mit Flüchtlingen ausmacht:
Verantwortungslosigkeit, Handeln durch Nichtstun, das Menschen erst in die
Lage bringt, mit persönlich hohem Risiko etwas zu tun und sich selbst in
Gefahr zu bringen. Zehn Jahre Haft, hohe Geldstrafe? Rackete, als Kapitänin
[5][kundig auch in Seerecht], nahm das in Kauf. Und dabei ist es egal, dass
sie die Symbolik ihres Tuns vielleicht kalkulierend im Kopf hatte. Sie hat
gerettet, das zählt. Alles andere tritt dahinter zurück.
Ja, das ist [6][Europa in diesen Zeiten]: Es lässt nicht nur massenhaft und
immer wieder Menschen auf jenem Meer ertrinken, das einst Sehnsuchtsort war
und heute mehr denn je ein Todesort geworden ist; es bringt auch diejenigen
in Gefahr, die den Humanismus, auf dem die EU gründet, verinnerlicht haben
und leben. Als sei irgendwo auf dem Meer eine Grenze gezogen worden, hinter
der die Werte, auf denen die Staatengemeinschaft fußt, nicht gelten: die
Wahrung der Menschenwürde, Hilfe in Not.
Dieses Europa macht Menschen wie Carola Rackete zu Figuren, die brutal in
die Öffentlichkeit gezerrt werden, in dem einer wie Salvini sie öffentlich
als „kriminell“ bezeichnet oder Medien wie die Neue Zürcher Zeitung, die in
der migrationspolitischen Debatte längst Maß und Mitte verloren haben, ihr
einen „unerhörten Rechtsverstoß und eine Missachtung, ja Verhöhnung der
italienischen Staatsautorität“ vorwerfen. Europa lässt zu, dass ein Mensch,
weil er die Menschenwürde verteidigt, instrumentalisiert wird, indem
Salvini, nachdem eine Richterin Racketes Tat als rechtmäßig bezeichnet hat,
nun Anstalten macht, die unabhängige italienische Justiz anzugreifen und
umzubauen.
## So nachahmenswert, so kühn
Helden sind zum Bewundern da, und mit ihrer Tat machte Rackete es ihren
Bewunderern leicht. Weil es so entlastend war, was sie tat. So
nachahmenswert, so kühn. Viele müssen doch gedacht haben: Ich hätte genauso
gehandelt – nur habe ich ja leider, leider kein Kapitänspatent.
Noch etwas war einfach: die Scham über das eigene Nichtstun zu mindern
durch Freikaufen. Natürlich verdiente sie Solidarität, aber die
Klick-Solidarität ist eben auch sehr einfach: Handy raus, SMS geschickt mit
seawatch5, zack, schon waren wieder 5 Euro eingegangen, zum Beispiel auf
einem von den beiden TV-Stars Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf
eingerichteten Spendenkonto. So einfach, so gut. 1,5 Millionen Euro kamen
bislang zusammen. Ohne zu wissen, ob „Sea-Watch“ das Geld überhaupt
braucht, [7][ob es nötig sein wird]. Na ja, irgendetwas Sinnvolles werden
sie damit schon machen.
Einfach war es auch für Politiker, die wie Zuschauer wirkten, weil sie ihre
Rolle nicht annahmen. So wie Außenminister Heiko Maas, der nach Racketes
Festnahme fordern konnte, sie müsse freigelassen werden, denn wer
Menschenleben rette, sei kein Verbrecher. Das klingt gut und stimmt ja
auch, überpinselt aber, wo die eigentliche Ursache liegt für Racketes Tat
und die Folgen.
Je größer die Untätigkeit, je machtlustloser die Mächtigen, desto leichter
ist es, zur Heldin zu werden. So ist es Carola Rackete geschehen.
6 Jul 2019
## LINKS
[1] /Sea-Watch-Kapitaenin-festgenommen/!5608445
[2] /Kapitaenin-Carola-Rackete/!5603951
[3] /Kapitaenin-Carola-Rackete/!5609301
[4] /Politikberater-ueber-Seenotrettung/!5608934
[5] /Seerechtsprofessorin-ueber-Seenotrettung/!5609148
[6] /Kommentar-Seenotrettung-im-Mittelmeer/!5585170
[7] /Spenden-fuer-Carola-Rackete/!5609350
## AUTOREN
Eleonore Grahovac
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