# taz.de -- Kommentar NPD-Verbotsverfahren: Austrocknen statt auflösen | |
> Das Bundesverfassungsgericht hat die Hürde für Parteiverbote ziemlich | |
> hoch gelegt. Einen Mittelweg stellt das NPD-Urteil aber nur scheinbar | |
> dar. | |
Bild: Entschieden: Verfassungsrichter Andreas Voßkuhle setzt seine Kopfbedecku… | |
Kann eine Partei nur verboten werden, wenn sie eine Gefahr für die | |
Demokratie darstellt? Oder kommt es auf eine derartige Gefahr gar nicht an, | |
sondern nur auf die verfassungsfeindlichen Ziele der Partei? Diese Frage | |
musste das Bundesverfassungsgericht jetzt entscheiden – als Maßstab für den | |
NPD-Verbotsantrag. | |
[1][Karlsruhe hat sich für einen Mittelweg entschieden]. Eine Gefahr für | |
die Demokratie müsse nicht nachgewiesen werden, aber doch ein Potenzial | |
dafür, die verfassungsfeindlichen Ziele „in absehbarer Zeit“ zu erreichen. | |
Doch das ist nur ein scheinbarer Mittelweg. Denn was ist in dieser | |
turbulenten Weltlage schon die „absehbare Zeit“? Die Richter beantworten | |
das nicht. Die Antwort wäre wohl auch eher peinlich. Weiter als zwei bis | |
drei Monate sehen wir derzeit nicht. Ob Marine Le Pen französische | |
Präsidentin wird, die Nazipartei Jobbik in Ungarn die Regierung übernimmt, | |
die AfD mit der CSU koaliert oder sächsische Bürgerwehren sich mit | |
Billigung der Landesregierung bewaffnen? Wir wissen es nicht. Die Zeiten | |
sind irre. | |
Die Richter haben dagegen ihre Phantasie gezügelt und sich die Gegenwart | |
angeschaut. Derzeit ist die NPD unbedeutend, dann wird sie es wohl auch | |
weiterhin bleiben. Wenn von der Partei derzeit keine Gefahr ausgeht, dann | |
wird sie auch zukünftig ungefährlich sein – „auf absehbare Zeit“. Fakti… | |
kommt es den Richtern also doch auf eine gegenwärtige oder unmittelbar | |
bevorstehende – also schon sichtbare – Gefahr für die Demokratie an. | |
Das heißt: Karlsruhe hat die Hürde für Parteiverbote ziemlich hochgelegt. | |
Aus demokratietheoretischer Sicht ist das durchaus zu begrüßen. Denn ein | |
Parteiverbot ist in der Demokratie stets ein Selbstwiderspruch; ein Indiz | |
dafür, dass man der Entscheidung der Staatsbürger eben doch nicht traut und | |
vorsorglich manche Wahlmöglichkeiten aussortiert. | |
## Weniger Zusatzarbeit | |
Sicher hat dieser Gedanke in Karlsruhe eine Rolle gespielt. Aber es gibt | |
auch pragmatischere Gründe. Wenn Deutschland zu niedrige Hürden für ein | |
Parteiverbot hat, dann hätte eine betroffene Partei gute Chancen, dass der | |
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg das Verbot wieder | |
aufhebt. Ein „reales Potenzial“ für den Erfolg einer demokratiefeindlichen | |
Partei fordert allerdings auch der Straßburger Gerichtshof. | |
Außerdem hat Karlsruhe ein Eigeninteresse, dass es nicht ständig | |
Parteiverbots-Anträge erhält, etwa gegen jede extremistische Kleinpartei. | |
Da das Bundesverfassungsgericht in solchen Verfahren ausnahmsweise erste | |
Instanz ist, sind sie besonders arbeitsaufwändig. Es gilt deshalb die | |
Formel: Je höher die Karlsruher Hürden, desto weniger Verbotsanträge, desto | |
weniger Zusatzarbeit. | |
Das mag jetzt etwas böswillig klingen. Aber nach dem Urteil vom Dienstag | |
ist es doch eher zweifelhaft, dass es Karlsruhe nur um den freien | |
demokratischen Diskurs geht. Relativ unverhohlen riefen die Richter die | |
Politik dazu auf, das Grundgesetz zu ändern und Parteien wie die NPD von | |
der Parteifinanzierung auszuschließen. Solche Parteien werden zwar nicht | |
mehr aufgelöst, könnten dann künftig aber finanziell ausgetrocknet werden. | |
„Schlagt sie nicht tot, verkrüppelt sie nur“, könnte man diese Logik | |
zusammenfassen. | |
## Frage der Parteifinanzierung | |
Die Frage der Parteifinanzierung stand im NPD-Verfahren zwar überhaupt | |
nicht zur Debatte, aber die Richter haben sie einfach mal aufgebracht – | |
vielleicht damit die Öffentlichkeit das NPD-Urteil und die neuen Maßstäbe | |
besser akzeptiert. Tatsächlich haben am Dienstag gleich einige Politiker | |
angekündigt, [2][jetzt müsse der NPD aber die Parteifinanzierung gestrichen | |
werden]. Wenn das der Plan war, ist er prächtig aufgegangen. | |
Wie heikel der Vorschlag ist, manche Parteien von der Staatsfinanzierung | |
auszunehmen, zeigt ein Blick in die alte Karlsruher Definition der | |
„freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ (fdGO). Seit 1952 war ein | |
fdGO-Element die „Chancengleichheit aller Parteien“. Eine Partei, die | |
darauf ausging, andere Parteien systematisch zu benachteiligen, konnte vom | |
Bundesverfassungsgericht sogar verboten werden. | |
Das muss jetzt niemand mehr befürchten. Denn (zufällig) hat Karlsruhe die | |
fdGO im NPD-Urteil neu definiert, diesmal ohne „Chancengleichheit der | |
Parteien“. Das ist konsequent. | |
18 Jan 2017 | |
## LINKS | |
[1] /Bundesverfassungsgericht-zur-NPD/!5372064/ | |
[2] /Reaktionen-auf-das-NPD-Urteil/!5372007/ | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
## TAGS | |
NPD | |
Verbotsverfahren | |
Bundesverfassungsgericht | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
NPD | |
NPD-Verbot | |
NPD-Verbot | |
NPD-Verbot | |
NPD-Verbot | |
Onlinemedien | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
NPD-Verbot | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Thüringens Innenminister über Parteiverbot: „Die AfD ist verfassungsfeindli… | |
Georg Maier meint, dass man das AfD-Verbotsverfahren jetzt vorbereiten | |
sollte. Das müsse aber begründet sein, erklärt der SPD-Politiker. | |
Beschluss zur Parteienfinanzierung: Kein Cent für Nazis | |
Der Bundestag entzieht verfassungsfeindlichen Parteien die staatliche | |
Finanzierung. Das zielt auf die NPD – für sie könnte es existenziell | |
werden. | |
De Maizière nach gescheitertem Verbot: Keine Staatskohle mehr für NPD | |
Üblicherweise werden Initiativen zur Änderung des Parteienrechts vom | |
Parlament ergriffen. Jetzt aber hat der Innenminister eine | |
Formulierungshilfe vorgelegt. | |
Nach gescheitertem NPD-Verbot: Dann eben über die Kohle | |
Die Bundesregierung prüft, ob der NPD das Geld vom Staat gekappt werden | |
kann. Die SPD will eine Gesetzesänderung noch in dieser Legislaturperiode. | |
Bundesverfassungsgericht zur NPD: Kein Potenzial, keine Perspektive | |
Das „Volksgemeinschafts“-Konzept verstößt zwar gegen Menschenwürde und | |
Demokratie – aber die NPD habe nicht die Möglichkeit, es umzusetzen. | |
Reaktionen auf das NPD-Urteil: Jetzt geht’s an die Kohle | |
Nach dem gescheiterten Verbot der NPD geben sich die Länder trotzig und | |
prüfen den Entzug von Staatsgeldern für die Partei. Die feiert derweil. | |
Mediale Verwirrung um NPD-Verbot: Immer schneller, immer falscher | |
Wenn Online-Medien in Hast geraten, liegen Eil- und Falschmeldungen | |
manchmal nah beieinander. Das Ergebnis: Verwirrung. | |
Kommentar Karlsruher NPD-Urteil: Ein starkes Zeichen | |
Die Entscheidung der Richter war richtig. Der Kampf gegen rechts wäre mit | |
einem Verbot nicht erledigt, schon gar nicht, solange die AfD Erfolg hat. | |
NPD-Verbot wurde abgelehnt: „Es fehlt an Gewicht“ | |
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Die NPD wird nicht verboten. | |
Die Rechtsextremen tönen bereits: Nun werde man „durchstarten“. |