# taz.de -- Kommentar Heimatbegriff: Sollen sich die Rechten drum kloppen | |
> Weiß, christlich, patriarchal: Wie Horst Seehofers Heimatministerium alle | |
> ausgrenzt, die nicht ins Bild passen. | |
Bild: Linke Zeitungen schreiben, dass man den „Heimat“-Begriff nicht den Re… | |
Wie schwer es ist Deutschland als Heimat zu empfinden, auch wenn man | |
niemals in einem anderen Land gelebt hat, das zeigt etwa die Geschichte von | |
Imoan Kinshasa. Als Kinshasa im vergangenen Sommer ein Volksfest besuchen | |
will, wird ihr relativ schnell gezeigt, dass sie hier nicht erwünscht ist. | |
Alle Augen kleben an ihr, Leute tuscheln, brechen in Gelächter aus oder | |
beschimpfen sie direkt. | |
Die damals 25-Jährige, geboren am Chiemsee, aufgewachsen im bayrischen | |
Achental, trägt ein Dirndl – nicht zum ersten Mal natürlich, schließlich | |
ist sie Bayerin. Sie trug eines zur Einschulung und bei ihrer Arbeit als | |
Kellnerin und schon auf zig Volksfesten. Doch im Juli 2018 sagt man ihr | |
plötzlich: „Jetzt hab ich alles gesehen, ein N**** in Tracht, das kann ich | |
jetzt abhaken.“ | |
Kinshasa hat ihre Erfahrungen in einem Facebook-Post öffentlich gemacht, | |
in dem sie resümiert, dass es für sie als Schwarze Deutsche inzwischen | |
No-go-Areas gebe. Denn: Es wird politisch Stimmung gemacht. „Wenn von oben | |
herab Hetze betrieben wird, sinkt die Hemmschwelle für rassistisches | |
Verhalten. Wenn dies auch noch kaum rechtliche oder gesellschaftliche | |
Konsequenzen hat, wird Rassismus geduldet“, sagte die 25-Jährige | |
IT-Trainerin [1][im Interview mit dem Onlinemagazin watson]. | |
Man kann hinzufügen: Wenn der amtierende Innenminister diese Hetze | |
mitbetreibt – zum Beispiel im vergangenen Sommer, als er zu den | |
Neonazi-Aufmärschen in Chemnitz erst tagelang schwieg und schließlich | |
Verständnis äußerte – dann ist Rassismus bereits so etwas wie Staatsräson. | |
Wenn dieser Innenminister, Horst Seehofer, sich seit seinem Amtsantritt | |
dann auch noch Heimatminister nennen darf, lässt sich die eigentlich recht | |
vage Bedeutung des Wortes „Heimat“ schnell auf bestimmte Nenner bringen: | |
geschlossene Grenzen, möglichst viele Abschiebungen, weiß, christlich, | |
streng-patriarchal. | |
Erschreckend ist dabei, wie schnell dieses vom Himmel gefallene Ding | |
[2][namens Heimatministerium] (Kurzbezeichnung für „Ministerium des Innern, | |
für Bau und Heimat“) zu einer kaum hinterfragten Realität geworden ist. | |
Gerade mal im März 2018 gegründet, anfangs natürlich etwas belächelt und | |
kritisiert, scheint es bereits ein Jahr später normalisiert. Die Grünen | |
veranstalten Podien, wo es darum geht, dass „Heimat“ ja so etwas wie | |
„Geborgenheit“ bedeute. Linke Zeitungen schreiben, dass man den | |
„Heimat“-Begriff nicht den Rechten überlassen dürfe. Wir fragen uns: Wieso | |
denn nicht? | |
## „Also für mich seid ihr alle Deutsche!“ | |
Vielen Menschen in diesem Land fällt bei „Heimat“ alles andere als | |
Geborgenheit ein. „Heimat“ war immer rechts und das kann sie auch gerne | |
bleiben. Da ist die NPD, die sich als „Heimatpartei“ begreift, da ist der | |
„Thüringer Heimatschutz“, aus dem der NSU hervorging. Da ist die gesamte | |
NS-Ideologie, in der Heimat keine unwesentliche Rolle spielte, um einen | |
großen Teil der Bürger_innen dieses Landes zum Feind zu erklären und | |
auszulöschen. Wozu soll dieses Wort also positiv besetzt werden? | |
Beziehungsweise: Geht das überhaupt? | |
Da diese Frage lange vor der Umbenennung des Innenministeriums hätte | |
geklärt werden müssen, und zwar in Form einer öffentlichen Diskussion, | |
lässt sich darauf nur noch rückwirkend antworten. Und diese Antwort lautet: | |
Nein. | |
Denn die Institutionalisierung dieses Begriffs ging einher mit einer Person | |
und deren Aussagen, die die Beweggründe dahinter auch unabhängig von der | |
Historie deutlich erkennen lassen: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“, | |
„Migration ist die Mutter aller Probleme“, „Ausgerechnet an meinem 69. | |
Geburtstag sind 69 – das war von mir nicht so bestellt – Personen nach | |
Afghanistan zurückgeführt worden.“ Wenn ein Minister mit diesen drei | |
Slogans antritt, wofür soll dieses neue Ministerium denn stehen, wenn nicht | |
für eine neovölkische Politik? | |
Warum wird das so hingenommen? Warum wird mit angesehen, wie etwa ein | |
Viertel unserer Bevölkerung, die einen Migrationshintergrund hat, und | |
unzählige weitere Schwarze Menschen und People of Color ohne | |
Migrationsgeschichte (zumindest ohne eine, die nur zwei Generationen | |
zurückreicht), zum Problem und zur Zielscheibe erklärt werden? | |
„Also für mich seid ihr alle Deutsche!“ lautet ein gut gemeinter Satz, den | |
Linke gerne zum Trost aussprechen. Aber wenn solchen Worten keine Taten | |
folgen, wenn dieses Heimatministerium einfach akzeptiert oder gar zum | |
„Geborgenheits“-Ministerium verklärt wird, dann sind diese Worte eine | |
absolute Frechheit und sonst nichts. | |
## Entmenschlichender Prozess | |
Denn es ist dasselbe Spiel wie schon bei der Integrations- oder der | |
Leitkulturdebatte: Angeblich wird damit verlangt, dass sich die „Anderen“ | |
an bestimmte Werte der Mehrheit anpassen oder eben sich zu dieser „Heimat“ | |
bekennen, um als ebenbürtige Bürger_innen anerkannt zu werden. Tatsächlich | |
aber kannst du dich bekennen und integrieren und anpassen, so viel du | |
willst, du kannst als Deutsche geboren und aufgewachsen sein – als Schwarze | |
Frau im Dirndl zeigt der Finger trotzdem auf dich. | |
Doch auch wer meint, sich als weiße Person, die queer oder trans ist, | |
einfach in das System Heimat einklinken zu können, wird auf lange Sicht | |
merken, dass der Plan nicht aufgeht. Weißsein ist zwar ein Kleister, der | |
viele unterschiedliche Personen und Positionen zusammenfügen kann. Aber ist | |
das erste Feindbild erst mal bekämpft, werden neue „Andere“ geschaffen. | |
Wer queer, trans oder inter ist, fällt aus dem normativen Gerüst der | |
heteronormativen Heimat heraus. Schauen wir uns das gegenwärtige | |
Deutschland, den Schauplatz von Horst Seehofers Heimat, an, so wird | |
deutlich, dass hier mehr als zwei Geschlechter ohnehin nicht vorgesehen | |
sind. Das mag zunächst verwundern: Schließlich war der Begriff | |
„Gendersternchen“ der Anglizismus des Jahres 2018. | |
Das Aufbegehren von Feminist_innen im Allgemeinen und Queerfeminist_innen | |
im Besonderen findet seit einigen Jahren nicht mehr nur in der Nische | |
statt, sondern taucht immer wieder an prominenten, weil viel öffentlicheren | |
Platzierungen auf. Selbst der deutsche Bundesgerichtshof entschied im | |
Herbst 2017, dass die Zweigeschlechtlichkeit einige Menschen diskriminiert: | |
Nicht jede_r kann und will sich in den Dualismus Mann oder Frau einordnen. | |
Her musste also ein neues Gesetz für die sogenannte Dritte Option. | |
Aber: Jegliche Chancen, einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag für | |
nicht-binäre inter und trans Personen zu ermöglichen, wurden durch den | |
[3][Gesetzesentwurf zur Dritten Option] vom Heimatminister persönlich | |
zunichte gemacht. Zwar stuft die WHO seit 2018 Transgeschlechtlichkeit | |
nicht mehr länger als Krankheit ein – wie sie es bis in die 1990er Jahre | |
übrigens auch mit Homosexualität getan hat –, doch das hindert Seehofer | |
nicht daran, diese Identitäten wie psychische Störungen zu behandeln. An | |
dem entmenschlichenden Prozess bis zur Veränderung des Geschlechtseintrags, | |
der lauter Untersuchungen, psychologische Atteste und eine Menge | |
bürokratischen Aufwand vorsieht, hat sich nicht wirklich etwas verändert. | |
## Unsolidarisches Verhalten | |
Dies mag für Leute, die nicht betroffen sind, nach einer Kleinigkeit | |
klingen. Sie können sich nicht vorstellen, dass das eigene Geschlecht stets | |
hinterfragt wird, dass übergriffige Fragen über die Genitalien, ihr | |
Sexleben und mögliche Kindheitstraumata formuliert werden. Dabei geht es | |
jedoch nicht um Befindlichkeiten, sondern um Delegitimation und | |
Ausgrenzung. Gesetze, in denen trans und inter Personen wie Freaks | |
behandelt werden, erlauben auf einer strukturellen Ebene einen | |
entsprechenden Umgang. Hasserfüllte, beleidigende Facebook-Kommentare unter | |
einem Video über nicht-binäre Personen erfahren durch solche Gesetze ihre | |
Bestätigung. | |
Nun sind weder Identitäten noch politische Praxis in Stein gemeißelt. Ein | |
historisches Beispiel bietet der 1984 verstorbene Pfarrer Martin Niemöller. | |
Selbst ein Ex-Nazi und Antisemit wie er war nicht sicher davor, im KZ zu | |
landen, sich später dem Widerstand anzuschließen und sich | |
contra-antisemitisch zu äußern. In seiner häufig zitierten Rede „Als sie | |
die Kommunisten holten …“ reflektiert er, wie sein damaliges | |
unsolidarisches Verhalten letztlich ihm selbst zur Last fiel. | |
Dies zeigt nicht zuletzt, wie nötig das Bilden von Allianzen heute ist: | |
Zwischen Geflüchteten und Migrant_innen, zwischen People of Color und | |
Schwarzen Menschen, zwischen Muslim_innen und Jüdinnen_Juden, zwischen | |
Menschen mit Behinderung und trans Personen, zwischen Linksradikalen und | |
Sexarbeiter_innen, die durch das [4][sogenannte Prostituiertenschutzgesetz] | |
faktisch mehr Bedrohung als Schutz erfahren. Diese Kombinationen sind | |
zufällig durcheinandergeworfen – aber auch, weil sie oft als antagonistisch | |
konstruiert werden. | |
Wenn sie füreinander einstehen, wenn die Ersten von ihnen durch das System | |
Heimat (und so: durch Rechte) bedroht werden, stellen sie sich der „Teile | |
und herrsche“-Strategie quer – und können gemeinsam die ausschließende | |
Heimat in ein gemeinschaftliches Zuhause transformieren. | |
17 Feb 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.watson.de/deutschland/rassismus/367669720-lederhosen-und-bier-s… | |
[2] /Heimatministerium/!t5483391 | |
[3] /Dritte-Option/!t5519239 | |
[4] /Prostituiertenschutzgesetz/!t5022203 | |
## AUTOREN | |
Fatma Aydemir | |
Hengameh Yaghoobifarah | |
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