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# taz.de -- Statements von SchriftstellerInnen: Literatur als Zeichen gegen Rec…
> Welche Ansprüche stellt Rechtspopulismus an Romane, Gedichte und
> Sachbücher? Vier Statements.
Bild: Hier stehen die Bücher rechts. Sollten sie links stehen? Oder mittig?
## Die Antwort könnte schmerzen
Rechtes Denken ist ja nichts Schönes. Es kann sehr belastend sein. Die
Gedanken kreisen in Dauerschleife immer wieder um dieselben Dinge: das
Eigene, das Volk, das Männliche, das Reine. Der, die oder das Andere, die
einem all das nehmen wollen. So ein Denken wünscht man seinem schlimmsten
Feind nicht.
Psychologen beschreiben solche Loops mit dem Wort „Rumination“. Es
bezeichnet auch das Wiederkäuen der Kühe. Während aber das Rind dabei aus
nährstoffarmem Gras Zucker und Eiweißbausteine gewinnt, hilft Rumination
dem rechten Denken nicht weiter: Sie zieht es immer tiefer in sein Problem
hinein.
Rechtes Denken zeichnet sich vor allem durch zwei Eigenschaften aus:
Abstraktheit und Selbstfokussierung. So wird das Problem weder gelöst noch
emotional verarbeitet. Die Schleifen sehen Psychologen mittlerweile als
Form von Vermeidung. Die Grübler wollen keine Antwort finden, weil die
Antwort zu schmerzhaft sein könnte. Es ist deshalb leichter für sie, auf
einer abstrakt kreisenden Ebene zu bleiben.
Therapien müssen berücksichtigen, dass die Betroffenen oft das Gefühl
haben, etwas Sinnvolles zu tun. Studien empfehlen daher das Konzept der
„achtsamkeitsbasierten kognitiven Therapie“, die es dem Patienten
ermöglicht, die Gegenwart absichtsvoll und bewusst zu erleben, so dass er
vom Kreisen der Gedanken Abstand nehmen kann. Dafür werden in
Gruppensitzungen Yogaübungen mit Sitzmeditation kombiniert.
Wissenschaftler, die sich mit der Darm-Hirn-Verbindung befassen, kommen zu
anderen Lösungsansätzen. In einer Studie an der Universität Leiden nahmen
Probanden vier Wochen lang ein Probiotikum ein, das unter anderem
Bifidobacterium bifidum und Lactococcus lactis enthielt. Eine weitere
Gruppe erhielt ein Placebo. Die Probiotika-Gruppe hatte anschließend
signifikant weniger Probleme mit aggressiven Gedanken und Rumination.
Natürlich ist das ein äußerst privater Vorgang. Anstatt die Betroffenen vor
ein Publikum zu zerren, sollte man den Mantel der Barmherzigkeit über sie
breiten. Das rechte Denken zeigt seine Wunde. Es wäre grausam, öffentlich
in ihr herumzubohren.
Der Schriftsteller Jörg-Uwe Albig schrieb zuletzt den Roman „Zornfried“
(Klett-Cotta).
## Das Politische im Poetischen
Wir Schreibende befinden uns hier, mittendrin in einer politischen
Landschaft, wo sich die Wörter verkehren und kippen, wo ein Wir gegen das
Andere anschreit, und es von rechts Drohungen regnet, wie jene, dass wir
uns noch wundern werden, was noch alles passieren kann.
Europa verändert sich, [1][mit populistischer Propaganda wird Wählerschaft
geködert]. Sprache verändert sich, wird instrumentalisiert, komplexe
Inhalte werden vereinfacht und passend gemacht, das Unsagbare wird wieder
ausgesprochen. Welchen Anspruch stellen wir in diesem Zusammenhang an unser
Schreiben? Spreche ich für mich oder bin ich viele? Darf ich überhaupt
sagen: Ich bin viele?
Hört man bereits (m)einem Namen die Brüche in seiner Biografie an, die
Schichten seiner Identität? Was schreibe ich mir zu, was schreibe ich von
mir weg? Kann Literatur, kann Sprache, können Texte alles überwinden? Sogar
den Literaturbetrieb und dessen marketinggeile Betriebsamkeit, die
ökonomischen Rahmenbedingungen der Textproduktion und deren
Ausschlussverfahren? Sogar Geschlecht, Herkunft, Identität der
Schreibenden?
Literatur kann die Sprache durchleuchten, die öffentliche Diskurse prägt,
kann Bedeutungsebenen und Mechanismen offenlegen. Sprachbarrieren sind
Grenzen, die durch Übersetzungen in Dialog aufgelöst werden können.
Literatur kann den Dialog eröffnen, Utopien erschaffen, kann Zweifeln und
Zeichen setzen. Im Schreiben können wir uns gegen dogmatische Ideologien
stellen, Grenzen überschreiten, thematisch und ethisch, ebenso Grenzen
setzen im Namen der Menschenwürde, des Mitgefühls, der Vielfalt.
Das Politische ist dem Poetischen immer inhärent, als innerer Widerstand,
der jedes Wort treffen muss, gegen Erwartungshaltungen, gegen gewohntes
Denken, gegen gelernte Strukturen und Muster, gegen die Einordnung von
Realität, als close reading des Geschriebenen und als Beschreibung
gesellschaftlicher Soll- und Ist-Zustände. Literatur, die Verantwortung
übernimmt. Auch das kann passieren.
Von Sandra Gugić erschien kürzlich der Lyrikband „Protokolle der Gegenwart�…
(Verlagshaus Berlin).
## Das Einsammeln von Geschichten
„Es war das Gefühl von Erhabenheit. Von Größe.“ Der junge Mann, der im
Anschluss an eine Lesung das Gespräch mit mir suchte, schien sich noch
immer über sich selbst zu wundern. Mitgemacht zu haben. Teil dieser
Bewegung gewesen zu sein. Ein wacher Mensch. Student. Dreitagebart.
Mützengesicht. Erst als die Gewalt immer weiter eskalierte, habe ihn das
abgeschreckt.
Sein älterer Bruder sei Punk gewesen. Damals. In den Neunzigern. Und sitze
im Rollstuhl, seit ihn glatzköpfige Neonazis überfallen und schwer verletzt
hätten. „Vielleicht hab ich deshalb mitgemacht. Aus Angst.“ Er erzählt das
nicht oft. Wie denn auch? Wem? Wo? Mit welchen Worten? Das Ringen um
Sprache. Gegen die Ohnmacht. Da ist Zuschlagen leichter. Oder Mitsingen.
Laut.
„Du musstest dich entscheiden. Mitmachen oder wegrennen.“ – So beginnen
viele [2][Erinnerungen an die Schulzeit in deutschen Provinzen]. Die Welt
zerfällt in die der Dagebliebenen, Zurückgelassenen und jene der
Verräterinnen und Verräter. Hier das Land. Da die Stadt. Man misstraut
einander.
„Und keiner hat geholfen.“ Die Frau, die in einer Chemnitzer Buchhandlung
mit leiser Stimme spricht, beklagt einen Vorfall lange vor den
[3][Jagdszenen am Nischel], deren Bilder um die Welt gingen. Mitten am Tag
sei sie eben dort zusammengeschlagen worden. „Wegen meiner roten Schuhe.“
Das sei die Begründung gewesen: rote Schuhe. Der sie ihr gab, als sie am
Boden lag, laufe längst wieder frei herum. „Ich sehe ihn fast täglich. Er
steht einfach da und grinst mich an.“ Sie fürchte sich. Immerzu.
Ich toure durch das Land, erzähle und sammle Geschichten ein. In kleinen
und großen Runden erinnern sich die Leute und bringen miteinander zur
Sprache, was immer schwer von den Zungen geht. Gleich, ob es nun fast
dreißig Jahre her ist oder letzte Woche geschah. Oder gestern. Sich
erinnern, einander erzählen und versichern: Du bist nicht allein. Das kann
Literatur leisten.
Manja Präkels schrieb den Roman „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“,
für den sie unter anderem den Anna-Seghers-Preis und den Deutschen
Jugendliteraturpreis bekam (Verbrecher Verlag).
## Die eigene Position hinterfragen
Als ich vor knapp drei Jahren mit der Arbeit an meinem Buch zur Geschichte
der Neuen Rechten begann, wollte ich vor allem deren [4][Stärken in den
Blick nehmen], um damit eine Grundlage für bessere politische
Gegenstrategien zu schaffen.
Ursprünglich hatte ich auch meinen eigenen frühen Erfahrungen mit rechter
Lektüre nachgehen wollen. Unter dem Druck des nahenden Abgabetermins habe
ich das Vorhaben jedoch wieder aufgegeben müssen. Für die nötige
Selbstreflexion hätte ich einfach mehr Zeit gebraucht. Einmal zu klären,
weshalb bestimmte Texte rechter Autoren bei mir auf Resonanz stießen und
weshalb ich gleichwohl nie selbst in Versuchung kam, mich politisch auf
ihre Seite zu stellen, ist aber nach wie vor eine Aufgabe, die mich reizt.
Auch deshalb, weil im täglichen Kampfgetümmel kaum Platz dafür ist, die
eigene Position auch mal grundsätzlich zu hinterfragen. In der Literatur
hingegen schon. Der antifaschistische Dichter Erich Fried sah ihre
Hauptaufgabe in der Bekämpfung schablonenhaften Denkens, das in seinen
Augen auch aufseiten der Linken zu einer gefährlichen Abstumpfung führt.
„Es ist wichtig“, sagte er 1981 auf dem österreichischen
Schriftstellerkongress in Wien, „dass man die Fühllosigkeit nicht nur beim
jeweiligen politischen oder weltanschaulichen Gegner aufzeigt, sondern dass
man ihr auch näher bei sich selbst und in den eigenen Reihen nachspürt.“
Thomas Wagner ist Autor des Buchs „Die Angstmacher. 1968 und die Neuen
Rechten“ (Aufbau Verlag).
Korrektur 16.07.2019: In einer früheren Version dieses Textes hatten wir
behauptet, dass Elfriede Jelinek mit Ernst Jünger befreundet war. Diese
Information ist falsch und wir haben die entsprechende Stelle gelöscht. Wir
bitten, den Fehler zu entschuldigen.
28 Mar 2019
## LINKS
[1] /Die-EU-und-der-Aufstieg-der-Populisten/!5555842
[2] /Jugendliche-in-Ostdeutschland/!5536453
[3] /Kommentar-Rechte-Jagd-in-Chemnitz/!5528086
[4] /Strategien-der-Neuen-Rechten/!5512485
## AUTOREN
Manja Präkels
Thomas Wagner
Jörg-Uwe Albig
Sandra Gugic
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