# taz.de -- Adorno-Vortrag über Rechtsradikalismus: Drastische Namen für Prop… | |
> Soeben ist ein bisher unveröffentlichter Vortrag von Theodor W. Adorno | |
> erschienen: „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“. | |
Bild: Gedenktafel für Theodor W. Adorno an seinem früheren Wohnhaus im Frankf… | |
Auf Einladung des Verbandes „Sozialistischer Studenten Österreichs“ hielt | |
Adorno am 6. April 1967 einen Vortrag über „Aspekte des neuen | |
Rechtsradikalismus“. Adorno referierte frei, das heißt, er hatte nur sieben | |
handschriftliche Seiten mit Notizen und Stichworten vor sich. Jetzt | |
erscheint der Vortrag erstmals gedruckt. | |
Den historisch-politischen Hintergrund der Aktualität des Themas | |
Rechtsradikalismus bildeten die wirtschaftliche Rezession von 1966/67, die | |
Große Koalition und der Aufstieg der 1964 gegründeten NPD, die es bis 1968 | |
in sieben Landtage schaffte, aber 1969 bei den Bundestagswahlen an der | |
Fünfprozenthürde scheiterte und sich seither nicht mehr erholt hat | |
beziehungsweise von der AfD abgelöst wurde. | |
Adorno bot ausdrücklich keine Theorie des Rechtsradikalismus, sondern | |
schloss an seinen Vortrag „Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit“ | |
von 1959 an, in dem er die These vertrat, dass die gesellschaftlichen | |
Voraussetzungen für den Faschismus nach wie vor existierten – wenn auch | |
nicht mehr „unmittelbar politisch“ nach dem Übergang zu Demokratie und | |
Rechtsstaat nach 1949. | |
Zu den sozialen Voraussetzungen des alten wie des neuen Faschismus zählt | |
Adorno die Existenz einer Gruppe von „Deklassierten“, das heißt Opfern von | |
Kapitalkonzentration, Monopolbildung und Arbeitslosigkeit, die „die Schuld“ | |
an ihrer eingetretenen oder potenziellen Deklassierung „nicht auf die | |
Apparatur, die das bewirkt, sondern auf diejenigen, die dem System […] | |
kritisch gegenübergestanden haben“, schieben. So geriet die Linke, also die | |
Sozialdemokratie, in die Rolle des Sündenbocks in der Weimarer Republik wie | |
in der BRD. | |
## Boden für Nationalismus | |
Die Delegitimierung der Linken geschah klassen- und schichtenübergreifend, | |
denn Arbeiter stießen sich an der Fortexistenz von Arbeitslosigkeit trotz | |
Vollbeschäftigung, Bauern an der europäischen Agrarpolitik als Bedrohung | |
ihrer Existenz und gut situierte Bürger an der Beschränkung der Kompetenzen | |
des Nationalstaats. Diese wirtschaftlich-politischen Trends bereiteten den | |
Boden für Nationalismus und die „manipulierte Astrologie“ von | |
Untergangsfantasien, die Adorno etwas leichtfertig als „eine Verzerrung der | |
Marxschen Zusammenbruchstheorie“ interpretiert. | |
In der Propaganda, mit der der Neufaschismus „Massen einspanne“, sieht | |
Adorno ein Schlüsselelement, mit dem rationale Mittel zu irrationalen | |
Zwecken verwendet würden, was – ein für Adornos Spätwerk typischer Befund … | |
einer „zivilisatorischen Gesamttendenz“ entspreche, obwohl offen | |
antidemokratische Politik mit der Gegenwehr der Demokratie und der Justiz | |
rechnen müsse. Adorno riet in seinem Vortrag zu „drastischen Namen“ für d… | |
rechtsradikale Propaganda, mit der die „Massen geimpft“ würden mit | |
nationalistischen Parolen wie etwa der, dass Deutsche „in der Welt | |
diskriminiert“ würden. | |
Trotz solcher Einsichten und Ratschläge enttäuscht Adornos Vortrag. | |
Vielleicht hätten sich der Herausgeber und der Kommentator an Adornos | |
Misstrauen gegen den Nachdruck von mitgeschnittenen Vorträgen halten | |
sollen. Adorno äußerte den Verdacht, mit dem Nachdruck sollte „der | |
Redende“ auf das mündlich Vorgetragene gleichsam „vereidigt“ werden. Rat… | |
macht auch ein Widerspruch in Adornos Vortrag. Zum einen hält er Propaganda | |
„für eine Art organisierter Gedankenflucht“, die Appelle an den Agitator | |
für sinnlos. Gleichzeitig bekennt er sich – im Spätwerk sonst eher selten �… | |
zur „durchschlagenden Kraft der Vernunft“. | |
Obendrein entließ Adorno die Zuhörer mit der an sich selbst gestellten | |
Frage nach der Zukunft des Rechtsradikalismus mit dem Hinweis, solches | |
Fragen sei zu „kontemplativ“ und darin stecke „bereits eine Art von | |
Resignation. […] Wie diese Dinge weitergehen und die Verantwortung dafür, | |
wie sie weitergehen, das ist in letzter Instanz an uns.“ Dass zur | |
„Historisierung der Kritischen Theorie kein Anlass“ bestehe, wie Volker | |
Weiß im Nachwort versichert, wird durch solche Sätze bündig widerlegt. | |
15 Jul 2019 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
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