# taz.de -- Theodor W. Adornos 50. Todestag: Die Rhetorik des Verdachts | |
> Der Todestag hat die „FAS“ zu einem kreativen Vergleich Adornos mit Björn | |
> Höckes inspiriert. Gestritten wird derweil um eine Gedenktafel. | |
Bild: Theodor W. Adorno (m.), eingerahmt von Heinrich Böll (l.) und Siegfried … | |
Vor 50 Jahren starb Theodor W. Adorno nach einem Herzinfarkt in Zermatt im | |
nahe gelegenen Kantonsspital Visp in der Schweiz. Für die Frankfurter | |
Lokalpresse war dies der Anlass für eine Würdigung des Philosophen, | |
Soziologen, Musikwissenschaftlers und Komponisten. Dabei spielten wie | |
gewohnt auch schräge Legenden eine Rolle. | |
Drei Monate vor seinem Tod kam es am 22. April 1969 während seiner | |
Vorlesung im Hörsaal V der Frankfurter Universität zu Störungen. Adorno | |
unterbrach die Vorlesung und forderte die Zuhörer auf: „Ich gebe ihnen fünf | |
Minuten Zeit. Entscheiden Sie, ob meine Vorlesung stattfinden soll oder | |
nicht.“ Darauf betraten drei mit Lederjacken bekleidete Studentinnen das | |
Podium, streuten Adorno Rosen- und Tulpenblüten auf den Kopf , öffneten | |
ihre Jacken und bedrängten den Professor mit ihren nackten Brüsten. Unter | |
Gelächter verließ Adorno den Hörsaal und sagte seine Vorlesung und sein | |
Seminar auf unbestimmte Zeit ab. | |
Die peinliche Aktion wurde schnell als „Busenattentat“ etikettiert. Sie | |
blieb mangels aufklärender Inhalte und Effekte bis heute umstritten und | |
gilt gemeinhin als Ausdruck des politisch blinden Aktionismus jener Tage. | |
Aber eine Kausalität zwischen dem „Attentat“ und dem gut drei Monate spät… | |
erlittenen Herzinfarkt Adornos lässt sich nur mit einer ordentlichen | |
Portion Fantasie begründen. | |
Daran fehlte es damals nicht und fehlt es natürlich auch heute nicht im | |
Lokalteil des ganzseitigen FAZ-Artikels zu Adornos 50. Todestag: „Dass | |
Adorno wenige Monate danach starb, führen manche auch auf dieses Ereignis | |
zurück.“ Wer „manche“ waren oder sind, bleibt Betriebsgeheimnis. So sind | |
die Bräuche im Gedenk- und Legendenhandel. | |
Eine gute Idee zum 50. Todestag hatte jedoch das Frankfurter | |
Kulturdezernat. Am Haus Seeheimer Straße 19 in Frankfurt-Oberrad, wo die | |
Familie Adorno vor dem Krieg lange wohnte, wollte das Kulturamt eine | |
Erinnerungstafel anbringen – wie bereits an Adornos Wohnhaus nach dem Krieg | |
am Kettenhofweg 123 im Frankfurter Westend. Das Vorhaben scheiterte jedoch | |
am Eigentümer des Hauses in Oberrad. | |
## Die Familie Adorno zu „Juden“ gemacht | |
Dessen Vorfahren konnten das Haus 1937 günstig „erwerben“, weil die Nazis | |
die Familie Adorno zu „Juden“ gemacht und entrechtet hatten, obwohl sich | |
der Vater Adornos längst hatte protestantisch taufen lassen, die Mutter | |
immer katholisch war und der Sohn Theodor zunächst die Religion der Mutter, | |
später diejenige des Vaters angenommen hatte. Die Nazis erklärten ihn zum | |
„Halbjuden“ und vertrieben die ganze Familie ins Exil. | |
Die Weigerung des heutigen Eigentümers, am Haus Seeheimer Straße 19 eine | |
Gedenktafel anbringen zu lassen, wird damit erklärt, dass seine Vorfahren | |
dem unerwarteten Rückkehrer Adorno nach dem Krieg eine bescheidene | |
Entschädigung bezahlen mussten für den erpressten Verkauf des Elternhauses | |
weit unter Wert – also für die damals landesübliche kalte Enteignung | |
„jüdischen“ Eigentums. | |
Nicht nur Häuser, auch Unrecht und Niedertracht sind vererbbar. Eine | |
besondere Art des Gedenkens ließ sich daher Christiane Hoffmann, | |
evangelische Pfarrerin der Erlöserkirche in Frankfurt-Oberrad, einfallen. | |
Sie predigte am Sonntag über Adornos bekannteste Sentenz aus den „Minima | |
Moralia“: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ | |
Dem Vernehmen nach bemüht sich jetzt auch der Ortsbeirat Oberrad um die | |
Aufstellung einer Erinnerungstafel für die ins Exil getriebene Familie | |
Adorno. | |
## Schräge Vergleiche | |
Eine etwas andere Idee hatte ein besonders sachkundiger Schlaukopf in der | |
Feuilleton-Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS). Der | |
suchte nach Gemeinsamkeiten zwischen Björn „Bernd“ Höcke (AfD) und Adorno | |
und fand sie in der „Rhetorik des Verdachts“ und im „Antikapitalismus“. | |
Natürlich hat der rhetorische Antikapitalismus der rechtsradikalen | |
Lautsprecher und Schaumschläger vom Schlage Höckes mit fundierter | |
Kapitalismuskritik, wie sie Adorno und die Kritische Theorie begründeten, | |
gar nichts zu tun. Die rassistische Naziparole, die dem „raffenden Kapital“ | |
der Juden den Kampf ansagte, das vermeintlich „schaffende Kapital“ der | |
Arier jedoch schonte und nach Kräften hofierte, ist so ziemlich das | |
Gegenteil von rational fundierter Gesellschaftskritik. | |
Auch Höckes verbalradikale Rhetorik bedient sich sozialistischer Motive nur | |
in homöopathischen Dosen. Seine nationalistisch-chauvinistisch grundierte | |
Ideologie reimt sich auf Affirmation und Konformismus und verabscheut | |
Kritik und Emanzipation wie der Teufel das Weihwasser. | |
6 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
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