# taz.de -- 10 Jahre N-Wort-Debatte in der taz: Skandal und Dystopie | |
> Vor zehn Jahren kam es auf dem taz lab zu einem Eklat um das N-Wort. | |
> Proteste und Solidarität blieben überschaubar. Was hat sich seitdem | |
> getan? | |
Bild: Eine Handvoll Aktivist_innen stand 2013 beim sogenannten taz-watch vor de… | |
Öffentliche Skandale sind ein guter Gradmesser für die politische Stimmung, | |
in der sich eine Gesellschaft gerade befindet. Manchmal lässt sich | |
rückblickend daran erkennen, wie viel Fortschritt sich innerhalb einer | |
Dekade ereignet hat – oder eben auch nicht. Vor genau zehn Jahren kam es | |
auf dem taz lab, dem hauseigenen Großkongress dieser Zeitung, zu einem | |
Eklat, dem ein langwährender, wenn auch recht beschaulicher Protest folgte. | |
Auf einem Podium war beim Vorlesen historischer Texte immer und immer | |
wieder bewusst provokant das N-Wort in seinen verschiedenen Variationen | |
wiederholt worden vom Moderator, einem damaligen taz-Redakteur. Teile des | |
Publikums protestierten lautstark, wurden von besagtem Moderator | |
uneinsichtig beschimpft und verließen anschließend gemeinsam mit einer | |
Podiumsteilnehmerin den Saal. | |
Gerne würde ich behaupten, dass ein solches Vorkommnis heute nicht mehr | |
denkbar wäre, doch ich läge leider falsch. Nicht nur wird sich in | |
Deutschland immer genügend Publikum für diese Art der „Diskussion“ finden, | |
bei der an einem antiquierten Kulturbegriff festgehalten und dies als | |
besonders radikal verkauft wird. Auch hat die Diskussion um | |
diskriminierende Sprache in den letzten Jahren weltweit eine Qualität | |
angenommen, die von 2013 aus betrachtet geradezu dystopisch anmuten würde. | |
Kein Tag vergeht, an dem nicht ein Kommentar, ein Buch, ein Podium sich dem | |
Thema „Cancel Culture“ und ihren Gefahren für eine demokratische | |
Debattenkultur widmet. Lehrer_innen und Schüler_innen, die wegen der | |
exzessiven Verwendung des N-Worts gegen [1][Wolfgang Koeppens „Tauben im | |
Gras“ als Abi-Pflichtlektüre] protestieren, wird ein mangelndes Verständnis | |
von Literatur vorgeworfen. Transfeindliche Positionen gehören inzwischen | |
zum guten Ton eines jeden bürgerlichen Mediums, das was auf sich hält. | |
## Thema Rumopfern | |
Die individuelle Verwendung gendergerechter Sprache wird Autor_innen noch | |
immer durch redaktionelle Stilvorgaben in vielen Medien untersagt – | |
denselben Medien, absurderweise, die dann wiederum den totalitären Zwang | |
zum Gendern anprangern. So viel zum Thema Rumopfern. | |
Die Frage nach dem „dürfen“ steht bei alldem immer noch im Zentrum, als sei | |
Kritik an der Verwendung rassistischer Sprache etwa mit einem | |
Bußgeldverfahren verbunden, oder als sei ein Shitstorm nicht eine | |
zeitgemäße Form des spontanen Protestes, sondern ein mittelalterliches | |
Inquisitionsgericht. | |
[2][Die Paranoia der selbsternannten Freigeister] vor dem Verlust der | |
eigenen Deutungshoheit darüber, was sich Minderheiten gefallen lassen | |
müssen, geht so weit, dass man jegliche Konversation inzwischen mit dem | |
Satz „Ich bin ja gegen politische Korrektheit“ beginnt, als sei es das | |
eigene Pronomen. | |
Erfreulicherweise hat sich in den letzten zehn Jahren aber nicht nur der | |
Kreis der Konservatoren deutscher Sprache und Kultur erweitert und | |
radikalisiert, auch der Protest gegen diesen Backlash ist salonfähiger | |
geworden. So ist aus heutiger Sicht völlig unverständlich, wie das taz lab | |
2013 – anders als etwa die Polizeikolumne von 2020 – nicht als offene Wunde | |
in der Historie dieser Zeitung gilt, sondern bloß zu einer unangenehmen | |
Anekdote verkommen ist. Eine Handvoll Schwarzer Aktivist_innen stand | |
damals, 2013, wöchentlich zur Mittagszeit vor den Fenstern des taz-cafés, | |
um beim so genannten „taz-watch“ den nahezu gleichgültigen Umgang der | |
Zeitung mit diesem Skandal zu protestieren. | |
Vielleicht kämen 2023 mehr Verbündete zu einem solchen Protest. Vielleicht | |
stellten sich mehr Angestellte der Zeitung selbst dazu, die natürlich auch | |
damals schon Kritik übten, aber eben noch in einer übersehbaren Minderheit. | |
Mit Sicherheit könnte sich heute niemand die Indifferenz von 2013 leisten – | |
vielleicht ist das der große Verdienst der „Cancel Culture“-Spirale. | |
22 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Fatma Aydemir | |
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