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# taz.de -- Kolumne Besser: Liebe N-Wörter, ihr habt 'nen Knall
> Wie eine Veranstaltung zum Thema Diskriminierung und Sprache eskaliert
> und mit inquisitorischem Furor Politik durch Moralisierung ersetzt wird.
Bild: Heinrich Lübke, Bundespräsident und Stichwortgeber
Es gibt Geschichten, die man einfach erzählen muss, selbst wenn man selber
darin vorkommt. Zum Beispiel diese: Samstagnachmittag auf dem [1][taz.lab].
Unter dem Titel „Meine Damen und Herren, liebe N-Wörter und Innen“
[2][diskutieren] die Kolumnistin und Publizistin [3][Mely Kiyak], der
Titanic-Chefredakteur [4][Leo Fischer] und die Autorin und Aktivistin
[5][Sharon Otoo] über Diskriminierung, Ästhetik und Sprache. Alle auf dem
Podium wissen um den [6][Zusammenhang] von Sprache und Herrschaft, niemand
bestreitet das Fortleben von Rassismus. Dennoch kommt es kurz vor Schluss
zum [7][Eklat].
Gut zwanzig Leute versuchen zu verhindern, dass der Moderator (ich) eine
Passage aus einem historischen Dokument vorträgt. Die Gruppe beginnt einen
Tumult, brüllt und wird von einem die Contenance nicht mehr ganz wahrenden
Moderator (auch ich) niedergebrüllt („Geht bügeln!“). Schließlich verlä…
die Gruppe den Raum. Sharon Otoo, mit der zuvor abgesprochen war, dass das
inkriminierte Wort in Zitaten verwendet werden würde, geht ebenfalls.
Bei dem Text, mit dem der Moderator (wieder ich) den Ärger der vornehmlich
studentischen Aktivisten auf sich zieht, handelt es sich um die berühmte
[8][Rede] von Martin Luther King aus dem Jahr 1963: „But one hundred years
later the Negro still is not free.“ In der [9][Übersetzung] der
amerikanischen Botschaft: „Aber einhundert Jahre später ist der Neger immer
noch nicht frei.“
Noch mal: Antirassistische Aktivisten wollen verhindern, dass aus einer
Rede, dass aus der Rede von Martin Luther King zitiert wird. Sie kreischen
den Moderator (immer mich) an: „Sag das Wort nicht! Sag das Wort nicht!“
Schon zuvor halten sich einige dieser Aktivisten krampfhaft die Ohren zu,
als der Moderator (also ich) aus einem saudummen Text von [10][Adorno]
vorliest sowie die umstrittene Passage aus Otfried Preußlers
[11][Kinderbuch] „Die kleine Hexe“, wobei das Wort „Negerlein“ fällt. …
ist dies ein zwangsneurotisches Verhalten, das man weniger bei aufgeklärten
Menschen, Intellektuellen gar, vermuten würde und das an ganz andere Leute
erinnert: An katholische [12][Nonnen], die versehentlich auf [13][Youporn]
gelandet sind („Weiche, Satan!“). Oder an [14][Hinterwäldler] in Pakistan,
die mit Schaum im Bart und Schuhen aus Autoreifen an den Füßen gegen
Karikaturen protestieren („Death to Amerikka!“).
## Zwangsneurotisch und inquisitorisch
Ähnlich ist nicht nur der religiöse Abwehrreflex, ähnlich ist auch der
inquisitorische Furor, mit man zu Werke geht. In diesem Zusammenhang also:
Das Wort „Neger“ ist schlimm, schlimm, schlimm und muss weg, weg, weg.
Und zwar ganz egal, ob in Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“, einem Buch,
das, Mely Kiyak hat zuerst darauf [15][hingewiesen], von einem
kolonialistischen Weltbild durchzogen ist, welches sich nicht dadurch
wegretuschieren lässt, indem man „Negerkönig“ durch „Südseekönig“ e…
Oder in Mark Twains „Huckleberry Finn“, einem antirassistischen Roman,
dessen Figuren zwar so reden, wie man Ende des 19. Jahrhunderts in den
Südstaaten geredet hat, in dem das Wort „Nigger“ aber vor allem eines ist:
eine Anklage gegen die Sklavenhaltergesellschaft.
Diese Leute haben keinen Respekt vor der Authentizität von Texten, am
wenigsten bei Kinderbüchern – als ob diese, [16][Bettina Gaus] hat dies
bereits geschrieben, keine Literatur wären. Für diese Leute spielt es auch
keine Rolle, zu welchem Zweck jemand die inkriminierten Vokabeln benutzt.
Und inzwischen ist es auch egal, ob man das Schimpfwort „Nigger“ mit einem
Bann belegt und als „N-Wort“ umschreibt, oder das Wort „Neger“, welches
eben nicht – siehe Martin Luther King – dieselbe Begriffsgeschichte
aufweist.
Literatur wird auf den Inhalt reduziert, dem man wiederum mit Tippex auf
die Pelle rückt. Diese Leute sind sich nicht einmal zu blöd, Zitate zu
säubern und Texte, die sie auf ihren Blogs verlinken, mit
[17][„Triggerwarnungen“] zu versehen („Text ist mit Triggerwarnung: N-Wort
einmal in Anführungszeichen, 1. Absatz“).
## So nicht, Dr. Dre!
So wie diese Leute eine inhaltistische Auffassung von Kunst haben, so
unempfänglich sind sie für subversive Strategien wie Satire, Aneignung und
Umdeutung. Man kann sich gut vorstellen, wie diese Tippex-Intellektuellen
versuchen, einem Dr. Dre auseinanderzusetzen, er möge rückwirkend den Namen
seiner stilbildenden HipHop-Crew in „N-Words with Attitude“ umbenennen und
die [18][Texte] umschreiben („I'm a muthafuckin N-Word“). Oder wie sie auf
David Simon einreden, er möge den jugendlichen Drogendealern in [19][„The
Wire“] eine anständige Sprache verpassen („Fuck them West Coast N-Words.
'Cuz in B-more, we aim to hit a N-Word, ya heard“).
Das Credo dieser Leute, die sich etwa in der „[20][Initiative Schwarze
Menschen in Deutschland“] organisiert haben und die beanspruchen, für alle
„people of colour“ zu sprechen, wo sie in Wirklichkeit – etwa den
Funktionären muslimischer Verbände ganz ähnlich – für wenig mehr als sich
selber sprechen, lautet: „Ich bin schwarz, darum weiß ich Bescheid. Du bist
nicht schwarz, darum weißt du nicht Bescheid. Mehr noch: Du bist weiß.
Darum kann und wird alles, was du sagst, gegen dich verwendet werden.
(Dieses Credo haben sie freilich nicht exklusiv: Du bist Christ, Deutscher,
Europäer, Heterosexueller, Mann, darum weißt du nicht Bescheid.)
Die Kränkung, die diese Leute empfinden, wenn in einem historischen Text
das Wort „Neger“ fällt, ist echt. Aber der Trick ist: Man tut so, als sei
die eigene Meinung unmittelbar von der Hautfarbe abgeleitet. Man maximiert
das Ich, unterschlägt aber, dass zu diesem Ich eine Weltsicht gehört, die
für die Deutung von Begriffen und Sachverhalten ungleich wichtiger ist: Ich
fühle mich von dem Wort „Negerlein“ in einem 50 Jahre alten Kinderbuch so
verletzt, weil das meinem Weltbild entspricht. Es geht nicht um Gefühle, es
geht um Ideologie.
Es ist das Auftreten selbstherrlicher Subjekte, die die Integrität ihrer
Person und die Unbestechlichkeit ihrer Urteile per Definition für sich
reklamieren. Ich bin Opfer, Opfer, Opfer, und habe darum recht, recht,
recht. Und wenn gar nichts mehr hilft, dann gibt es immer noch das
Prenzelberg-Argument: Man muss die armen Kinder doch beschützen!
## Täter, Opfer, Polizei
Eingebettet ist dieses Ich in eine Ideologie, die sich critical whiteness,
„Kritische Weißseinsforschung“, nennt und deren Programm man mit dem Titel
einer Sendung im Zonenfernsehen zusammenfassen kann: Täter, Opfer, Polizei.
Demnach ist alle Geschichte Kolonialgeschichte, egal ob in den USA,
Großbritannien oder Deutschland. Und darin sind Täter und Opfer, Gut und
Böse sauber verteilt. Dass das Leben in den betreffenden Ländern vor der
Kolonialisierung, nun ja, auch kein Zuckerschlecken war, spielt keine
Rolle; ebenso wenig der Umstand, dass durch den Kolonialismus die Menschen
in der Dritten Welt auch ein philosophisch-politisches Instrumentarium in
die Hände bekamen, das sie gegen die Kolonialherren wenden konnten.
Weder interessiert, dass in einigen arabischen Ländern die Sklaverei bis
ins 20. Jahrhundert erlaubt war, noch schert man sich um postkoloniale
Konflikte, bei denen kein westlicher Staat mitmischte. So gilt für den
Diskurs in Deutschland: Der Genozid an den Herero im heutigen Namibia ist
eine wichtige Referenz, am Völkermord in Ruanda hingegen interessiert
allenfalls, dass einem Verantwortlichen in Deutschland der Prozess gemacht
wird (was [21][irgendwie] auch als kolonialistisch gilt). Es geht, um es in
Anlehnung an [22][Jule Karakayali] und ihren Mitautoren zu sagen, nicht um
Politik, sondern um Moralisierung, nicht um Kritik, sondern um
Denunziation.
## Käsebleichen Student_innen*
Die Gruppe, die die Veranstaltung auf dem taz.lab zu sprengen versuchte,
war vielleicht zur Hälfte dunkelhäutig. Die andere, besonders hysterischere
Hälfte bestand aus [23][käsebleichen Student_innen*] aus Hildesheim oder
Heppenheim, die etwas gefunden haben, um ihr Langweilerleben aufzupeppen
und die sich lange genug in Seminaren und auf politischen Veranstaltungen
in „Selbstpositionierung“ geübt haben – in stalinistischen Parteien hieß
dieses Ritual „Kritik und Selbstkritik“ –, die also in endlosen Vorträgen
Auskunft über sich, ihre Hautfarbe, ihre sexuelle Orientierung usw. gegeben
haben, so dass sie mit noch größerer Empörung an die Sache gehen können.
Auch dieses Phänomen ist aus anderen Zusammenhängen geläufig: Von
„Kinderschützern“ etwa. Oder den Bewunderern der Singularität, wie sie
Wolfgang Pohrt einmal genannt hat, die sich mit den ermordeten europäischen
Juden in eins setzen und deren liebstes Smalltalk-Thema der Holocaust ist.
Aber gut, man braucht nicht so tun, als würden diese Leute die politische
Kultur gefährden. Sie haben halt etwas gefunden, mit dem sie vorzugsweise
als Dozenten für Gender Studies oder Kulturwissenschaft ihren
Lebensunterhalt bestreiten können. Die Integrationsindustrie hat viele Jobs
zu vergeben, für gewerbliche Opfer wie für gewerbliche Kritiker.
Nur haben die Critical-Whiteness-Spinner an einigen Fachbereichen die
Nachfolge des trotzkistischen „Linksrucks“ oder der K-Gruppen noch früherer
Tage angetreten: geschlossenes Weltbild, Auftritte in Rudelform, uniforme
Redebeiträge und die totalitäre Unfähigkeit, etwas zu ertragen, das nicht
der eigenen Weltanschauung entspricht. Aber wo sie sich schlecht benehmen,
wie im vorigen Jahr auf dem antirassistischen [24][„No-Boder-Camp“] in Köln
oder eben auf dem taz.lab, wo Leo Fischer schon beim ersten Satz
unterbrochen wurde („Das sagst du als weißer Mann“, als Anklage im Mund
weißer Männer und Frauen), muss man ihnen Grenzen setzen.
Dennoch wäre es eleganter gewesen, wenn der Moderator (also ich) auf
Gebrüll nicht mit Gebrüll reagiert hätte und stattdessen der Forderung der
Aktivisten nachgekommen wäre.
Dann hätte ich nämlich Folgendes vorlesen können: „Aber einhundert Jahre
später ist das N-Wort immer noch nicht frei. Einhundert Jahre später ist
das Leben des N-Worts leider immer noch von den Handfesseln der
Rassentrennung und den Ketten der Diskriminierung eingeschränkt. Einhundert
Jahre später lebt das N-Wort immer noch auf einer einsamen Insel der Armut
in der Mitte eines weiten, weiten Ozeans des materiellen Wohlstandes.“ We
shall overdone.
Besser: Man wahrt Contenance, die jungen Leute studieren bald zu Ende und
Eltern finden bessere Gute-Nacht-Geschichten als „Die kleine Hexe“.
22 Apr 2013
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-tazlab/!t7259/
[2] /!114687/
[3] /!105141/
[4] /!87952/
[5] /!111376/
[6] /!109942/
[7] /!114886/
[8] http://www.americanrhetoric.com/speeches/mlkihaveadream.htm
[9] http://usa.usembassy.de/etexts/soc/traum.htm
[10] http://audio.uni-lueneburg.de/seminarwebseiten/musikphilosophie/material/j…
[11] /!108466/
[12] /!112813/
[13] http://www.youtube.com
[14] /!57159/
[15] http://www.fr-online.de/meinung/kolumne-liebe-neger-,1472602,21497890.html
[16] /!111609/
[17] http://maedchenmannschaft.net/tag/intersexualitaet/
[18] http://www.sing365.com/music/lyric.nsf/Real-Niggaz-Don't-Die-lyrics-N-W-A/…
[19] http://en.wikiquote.org/wiki/The_Wire
[20] http://neu.isdonline.de/
[21] http://www.jdjl.org/tendenz/was-hat-genozid-ruanda-vor-deutschen-gerichten…
[22] http://www.akweb.de/ak_s/ak575/23.htm
[23] http://maedchenmannschaft.net/
[24] http://jungle-world.com/artikel/2012/30/45919.html
## AUTOREN
Deniz Yücel
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