Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Klimaforscher über Ampel-Verhandlungen: „Der Geist ist ein offen…
> Hans Joachim Schellnhuber spricht darüber, was die nächste
> Bundesregierung liefern muss – und wann er fürs Klima in den Hungerstreik
> geht.
Bild: Deutschlands wohl renommiertester Klimaforscher: Hans Joachim Schellnhuber
taz: Herr Schellnhuber, sehen Sie manchmal die brennenden Wälder in
Kalifornien und denken: Ich hab ’s euch doch gesagt?
Hans Joachim Schellnhuber: Ich empfinde keinerlei Genugtuung. Es ist
einfach todtraurig, das zu erleben. Je öfter man diese ebenso desaströsen
wie vorhersehbaren Entwicklungen sieht, desto verzweifelter wird man.
Obwohl die Klimakrise immer greifbarer wird, bleiben die politischen
Mehrheiten für [1][einen harten Nachhaltigkeitskurs] aus – das zeigt auch
das Ergebnis der Bundestagswahl. Bringt der Klimakollaps unsere
demokratischen Strukturen an ihre Grenzen?
Wir können unsere Demokratie noch ein bisschen ausbauen, auch wenn solche
Gedanken oft belächelt werden. Das eine ist offensichtlich, nämlich dass
wir junge Menschen ab 16 oder sogar 14 Jahren wählen lassen. Eine Option
wäre auch, Eltern für jedes Kind eine weitere Stimme zu geben. Man kann
aber noch ein bisschen weiter gehen.
Soll heißen?
Im antiken Athen gab es eine spannende Phase, in der wichtige Ämter per
Losverfahren verteilt wurden. Ich glaube, dass eine Demokratie dadurch
belebt werden kann, dass man dem Zufall eine Chance gibt. Wenn jemandem
etwa per Los für sieben Jahre Verantwortung übertragen wird, ohne Aussicht
auf Wiederwahl und finanzielle Vorteile, dann würden vermutlich mutigere
Entscheidungen getroffen.
Sie als Klimaexperte meinen, dass wir das Gegenteil einer
Expert:innenregierung brauchen?
Fachleute brauche ich auch, aber ich muss sie institutionell so einrahmen,
dass ihre Macht klar begrenzt bleibt. Der Zufall würde langfristige
Seilschaften und damit die Expertokratie verhindern. Wobei eine solche
Reform aber für die akute Klimakrise wohl zu spät kommt.
Ein Mittelweg wäre ein zufällig ausgeloster Bürger:innenrat, der
verbindlich eingebunden wird.
Ja, das wäre ein Schritt in diese Richtung. Man hat in Irland bei der
Abschaffung des Abtreibungsverbots gesehen, wie hilfreich so ein Rat sein
kann. Aber bisher steht man immer noch vor der roten Linie, dass diese
Gremien beraten, aber nicht entscheiden dürfen. Vielleicht sollten wir nach
über 2.000 Jahren wieder ein wenig attische Demokratie wagen.
In Deutschland reden wir viel über die gerechte Verteilung von
Transformationskosten. Ist das der Knackpunkt, der die Mehrheiten spaltet?
Selbstverständlich müssen wir krasse soziale Härten vermeiden. Das kann zum
Beispiel durch Ausgleichszahlungen sichergestellt werden, wie sie jetzt
diskutiert werden. Ich glaube aber, dass nur eine nachhaltige Politik der
Mehrheit auf lange Sicht einen guten Lebensstandard garantiert. Es gibt
verschiedene soziale Gerechtigkeiten, die bei den Klimaverhandlungen
polemisch gegeneinander ausgespielt werden.
Ist es eine Zumutung, wenn wir drei – in Deutschland nach dem Zweiten
Weltkrieg geboren und deshalb enorm privilegiert – einen persönlichen
Beitrag zum Klimaschutz leisten sollen? Es gibt eine internationale Elite,
die selbst eine um 4 Grad oder 6 Grad wärmere Welt bequem aushalten würde.
Mir scheint, dass die Besitzstandswahrung einer Minderheit nicht so schwer
wiegt wie die nackte Existenzsicherung für Milliarden Menschen im Globalen
Süden.
Gerade verhandeln SPD, Grüne und FDP über eine gemeinsame Regierung. Für
das Ergebnis der Sondierungen haben Umweltverbände teilweise lobende Worte
gefunden. Was erwarten Sie?
Ich habe das Sondierungspapier angeschaut und bin nicht gerade hingerissen.
Es enthält gequälte Kompromisse, kaum transformative Schritte. Aber der
Geist dahinter ist ein offener. Ich könnte mir vorstellen, dass man in den
Koalitionsverhandlungen, aber auch im Laufe der Legislaturperiode einige
Dinge in Gang bringt, die man sich bis vor Kurzem nicht vorstellen konnte.
Was genau könnte das sein?
Das Allerspannendste, was jetzt vielleicht möglich wird, ist das
Voranbringen sektorübergreifender Innovationen. Der unvermeidbare Übergang
zu einer regenerativen Kreislaufwirtschaft erfordert, dass wir alle
Sektoren miteinander verbinden. Da passen gerade Digitalisierung und
Dekarbonisierung gut zusammen. Ich könnte mir vorstellen, dass die Ampel
sich nach und nach an sich selbst begeistert und merkt: Oha, wir schreiben
ja Geschichte! Wäre schön, wenn die drei Parteien sich jetzt über ein
entsprechendes gemeinsames Narrativ Gedanken machen würden, statt um Posten
zu schachern.
Würde es helfen, für Klimaschutz das Kanzleramt zuständig zu machen, wie es
Umweltbundesamtschef Dirk Messner gern sähe?
Die Überlegung ist reizvoll, aber nur in einer Weise zielführend:
Grundvoraussetzung muss ein Transformationsministerium sein, das Energie,
Industrie, Landnutzung, Bauen und Mobilität zusammenbringt. Das hätte das
größte Potenzial, die verschiedenen Bereiche systemisch zu verbinden. Eine
Person im Kanzleramt, der vielleicht zehn Leute zuarbeiten, ist dieser
Aufgabe nicht gewachsen.
Im schlimmsten Falle agiert derjenige als Schleuse, durch die alle
Klimainnovation auf dem Weg zum Kanzler muss. Wenn es jedoch eine
Staatsministerin gäbe, die als koordinierende Verbündete die übrigen
Ministerien einbinden würde – gute Sache. Aber die ganze Klimapolitik im
Wesentlichen vom Kanzleramt aus zu steuern, halte ich für eine Illusion.
Sie haben sich in letzter Zeit des Projekts [2][„Bauhaus der Erde“]
angenommen und wollen damit den Holzbau vorantreiben. Warum diese Nische?
Ich halte das Vorhaben, die gebaute Umwelt auf biobasierte Materialien
umzustellen, für ähnlich groß und wichtig wie die Förderung der
erneuerbaren Energien.
Aber ist das nicht ein Projekt der Zukunft? Wir haben doch jetzt schon
Holzmangel und der Aufbau neuer Wälder kostet Zeit, sofern es nicht nur um
Plantagen geht.
Zunächst ist es eine romantisierende Vorstellung, dass Bäume ausschließlich
natürlich wachsen dürfen. Seit 1.000 Jahren bewirtschaften wir Wälder, und
das geht sehr wohl auch nachhaltig. Das Siedlungswesen ist ein gutes
Beispiel dafür, dass wir verschiedene Wirtschaftsbereiche verbinden müssen.
Es ist problematisch, dem Bausektor ein bestimmtes Klimaziel zu geben und
dem Forstsektor ein gesondertes. Denn was geschieht? Die großen
Bauunternehmen werden es mit “grünem“ Beton versuchen und daran aus
physikalischen und chemischen Gründen scheitern. Und die Förster legen ein
paar Wälder still, ziehen Zäune darum und machen sie damit zu
Kohlenstoff-Museen. Irgendwann ist da aber Ende der Fahnenstange, denn die
Wälder sind reif und gesättigt…
… binden also gar keinen neuen Kohlenstoff mehr.
Wenn Sie stattdessen beides zusammendenken, dann schaffen Sie für die
Waldpflege einen attraktiven Nachfragemarkt. Dann haben Förster einen
dauerhaften Anreiz, Biomasse umweltgerecht aufzubauen. Das wäre unbedingt
ein Projekt für die nächste Bundesregierung.
Wir müssen nämlich die Senkenleistung der Biosphäre stärken und dadurch der
Atmosphäre CO2 entziehen. Auch die Szenarien des Weltklimarats für die
Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5°C sehen sogenannte negative Emissionen
vor. Allerdings mit ungeheuren Mengen von BECCS (Bioenergie mit
CO2-Abscheidung und -Speicherung, Anm. d. Redaktion)– ich wundere mich,
dass die Öffentlichkeit das kauft.
Das heißt: Man baut Mais oder andere Pflanzen an, extrahiert in
industriellen Verfahren die Energie der Biomasse, fängt das dadurch
freiwerdende CO2 ab und lagert es unterirdisch. Die Technologie gilt als
riskant, teuer und im großen Stil unerprobt.
Und man müsste dafür weltweit eine gigantische Infrastruktur aufbauen,
“nur“ um CO2 aus der Atmosphäre herauszumelken. Also ohne andere
Wertschöpfung. Ist das nicht ökonomischer Unsinn? Dass wir die
Wiederentfernung von CO2 aus der Atmosphäre angehen müssen, ist klar. Aber
wir sollten dies mit einer Mehrgewinnstrategie tun, insbesondere, indem wir
den Kohlenstoff langfristig in Gebäuden aus biobasierten Materialien
speichern.
Wie groß ist denn das Potenzial?
Wenn wir nur die zwei zusätzlichen Milliarden Menschen, die bis 2050 auf
diesem Planeten erwartet werden mit organischer Architektur behausen
würden, hätte das schon einen mächtigen Effekt. Das würde nämlich ca. elf
Prozent des Kohlenstoff-Budgets freigeben, das wir weltweit noch haben, um
die Erderhitzung auf 2 Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten zu begrenzen.
Wir reden also über eine systemrelevante Größe. Gleichzeitig würden wir
einfach besseren und schöneren Wohnraum schaffen.
In einer Woche findet die [3][Weltklimakonferenz in Glasgow] statt, eine
Stunde der Wahrheit für das Paris-Abkommen. Die Vereinten Nationen haben
berechnet, dass die Klimaziele der Staaten noch auf 2,7 Grad Erderhitzung
bis zum Jahr 2100 hinauslaufen. Scheitert „Paris“ gerade?
„Paris“ war zweifellos ein Wunschkonzert und ist trotzdem von größter
historischer Bedeutung. Ich war damals extrem froh, dass dort die
Zwei-Grad-Grenze völkerrechtlich vereinbart wurde.
„Deutlich unter zwei Grad“ und möglichst sogar unter 1,5 Grad soll die
Erderhitzung gegenüber vorindustriellem Niveau begrenzt werden, steht im
Abkommen.
Ja, die 1,5 Grad hatten verschiedene Staaten plötzlich ins Spiel gebracht.
Das hat mich zunächst irritiert, denn das kriegen wir leider nicht mehr hin
– so sinnvoll es auch wäre.
Sie halten es also für ausgeschlossen, dass wir das 1,5-Grad-Ziel noch
schaffen?
Wir haben dafür praktisch keinen CO2-Spielraum mehr. Ich gehe sogar davon
aus, dass wir zwischenzeitlich über die zwei Grad hinausschießen. Aber mit
der Stärkung der Kohlenstoffsenken durch Wiederaufforstung, Rückgewinnung
von Feuchtgebieten, organische Architektur können wir uns langsam in einen
erträglichen Temperaturbereich zurückarbeiten. Hoffentlich sogar wieder
unter 1,5 Grad.
Haben Sie noch Hoffnung in die internationale Klimadiplomatie, die die
Emissionen im globalen Schnitt bislang nicht gesenkt hat?
Die Vereinten Nationen sind leider keine machtvolle Institution. Und
Innovationen wie das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz, das die
Stromwende weltweit angetrieben hat, entstehen nicht auf Klimakonferenzen.
Aber man braucht das Forum, um solche Neuerungen zu verbreiten und
Allianzen zu schmieden.
Zum Beispiel?
Um jemanden wie den brasilianischen Präsidenten Bolsonaro zu überzeugen,
[4][die Zerstörung der heimischen Regenwälder] nicht weiter zu provozieren,
könnte sich ein Dutzend reicher Staaten zusammenschließen und sagen: Wir
pachten große Teile des Amazonasgebiets für 99 Jahre. Wir zahlen dafür
einen jährlichen Zins, der mindestens so hoch liegt, wie man durch die
Zerstörung erwirtschaften könnte. Brasilien würde also die territoriale
Souveränität nicht aufgeben, Gewinn machen und sein Naturkapital bewahren.
Klingt wie kindliche Fantasie, aber unterschätzen wir unsere Kinder nicht
meistens?
Als kürzlich einige junge Menschen fürs Klima [5][in den Hungerstreik
getreten] waren, baten Sie sie um Abbruch – signalisierten aber, dass Sie
sich perspektivisch auch selbst einen Hungerstreik vorstellen könnten. Wann
ist der Tag dafür gekommen?
Es geht einem an die Nieren, wenn so junge Menschen in den Hungerstreik
gehen. In dem Alter soll man sich verlieben, Spaß haben und Pläne
schmieden, aber um Gottes Willen nicht sich selbst Gewalt antun. Mit meinen
71 Jahren sähe das schon anders aus. Ich habe in einem offenen Brief an die
Hungerstreikenden versucht, meinen tiefen Respekt auszudrücken und
andererseits zu betonen, dass sich gerade viele politische Türen öffnen.
Der Tag der Ultima Ratio kommt vielleicht in zehn Jahren. Dann werden wir
wissen, ob wir die Klimakurve noch kriegen oder nicht.
24 Oct 2021
## LINKS
[1] /Klimaforderungen-an-neue-Bundesregierung/!5806123
[2] https://www.bauhausdererde.org/
[3] https://unfccc.int/process-and-meetings/conferences/glasgow-climate-change-…
[4] /Zerstoerung-des-Amazonas-Regenwalds/!5804546
[5] /Klimastreik-in-Berlin/!5801100
## AUTOREN
Barbara Junge
Susanne Schwarz
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Klimaforschung
Ampel-Koalition
Klimakonferenz in Dubai
Schwerpunkt Klimawandel
Glasgow
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Klima
Bündnis 90/Die Grünen
IG
Schwerpunkt Fridays For Future
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Klimaschurke Brasilien: Für die Ausbeutung des Amazonas
Die Regierung Bolsonaro fährt zwar mit einem Umweltplan zur Klimakonferenz
nach Glasgow. Allerdings steht da nichts zur Abholzung des Regenwalds drin.
Klimakonferenz in Glasgow: Die magische Zahl
Die Erderhitzung bei 1,5 Grad zu stoppen ist im Klimaschutz das Maß aller
Dinge. Machbar ist das kaum. Trotzdem steht dahinter eine
Erfolgsgeschichte.
Internationale Klimapolitik: Flucht nach vorn
Die Erwartungen an die UN-Klimakonferenz sind hoch. Wie schafft es die
Weltgemeinschaft, vor die Kaskade sich verstärkender Krisen zu kommen?
Ablauf der Koalitionsverhandlungen: Effizient, straff, werktags
Erst tagen 22 Arbeitsgruppen, dann die ChefInnen. Der Zeitplan ist
ehrgeizig. Selbst das Format und Zeilenabstand der Arbeitsberichte ist
vorgegeben.
UN-Bericht zu Treibhausgasen: Eine Kluft und viele Versprechen
Mit den bisherigen Zusagen zum Klimaschutz steigen die Temperaturen bald um
mindestens 2,7 Grad, warnt das UN-Umweltprogramms Unep.
Grüne im Bundestag: Die Abgeordnete zum Pferdestehlen
An diesem Dienstag tritt der neue Bundestag zu seiner konstituierenden
Sitzung zusammen. Die 28-jährige Jamila Schäfer ist für die Grünen dabei.
Tipps zu „Bild“ und anderen Quälereien: Döpfner enteignen
Nach der „Bild“ könnte sich die US-Presse als Nächstes der katholischen
Kirche widmen. Diese und andere Ideen in der Wochenkolumne.
Psychotherapeutin über Klimaangst: „Eine gesunde und normale Reaktion“
Angst vor dem Klimawandel ist menschlich und sollte nicht pathologisiert
werden, fordert die Psychotherapeutin und Aktivistin Lea Dohm.
UN-Klimaziele vor dem Scheitern: Richtung 2,7 Grad Erderwärmung
Alarm bei der UNO: Die Klimapolitik ist weit vom 1,5-Grad-Ziel entfernt.
Die G20 könnten viel bewirken, sind aber zu langsam.
Holzarchitektur gegen die Klimakrise: Worauf wir bauen können
Der Klimaforscher Schellnhuber will eine Architekturbewegung, die auf
Holzbau setzt. Aktuell aber lohnt sich Holzverkauf in Deutschland kaum.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.