# taz.de -- Kinofilm „Gelobt sei Gott“: Sträfliches Schweigen in Lyon | |
> Mit der katholischen Kirche knallhart ins Gericht gegangen: In François | |
> Ozons Film „Gelobt sei Gott“ ist nichts frei erfunden. | |
Bild: Szene aus Francois Ozons Film „Gelobt sei Gott“ mit Melvil Poupaud in… | |
Mit den Vorschusslorbeeren eines Silbernen Bären der diesjährigen Berliner | |
Filmfestspiele und einem Publikumserfolg in Frankreich (mit mehr als einer | |
Million verkaufter Kinotickets laut Boxoffice) kommt François Ozons Film | |
[1][„Gelobt sei Gott“ (Originaltitel: „Grâce à Dieu“)] jetzt ab der | |
kommenden Woche in die deutschen Kinosäle. Allein schon wegen des Themas | |
Pädophilie von Priestern wird dieser mehr als zweistündige Film wie schon | |
in Frankreich Anlass zu heftigen Debatten bieten oder sogar Anstoß erregen. | |
Und das ist ebenfalls im Voraus bereits ein großer Pluspunkt dieses 2018 | |
gedrehten Spielfilms. | |
Nicht von ungefähr hatte Ozon ursprünglich erwogen, einen Dokumentarfilm zu | |
drehen, bevor er dann vor allem aus rechtlichen Überlegungen das Format | |
einer „Fiktion“ wählte. Doch obschon alle Rollen von Schauspielern und | |
Schauspielerinnen übernommen werden, ist in „Gelobt sei Gott“ [2][so gut | |
wie nichts erfunden]. Aus diesem Grund hat der Regisseur und Drehbuchautor | |
auch ausdrücklich darauf verzichtet, die Namen der Hauptpersonen zu ändern. | |
Es geht um den Fall des pädophilen Priesters Bernard Preynat, der sich in | |
den 80ern und 90ern in der Diözese Lyon laut eigenen Geständnissen und den | |
Anschuldigungen seiner Opfer vermutlich an mehreren Dutzend Knaben sexuell | |
vergangen hat. Wie am Ende des Films erwähnt wird, wartet der heute | |
74-jährige Preynat als Angeklagter auf einen Prozess, dessen Datum immer | |
noch nicht festgelegt worden ist. Mit großer Verspätung hat sich aber | |
bereits ein kirchliches Gericht mit ihm befasst und ihm in diesem Sommer | |
die Priesterwürde entzogen, was der im Kirchenrecht vorgesehenen | |
Maximalstrafe entsprechen soll. | |
Vor ein weltliches französisches Gericht zitiert wurde hingegen schon sein | |
Vorgesetzter, Kardinal Philippe Barbarin (68). Er wurde wegen seines | |
sträflichen Schweigens zu sechs Monaten Haft verurteilt. Der Kardinal, der | |
bis dahin eine führende Figur der katholischen Kirche in Frankreich war, | |
hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Als Zeichen seiner Reue hat er | |
dem Vatikan seinen Rücktritt angeboten. Der Papst hat dies abgelehnt, | |
Barbarin aber aller bisherigen Amtspflichten in Lyon entbunden. | |
Und da die Geschichte aus strafrechtlicher Sicht weder für Preynat noch für | |
den Kardinal abgeschlossen ist, erzählt Ozon, wie sich Opfer der sexuellen | |
Aggression in einer Vereinigung, „La Parole Libérée“ („Das befreite Wor… | |
organisiert haben, um sich gemeinsam Gehör bei der Kirchenhierarchie, bei | |
der Justiz und in der Öffentlichkeit zu verschaffen. | |
Ihr Hauptgegner war dabei zuerst die eigene Scham. Sie hatten es mehr oder | |
weniger erfolgreich verdrängt, dass sie – in den meisten Fällen während | |
kirchlich organisierter Pfadfinderlager und anderer Freizeitaktivitäten – | |
als 8- bis 10-Jährige von diesem scheinbar so kinderliebenden und auch von | |
den Eltern überaus geschätzten Priester sexuell missbraucht worden waren. | |
## „Papa, glaubst du noch an Gott?“ | |
Als Hindernis erwies sich zudem die Verjährungsfrist für sexuelle Gewalt | |
gegen Minderjährige. Sie wurde – nicht zuletzt unter dem Schock öffentlich | |
und gerichtlich bekannter Fälle von pädophilen Serientätern wie Preynat – | |
2018 auf 30 Jahre ab der Erreichung der Volljährigkeit verlängert, damit | |
die Opfer die Möglichkeit haben, auch nach langer Zeit noch Klage | |
einzureichen. | |
Diesbezüglich liefert Ozons Film Betroffenen eine praktische Anleitung und | |
vor allem eine Ermutigung. Ohne die Hartnäckigkeit der im Selbsthilfeverein | |
„La Parole Libérée“ organisierten Gruppe wäre der Priester wahrscheinlich | |
nie öffentlich entlarvt worden. Auch die Rechnung der kirchlichen | |
Vorgesetzten, die ihn über Jahre lediglich versetzt und nicht einmal dafür | |
gesorgt haben, dass er bei der Fortsetzung seiner Aktivitäten keinerlei | |
Kontakt mit Minderjährigen hatte, und die offensichtlich hofften, dass die | |
Zeit alle Wunden heile und alles vergessen und vergeben werde, wäre ohne | |
die unnachgiebige Forderung nach gerichtlicher Aufarbeitung wohl | |
aufgegangen. | |
Die Stärke des Films liegt aber nicht allein in dieser Botschaft, sondern | |
in der Darstellung der Spannungen und Konflikte, die sich für die mit dem | |
Widerstand der Kirche konfrontierten Personen und ihre Familien ergeben. | |
Der Unternehmer Alexandre, der nach einigem Zögern alles ins Rollen bringt, | |
ist und bleibt ein gläubiger Katholik und Vater von fünf Kindern, seine | |
Frau Marie unterstützt ihn. Sein ältester Sohn fragt ihn am Ende: „Papa, | |
glaubst du noch an Gott?“ Er bekommt keine Antwort. | |
François dagegen hat sich von der Kirche losgesagt und möchte am liebsten | |
in einer öffentlichen Kampagne mit allen heuchlerischen Klerikern | |
abrechnen. Emmanuel leidet an epileptischen Anfällen und hat seit (oder | |
wegen) Preynats traumatisierenden Aggressionen seinen Platz in der | |
Gesellschaft nie gefunden, während umgekehrt Gilles ein angesehener Chirurg | |
ist. | |
## Das Image der Diözese | |
Ozon gewährt den Zuschauern einen Blick in die familieninternen Spannungen. | |
Da ist ein Vater, der von solchen „alten Geschichten“ nichts wissen will, | |
aber auch die Mutter eines anderen, die sich mit vollem Engagement dem | |
Kampf für die Enthüllung der vollen Wahrheit anschließt. Diese sehr | |
unterschiedlichen Persönlichkeiten finden aufgrund einer gemeinsamen | |
Geschichte zusammen. Ihre Solidarität macht diesen Film mehr als | |
sehenswert. | |
Was diese Personen besonders zusammenschweißt, ist der mit vermeintlichen | |
Sympathien für die Opfer kaschierte Widerstand des Kardinals, der zuletzt | |
einräumen muss, dass er von Preynats sündigen Verfehlungen viel früher | |
wusste, als er zunächst gestehen wollte. „Mauvaise foi“ (wörtlich: | |
schlechter Glaube) heißt in Frankreich diese Form vorsätzlicher Leugnung. | |
Ein anderer Kirchenmann aus Lyon meinte im Film als Erklärung: „Wissen Sie, | |
Preynat und Barbarin, das ist eine lange Geschichte.“ | |
Das Hauptanliegen des Kardinals ist das Image seiner Diözese. Er entlarvt | |
sich bei einer von ihm organisierten Pressekonferenz, bei der er | |
schließlich zum Preynat-Skandal Stellung nehmen muss und dann gegenüber den | |
Medien wörtlich sagt, die erwähnten Fälle „sind, gelobt sei Gott, | |
verjährt“. Er hat damit den Filmtitel geliefert. Sein Ziel war es also, | |
dass es nie zu einem Prozess kommen sollte. Deswegen musste er sich selber | |
vor dem Richter zur Rechenschaft ziehen lassen. | |
Ozon ist es mit diesem Film gelungen, ein sehr schmerzliches und zugleich | |
brisantes Thema zur Debatte zu stellen. Ein antiklerikales Plädoyer gegen | |
die Kirche und die Religion ist „Gelobt sei Gott“ dennoch nicht – auch we… | |
sich dies manche Zuschauer beim Verlassen des Kinosaals gewünscht hätten. | |
25 Sep 2019 | |
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## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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