| # taz.de -- Filmkomödie aus Frankreich: Leben reparieren | |
| > In der Komödie „Der Glanz der Unsichtbaren“ geht es um wohnungslose | |
| > Frauen. Sie lernen ihre Fähigkeiten wieder zu schätzen und einzusetzen. | |
| Bild: Gemeinsam ist es besser: Audrey (Audrey Lamy), Hélène (Noémie Lvovsky)… | |
| Schon in der Titelgebung zeigt sich der grundlegende Unterschied zwischen | |
| zwei (Film-)Kulturen. Während der französische Originaltitel „Les | |
| Invisibles“ sachlich und sozusagen ergebnisoffen bleibt, trumpft das | |
| deutsche „Der Glanz der Unsichtbaren“ auf mit einem piefigen Vorab-Spoiler, | |
| der zudem noch irreführend ist, weil er implizit nahelegen könnte, dass es | |
| sich hier um einen Putzfrauenfilm handelt. | |
| Dabei putzt in diesem Film kein Mensch mal irgendetwas, außer vielleicht | |
| sich selbst, und der Einzige, der das tut, ist keine Frau, sondern ein | |
| junger Mann, der seiner Freundin einen Heiratsantrag machen will und sich | |
| dafür extra einen Anzug anzieht. | |
| Männer sind ansonsten eine Minderheit in diesem Film von Louis-Julien | |
| Petit, weil er von Frauen handelt. Von solchen, die sonst unsichtbar sind, | |
| weil sie keinen Platz in der Gesellschaft haben, [1][weil sie obdachlos | |
| sind, arbeitslos, hoffnungslos]. Das Schöne ist, zum einen, dass der Film | |
| diese Frauen ohne großes Aufheben sichtbar macht, ihnen Würde und | |
| Geschichten gibt, die es wert sind, erzählt zu werden. Und doppelt schön, | |
| dass das Ganze fast eine richtige Komödie geworden ist, ohne dass die | |
| Härten eines Lebens auf der Straße verschwiegen werden. Keine Existenz ist | |
| so elend, so die Prämisse, dass sich nicht noch etwas daraus machen ließe. | |
| ## Workshops als Lebenshilfe | |
| Ein Zentrum für Tagesbetreuung ist der hauptsächliche Handlungsort. Hier | |
| können wohnungslose Frauen duschen, essen, sich aufwärmen, und die | |
| Sozialarbeiterinnen werden nicht müde, sich immer wieder ins Zeug zu legen, | |
| um Unterbringungsmöglichkeiten für sie zu organisieren. | |
| Doch diese Bemühungen sind von wenig dauerhaftem Erfolg gekrönt, denn das | |
| System der staatlichen Hilfen sieht vor, dass die Zuständigkeit des | |
| Tageszentrums aufhört, sobald eine Frau extern untergebracht werden kann. | |
| Ohne Unterstützung aber schafft kaum eine den Übergang in eine geregelte | |
| Existenz, landet wieder auf der Straße, und der Kreislauf beginnt von vorn. | |
| Als dem Zentrum wegen zu geringer Erfolge die Schließung droht, wagen die | |
| Sozialarbeiterinnen Audrey (Audrey Lamy) und Manu (Corinne Masiero) die | |
| Flucht nach vorn. An den gesetzlichen Bestimmungen vorbei öffnen sie | |
| heimlich das Haus als Notunterkunft und organisieren Workshops, die die | |
| Frauen sich gegenseitig geben. Alle kramen längst vergessene Kompetenzen | |
| hervor. Öffentliches Auftreten wird geübt, Lebensläufe werden erinnert und | |
| geschrieben. | |
| ## Vom Schrottplatz geholt | |
| Eine ältere Frau, die einst ihren Mann umgebracht und im Gefängnis eine | |
| solide handwerkliche Ausbildung erhalten hat, bringt anderen bei, wie man | |
| Sachen repariert. Von einem Schrottplatz werden defekte Elektrogeräte | |
| geholt und instandgesetzt. Eine ehemalige Straßenhändlerin organisiert | |
| einen Basar, auf denen sie verkauft werden. Und der Schrotthändler, der | |
| schon lange gern eine Gefährtin hätte, kommt gleich selbst mit vorbei zum | |
| Speed-Dating. | |
| Ja, denn kleine romantische Einsprengsel gehören schließlich mit zu einer | |
| Komödie. In dieser Genrewahl bei einem Thema, das vor allem von sozialen | |
| Härten handelt, liegt die Besonderheit von „Les Invisibles“ – und auch d… | |
| besondere Qualität, denn die vielen schönen und komischen Momente des | |
| Films, der im Übrigen ganz exquisit geschnitten ist, verleugnen nicht die | |
| dunklen Seiten eines Frauenlebens auf der Straße. | |
| Nicht alles wird so explizit gezeigt, wie etwa die Räumung eines Zeltlagers | |
| mitten in der Nacht, bei der die Polizei rücksichtslos die gesamte Habe der | |
| Wohnungslosen zerstört. Nachdem – wie sich nur aus dem Dialog erschließt – | |
| eine der jüngeren Frauen vergewaltigt worden ist, bleibt die Kamera dezent | |
| vor der Tür, als sie anschließend lange duscht und die Sozialarbeiterin im | |
| Nebenzimmer weint. | |
| ## In Bruchstücken lernt man sie kennen | |
| Genauso wenig wie die Kamera sich den Protagonistinnen aufdrängt, werden | |
| deren Geschichten uns ZuschauerInnen ins Gesicht geworfen. Man lernt sie | |
| nach und nach kennen, und auch das nur mehr oder weniger; in kurzen, oft | |
| bruchstückhaften Ausschnitten. Es ist wie bei Menschen im wirklichen Leben, | |
| mit denen man ohne besondere Absicht öfter zu tun hat, und über die man | |
| beiläufig hier und da mal ein bisschen mehr erfährt. Manche lernt man halt | |
| nie besonders gut kennen, und die meisten haben ihre Macken. | |
| Dass wir hier fast ausschließlich nur jenen etwas näher kommen, deren | |
| Geschichten als Erfolgsgeschichten erzählt werden können, liegt in der | |
| Natur des gewählten Genres. Aber ein einfaches Happy End gibt es nicht. Es | |
| ist komplizierter – und von bemerkenswerter Unkitschigkeit, wie die Frauen, | |
| als sie am Schluss wieder einmal in einen nicht bestellten staatlichen Bus | |
| steigen sollen, diesen Akt entweder selbstbewusst zu ihrer eigenen | |
| Entscheidung erklären oder sich ebenso selbstbewusst dagegen entscheiden. | |
| Eine Entwicklung hat stattgefunden; teils mithilfe von, teils vorbei an | |
| einem Sozialsystem, dessen starre Regeln zum Wohle der Menschen ab und zu | |
| ein bisschen aufgeweicht werden müssen. Glückliches Frankreich, wo man aus | |
| solch einem Thema einfach mal eine kluge Komödie macht. | |
| 11 Oct 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina Granzin | |
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