| # taz.de -- Kein Bafög für Halle-Überlebende: Auf Todesangst folgt Existenza… | |
| > Eine Studentin wurde Opfer des Terroranschlags in Halle. Nun wurde ihr | |
| > das Bafög gestrichen, weil sie nicht mehr arbeiten kann. | |
| Bild: Die Tür der Synagoge in Halle, an welcher der Rechtsextremist scheiterte | |
| Berlin taz | Agata Maliszweska war am 9. Oktober 2019 in der Synagoge in | |
| Halle, als ein Rechtsextremist versuchte, diese zu stürmen. Er warf | |
| Sprengsätze, schoss auf die Tür – und scheiterte an ihr. Anschließend zog | |
| der Angreifer weiter, tötete eine Passantin und kurz darauf einen Mann in | |
| einem Dönerimbiss. Maliszweska litt damals unter Todesangst, sie verfolgt | |
| seitdem eine [1][posttraumatische Belastungsstörung]. | |
| Und nun hat die Studentin der Jüdischen Theologie an der Universität | |
| Potsdam noch ein Problem. Das zuständige Studentenwerk strich der Polin | |
| laut ihres Anwalts bereits im Sommer 2020 das Bafög, gut 700 Euro monatlich | |
| – weil sie wegen ihrer Erkrankung momentan keiner Arbeit mehr nachgehen | |
| kann. | |
| Als ausländische Studierende muss Maliszweska aber eine geringfügige | |
| Beschäftigung nachweisen, um die Förderung zu erhalten. Zuvor arbeitete sie | |
| als Babysitterin. Eine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft verlor sie | |
| aufgrund der Coronapandemie. | |
| Maliszweska selbst äußert sich zu ihrem Fall momentan nicht, aber ihr | |
| Rechtsanwalt Mark Lupschitz tut es. Und laut ihm hat das gestrichene Bafög | |
| existenzielle Folgen für die Mittzwanzigerin: Bleibt es dabei, müsse sie | |
| ihr Studium abbrechen und zurück nach Polen gehen. | |
| ## Attest über Traumatisierung konnte Amt nicht umstimmen | |
| Auch ein ärztliches Attest über ihre Traumatisierung habe das Bafög-Amt | |
| nicht umgestimmt, so Lupschitz. „Die Entscheidung fiel vielleicht am Gesetz | |
| entlang, aber am Menschen vorbei. So mit einer Anschlagsbetroffenen | |
| umzugehen, geht nicht.“ | |
| Das Studentenwerk Potsdam äußerte sich auf Nachfrage aufgrund des | |
| „Sozialdatenschutzes“ nicht. Eine Sprecherin teilte aber mit, man könne | |
| davon ausgehen, dass das Bafög-Amt „im Rahmen seiner gesetzlichen | |
| Möglichkeiten immer versucht, das Bundesausbildungsförderungsgesetz zum | |
| Wohle der Studierenden anzuwenden“. | |
| Deutlicher wird Brandenburgs Forschungsministerin Manja Schüle (SPD). „Das | |
| ist wirklich eine schlimme Geschichte, für die man sich nur entschuldigen | |
| kann“, erklärte sie öffentlich via Twitter. „Nach einigen Gesprächen bin | |
| ich aber sicher, dass es eine Lösung geben wird.“ | |
| Auch Anwalt Lupschitz bestätigt die Gespräche. Er sei „vorsichtig | |
| optimistisch“, dass es tatsächlich zu einer Lösung komme. Noch aber sei | |
| nichts fix. Für Lupschitz sollte der Fall Anlass sein, grundsätzlich zu | |
| prüfen, wie die Bafög-Ämter mit Härtefällen umgehen. „Es kann nicht sein, | |
| dass es hier keine Möglichkeiten für Härtefälle gibt, nicht einmal für | |
| Anschlagsbetroffene. Eventuell sollte das Gesetz hier überarbeitet werden.“ | |
| ## „Entscheidung am Menschen vorbei“ | |
| Druck kommt inzwischen auch aus der Politik. Nicole Gohlke, die | |
| hochschulpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, fordert in einem | |
| offenen Brief, Agata Maliszweska wieder ihr Bafög zu gewähren. Die | |
| Studentin sei wegen des Anschlags „vollkommen unverschuldet“ in ihre | |
| Notsituation geraten, die Ablehnung lasse „jegliche soziale Verantwortung | |
| vermissen“, heißt es darin. | |
| Im Prozess zum Terroranschlag in Halle hatte Maliszweska als Zeugin | |
| ausgesagt. Mehrere andere Betroffene beklagten dort, dass sie von der | |
| Polizei oder Behörden [2][rücksichtslos behandelt wurden]. Der Betreiber | |
| des angegriffenen Kiezdöners berichtete von fehlenden staatlichen Hilfen | |
| für sein in Existenznot geratenes Geschäft. | |
| Der Attentäter wurde Ende Dezember zu einer [3][lebenslangen Haftstrafe mit | |
| anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt]. Er legte dagegen keine | |
| Revision ein. Die Verurteilung ist damit inzwischen rechtskräftig. | |
| 12 Jan 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Prozess-gegen-den-Attentaeter-von-Halle/!5706803 | |
| [2] /Prozess-gegen-den-Attentaeter-von-Halle/!5730637 | |
| [3] /Lebenslange-Haft-fuer-Halle-Attentaeter/!5735260 | |
| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
| ## TAGS | |
| Antisemitismus | |
| Rechtsextremismus | |
| Schwerpunkt Rechter Terror | |
| Terrorismus | |
| Halle | |
| Bafög | |
| Bafög | |
| Schwerpunkt Rechter Terror | |
| Antisemitismus | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| 50 Jahre BAföG: Der Behörde Waffen sind Bescheide | |
| Wer sich das Studium nicht leisten kann, hat seit 1971 Anspruch auf BAföG. | |
| Heißt das Chancengleichheit für alle? Fünf Erfahrungsberichte. | |
| Lebenslange Haft für Halle-Attentäter: Höchststrafe für Menschenfeind | |
| Im Prozess zum Anschlag von Halle sucht der Täter einen letzten Eklat. Die | |
| Richterin würdigt die Opfer und ringt mit der Fassung. | |
| Antisemitischer Angriff in Hamburg: Verwirrt, Einzeltäter – wie immer | |
| Auf antisemitische Attentate folgen die immer gleichen, leeren | |
| Politphrasen. Dabei müsste längst klar sein: Solidarität allein reicht | |
| nicht. | |
| Prozess gegen den Attentäter von Halle: Weiter leben wollen | |
| Roman R. will sich nicht vertreiben lassen. Christina Feist verlässt | |
| Deutschland. Im Halle-Prozess haben die das Wort, denen der Hass des Täters | |
| galt. |