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# taz.de -- 50 Jahre BAföG: Der Behörde Waffen sind Bescheide
> Wer sich das Studium nicht leisten kann, hat seit 1971 Anspruch auf
> BAföG. Heißt das Chancengleichheit für alle? Fünf Erfahrungsberichte.
Bild: Für viele ein Grundstudium in Bürokratie: der erste BAföG-Antrag
## Ein Labyrinth aus Unterlagen
Rückblickend kommt mir der BAföG-Antrag wie ein kafkaeskes Videospiel vor.
Ein Kampf gegen einen Feind, der Hoffnung macht, um dann immer wieder zu
enttäuschen; der Klarheit vorgibt, aber voll verwirrt. Seine Waffen sind
die Bescheide, in denen er aufzählt, welche Unterlagen noch fehlen. Das
Suchen und Sammeln gleicht einer journalistischen Recherche, nicht der
tagesaktuellen für einen kurzen Bericht, sondern so richtig investigativ.
Dabei steigt die Komplexität des Spiels mit jedem Familienmitglied: je mehr
Geschwister, desto schwieriger. Und wenn man es so richtig wissen will,
dann leben die auch noch an verschiedenen Orten. Aber ich hatte Glück, ich
traf in diesem Labyrinth einen Menschen, der sich mit dem Feind auskannte:
die Mutter meiner damaligen Freundin. Sie hat mir geholfen, und wir haben
den Feind geschlagen. Zwar erst zu Beginn des zweiten Semesters, aber
besser spät als nie. Und hätte ich das Spiel nicht zu Ende gespielt, dann
hätte ich nicht so studieren können, wie ich letztlich studieren konnte:
nicht allein in Vorlesungen und Seminaren, sondern auf dem Campus, in
Gruppen, auf Demonstrationen, in Freundschaften. Volkan Ağar
## Zwei Behörden, keine Kommunikation
Durch den frühen Tod meines Vaters erhielt ich fast meine gesamte Kindheit
und Jugend Halbwaisenrente. Diese beträgt bei Halbwaisen 10, bei Vollwaisen
20 Prozent des Rentenanspruchs des Verstorbenen. Die Summe ist also extrem
variabel. In meinem Fall hätte mir meine Halbwaisenrente in den
allermeisten deutschen Universitätsstädten kein WG-Zimmer finanziert. Ich
klickte mich also durch die Sonderfälle auf der Seite des BAföG-Amtes.
Halbwaisenrente gilt als Einkommen, während einer Ausbildung komplett, bei
einem Studium werden 130 Euro monatlich nicht angerechnet. Erst einmal
logisch, schließlich erhalte ich Geld, das ich nicht zurückzahlen muss, für
das ich nicht gearbeitet habe. Halbwaisenrente allerdings wird über das 18.
Lebensjahr hinaus nur ausbezahlt, wenn man sich in einem
Ausbildungsverhältnis befindet. Bis dahin gibt es kein Geld. Es gibt aber
auch keinen BAföG-Bescheid ohne Rentenbescheid. Zwei Behörden, keine
Kommunikation. Am Ende war es bei mir ein Nullsummenspiel. Mittlerweile
lassen sich noch nicht genehmigte Sozialleistungen im BAföG-Antrag angeben,
eine Berechnung und Bearbeitung erfolgt trotzdem. Also in 50 Jahren doch
noch was dazugelernt. Malaika Rivzumwami
## Ein volles Konto wird belohnt
Als ich in den frühen 1990ern studierte, bekam ich BAföG. Es war keine hohe
Summe. Die lieben Eltern überwiesen jeden Monat was und ich arbeitete bei
einem Vertrieb für Software. Die musste damals auf Diskette transportiert
werden, an Downloads großer Datenmengen war nicht zu denken. Anfang der
Nullerjahre arbeitete ich für eine Weile als Consultant für einen
Internetdienstleister, der für eine Bank ein Produkt entwickelte. Nun war
das Konto voll, ich konnte den staatlichen Bildungskredit tilgen. Ich fand
heraus, dass ich einen satten Discount bekommen würde, wenn ich meine
BAföG-Schulden mit einer einzigen Überweisung beglich: Ich musste nur die
Hälfte zahlen. Dass Armut dem Armen in der freien Marktwirtschaft teuer zu
stehen kommt, ist klar: Wer Geld hat, bekommt Zinsen, Rabatte, dies und
das. Wer sich ständig im Dispobereich bewegt und im Zahlungsrückstand ist,
legt immer schön drauf. Dass aber auch der Staat ein volles Konto dermaßen
belohnte, während er bei anderen die Rückzahlung auf Heller und Pfennig
verlangte, fand ich unfair. Nahm das Angebot aber selbstredend in Anspruch.
Ulrich Gutmair
## Das Privileg einer BAföG-Familie
Als ich meiner Mutter erzählte, dass ich in Dresden studieren werde, war
das Erste, was sie sagte: Sobald du immatrikuliert bist, musst du deinen
BAföG-Antrag stellen. Gesagt, getan. Die Unterlagen, Gehaltsnachweise
meiner Eltern, die Studienbescheinigungen meiner Geschwister und was sonst
noch dazu gehört, waren schnell zusammengesucht, schließlich bezogen auch
meine beiden älteren Geschwister schon BAföG, ebenso wie meine Eltern in
ihrer Studienzeit. Ich hatte also das Privileg, aus einer BAföG-Familie zu
kommen, in der Vorwissen und ein Durchschauen der bürokratischen Hürden
gegeben war. Kurz nach meinem Studienstart war mein BAföG genehmigt und das
Geld auf meinem Konto. Der Höchstsatz von damals knapp 600 Euro plus
Kindergeld, das meine Eltern mir monatlich überwiesen, reichten in meinem
Bachelorstudium zum Leben. Statt neben meinem Studium arbeiten zu müssen,
konnte ich viel faulenzen. Meine Happy-BAföG-Story endete erst Jahre nach
dem Studium: Laut meiner Rückzahlungsforderung hätte ich Tausende Euro
sparen können, wenn ich den Betrag auf einen Schlag überweise. Konnte ich
nicht. Das machte den Berufsbeginn mit knapp 1.000 Euro Nettoverdienst,
Berliner Mietpreisen und 130 Euro BAföG-Rückzahlung nicht gerade
geschmeidig. Jetzt bleibt mir nur noch: Weiterzahlen und auf 2025 warten.
Dann sollte die letzte Rate getilgt sein. Carolina Schwarz
## Das Drama der Regelstudienzeit
Auslands-BAföG klingt erst einmal toll. Ein Darlehen unabhängig vom
Einkommen der Eltern, das man nicht zurückzahlen muss. Während meines
Indologiestudiums waren sechs Monate Auslandsaufenthalt verpflichtend. Ich
ergatterte ein Praktikum am Goethe-Institut in Mumbai. Für die Finanzierung
war ich selbst zuständig. Gleiche Chancen für jeden in Deutschland, das
habe ich schon früh gelernt, gelten für Arbeiter:innenkinder eher
nicht. Meine Regelstudienzeit endete zwei Monate nach dem Start des
Praktikums. Ich erhielt also nur für diese Zeit Auslands-BAföG. Wie soll
das zu schaffen sein, wenn die eigenen Eltern einem nicht helfen können?
Hilflosigkeit machte sich breit und das Praktikum, welches ich brauchte, um
mein Studium zu schaffen, stand auf der Kippe. Ich begriff erneut, dass man
trotz akademischen Bildungswegs nicht auch direkt davon profitiert. Die
Regelstudienzeit einzuhalten ist bemerkenswert, mit Existenzängsten aber
oft schwer. Ich gab nicht auf, bewarb mich auf ein Kurzeitstipendium, lieh
mir Geld und flog nach Mumbai. Celina Ploenes
10 May 2021
## AUTOREN
Volkan Ağar
Malaika Rivuzumwami
Ulrich Gutmair
Carolina Schwarz
Celina Ploenes
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