# taz.de -- Prozess gegen den Attentäter von Halle: Weiter leben wollen | |
> Roman R. will sich nicht vertreiben lassen. Christina Feist verlässt | |
> Deutschland. Im Halle-Prozess haben die das Wort, denen der Hass des | |
> Täters galt. | |
Bild: Das Ziel des Attentäters, hier zwei Tage nach dem Anschlag | |
Applaus im Gerichtssaal gilt als unangemessen. Aber er kommt schon einmal | |
vor, nach Freisprüchen etwa. Applaus im Anschluss an die Befragung einer | |
Zeugin ist ungewöhnlich. Doch genau so beginnt der achte Verhandlungstag in | |
dem [1][Prozess um das rechtsextremistische Attentat in Halle], als die | |
Nebenklägerin Mollie Sharfman sich im Zeugenstand von der Macht des | |
Attentäters befreit. | |
Mollie Sharfman ist in dem Verfahren die erste Stimme der Jüdinnen und | |
Juden, die die Synagoge von Halle besucht hatten, während der Täter | |
versuchte, sich Zugang zu dem Gebäude zu verschaffen. Sharfman spricht | |
ruhig und bewusst am Täter vorbei in den Raum, und meint doch den | |
28-Jährigen Rechtsextremisten: „Du hast dich mit der falschen Person | |
angelegt, mit der falschen Familie, mit den falschen Nebenklägern. Du hast | |
dich mit den falschen Leuten angelegt. Von diesem Tag an wird er mir keine | |
persönlichen Qualen mehr verursachen. Es endet heute.“ Dies ist der erste | |
von vier Befreiungsschlägen, der an diesem Tag von Applaus besiegelt wird. | |
Vom Zeug:innenstand geht sie zurück zu einer der drei langen Tischreihen, | |
die dem Täter gegenüberstehen. Sie lässt sich in die Arme einer anderen | |
jungen Frau fallen: Christina Feist. Das Band zwischen ihnen ist fest | |
geschnürt – durch ihre gemeinsame Geschichte und ihren gemeinsamen Kampf. | |
Beide Frauen sind keine Mitglieder der jüdischen Gemeinde von Halle. Sie | |
kamen durch eine Initiative des Rabbiner:innenpaars Jeremy Borovitz und | |
Rebecca Blady in die Stadt, um Jom Kippur fernab der vollen Synagogen | |
Berlins zu feiern und eine ältere lokale Gemeinde zu beleben. Was dieser | |
Feiertag für jüdische Menschen bedeutet und wie er für gewöhnlich begangen | |
wird, erzählt Rabbi Borovitz am Dienstag vor Gericht. Feist sagt dazu: „Ich | |
finde schön, dass der Rabbiner befragt wurde. Eine ehrliche Frage ist | |
besser, als Vermutungen anzustellen. Der Täter weiß mehr über Jom Kippur, | |
als das Gericht, das diesen Prozess leitet, und die Polizei, die uns damals | |
evakuiert hat.“ | |
## Die Tat vom 9. Oktober 2019 | |
[2][Am 9. Oktober 2019] versuchte der Rechtsextremist sich mit | |
selbstgebauten Waffen Zugang zur halleschen Synagoge zu verschaffen. Er | |
überträgt ein Video der Tat live im Internet. Eines seiner Vorbilder ist | |
das [3][Attentat von Christchurch], bei dem der Täter zwei Moscheen | |
stürmte, dabei 51 Menschen ermordete und ebenso viele körperlich verletzte. | |
In etwa so viele Menschen befinden sich an diesem Mittag in der halleschen | |
Synagoge. Es ist Jom Kippur, der höchste jüdische Feiertag. Die Holztür zum | |
Innenhof hält den Schüssen und Tritten des Täters stand und rettet 52 | |
Menschenleben. Der Täter erschießt die Passantin Jana L. auf der Straße vor | |
der Synagoge und den 22-jährigen Kevin S. in dem nahegelegenen Kiez-Döner. | |
Er liefert sich auf der Straße vor dem Imbiss einen Schusswechsel mit der | |
Polizei, fährt bei seiner Flucht einen Mann auf der gegenüberliegenden | |
Straßenseite an und feuert auf ein Paar gezielte Schüsse ab, als dieses | |
sich weigert, sein Auto zur Flucht an den Täter zu übergeben. | |
[4][Die Anklage] lautet: Zweifacher Mord und versuchter Mord in 68 Fällen. | |
43 Menschen sind in dem Prozess als Nebenkläger zugelassen. Es sind | |
Angehörige der Getöteten, von der Polizei, aus der Synagoge und dem | |
Kiez-Döner. | |
Strafprozesse drehen sich stets um die Täter:innen, deren Schuld und eine | |
Strafe zu ermitteln sind. Die Opfer bleiben meist stille Randfiguren. | |
Diesmal ist es anders. In dem Magdeburger Gerichtssaal erheben die | |
Nebenkläger:innen ihre Stimmen selbstbewusst. | |
Wie Jom Kippur im vergangenen Jahr abgelaufen ist, das berichten an diesem | |
Dienstag und Mittwoch neben Rabbiner Borovitz weitere Betroffene. Alle | |
Anwesenden erleben den Tag des Attentats immer und immer wieder, Schritt | |
für Schritt aus verschiedenen Perspektiven. Die Bilder überlappen sich zum | |
Teil zeitlich und sind doch sehr verschieden. Im Laufe der Prozesstage acht | |
und neun ergibt sich ein Gesamtbild, das allen Kameras verborgen blieb. Es | |
ist ein Bewegtbild. | |
An jedem der bisherigen Prozesstage veranstalten Unterstützer:innen eine | |
Kundgebung vor dem Gericht, auf denen auch die Betroffenen sprechen. | |
Christina Feist sagt dort zum Prozessauftakt, Antisemitismus sei „ein | |
trauriger Teil unseres alltäglichen Lebens“. Das „Nie wieder“ seien „W… | |
die für mich jegliche Bedeutung und Glaubwürdigkeit verloren haben“. Die | |
Gesellschaft müsse Antisemitismus endlich ernsthaft bekämpfen. „Ich bitte | |
Sie inständig: Lassen Sie uns damit nicht allein!“ | |
## „Wie haben Sie diesen Tag erlebt?“ | |
Diese Forderungen haben sich an den ersten Prozesstagen nur bedingt | |
erfüllt. Zwar sind die Besucher:innenplätze von Beginn an komplett gefüllt | |
und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit hält an, doch im bisherigen | |
Verlauf des Verfahrens sind die Nebenkläger:innen häufig der | |
Selbstdarstellung des Angeklagten ausgesetzt. Das Tatvideo wird vor Gericht | |
erneut gezeigt, das Lächeln des Täters begleitet diese Bilder sowie fast | |
jede Befragung. Anfangs nutzt dieser jede Chance zur Ausbreitung seiner | |
Ideologie. Selbst die Befragung des Rabbiners Borovitz am Dienstag versucht | |
er mit einer Suggestivfrage für sich zu nutzen. | |
Am achten Tag scheint sich das Blatt zu wenden. Da wird die eine Frage | |
gestellt: „Wie haben Sie diesen Tag erlebt?“ Die Blicke im Gerichtssaal | |
sind kaum mehr auf den Täter gerichtet. Es geht nicht um die Schuldfrage | |
oder das Strafmaß, es geht um Macht und Ermächtigung. | |
„Die Frage: Wie haben Sie den Tag erlebt, wurde mir schon ich weiß nicht | |
wie oft gestellt. Doch es ist etwas anderes, ob man ein Interview gibt oder | |
im Prozess eine Aussage macht. Und ich glaube, ich habe erst heute | |
verstanden, wie wichtig es ist, da echt mein emotionales Innenleben | |
hinzulegen“, sagt Christina Feist nach den Aussagen von Mollie Sharfman, I. | |
Berger und Jeremy Appelbaum Borovitz, mit denen sie am 9. Oktober 2019 in | |
der Synagoge zusammensaß. | |
„Dieser Prozess löst in allen von uns etwas völlig anderes aus“, sagt Fei… | |
am Rande des Prozesses. „Jeder geht auf unterschiedliche Weise mit Trauma | |
und Schmerz um“, sagt auch Rabbiner Borovitz im Zeugenstand, „aber für mich | |
und meine Mitzeugen haben wir heute die Geschichte von Jom Kippur und über | |
diesen Angriff zu einer Geschichte gemacht, die nicht von Trauer, sondern | |
von Widerstandsfähigkeit handelt. Aus der Tragödie werden wir Leben | |
aufbauen“, sagt er. | |
Aus den Schilderungen mag sich ein Bild des Innenlebens der Synagoge | |
zusammensetzen lassen, es zeigt sich jedoch nicht das eine Innenleben ihrer | |
Gläubigen. Es gibt unterschiedliche Spuren, die bleiben, unterschiedliche | |
Konsequenzen, die sie ziehen, unterschiedliche Worte, die sie gesprochen | |
wissen wollen. | |
Mollie Sharfman sagt: „Mein Großvater ist ein Überlebender des Holocausts. | |
Lange Zeit war er der einzige Überlebende der Familie. Er hat mich im Arm | |
gehalten und wollte mich davor beschützen. Nun gehöre ich auch zu den | |
Überlebenden. Das wollte ich nicht, aber nun ist es so. Jetzt stehe ich | |
hier und ich bin stark.“ | |
I. Berger sagt: „Ich glaube, so schockierend das auch für uns alle war, | |
jüdisches Leben hat mehr durchgestanden und auch jetzt werden wir | |
weitermachen wie vorher. Das wird uns sicher nicht davon abhalten, in eine | |
Synagoge zu gehen und jüdisches Leben zu leben. Das werden wir uns nicht | |
von ihm oder jemand anderem nehmen lassen.“ | |
Sie sagt auch: „Was für mich sehr belastend ist und was sich nicht ändern | |
wird: dass zwei Menschen tot sind, weil ich es nicht bin. Mir wäre es | |
persönlich lieber gewesen, wenn er auf mich geschossen hätte, als zwei | |
Menschen, die damit nichts zu tun haben. Ich kann ihm verzeihen, dass er | |
versucht hat, mich umzubringen, aber nicht, dass er zwei andere Menschen | |
getötet hat. Das werde ich nie verstehen.“ | |
Rabbiner Borovitz sagt: „Ich kam vor zwölf Jahren zum ersten Mal nach | |
Berlin. Zum zweiten Mal vor vier Jahren. Ich habe mich in diese Stadt | |
verliebt. Ich glaube fest an eine jüdische Zukunft in diesem Land. Vor | |
diesem schrecklichen Erlebnis wussten wir nicht, wie lange wir hier bleiben | |
würden, nun muss ich sagen, dass jüdisches Leben in Deutschland weitergehen | |
wird, es wird blühen, es wird wachsen, und ich bin froh über das Privileg, | |
daran teilzuhaben. Wir haben keine Angst. Wir verstecken uns nicht. Wir | |
sind laut und wir werden gehört.“ | |
Am Dienstagnachmittag sagt Vorbeter Roman R.: „Ich habe mich entschieden, | |
jüdisch zu leben. Mein erster Gedanke war: Das ist der Preis, dass du | |
irgendwann von irgendwem erschossen wirst. Du kannst noch so gut Deutsch | |
sprechen, noch so gut integriert sein, du bleibst trotzdem der Jude. Dann | |
kamen die ersten Solidaritätsbekundungen. Wie Salbei auf meinen Wunden war | |
der erste Freitag nach dem Anschlag. Ich kam zur Synagoge, zwei Stunden | |
bevor der Schabbat beginnt, und da hieß es, draußen haben sich Menschen | |
versammelt und …“, er unterbricht, hält mit seinem Anwalt Rücksprache. | |
Dann richtet er sein Wort direkt an den Täter: „Ich kam nach draußen auf | |
die Straße. Auf diese Straße, auf der du warst. Die Straße war voll. | |
Tausend Menschen: alt, jung, Hallenser, aus ganz Deutschland sind sie | |
angereist, Nichtjuden, und sie haben gesungen. Sie haben Schalom gesungen, | |
Frieden. Sie haben gesagt: Wir werden diesen Ort nicht verlassen. Wir | |
werden die Synagoge beschützen. Das ist das Deutschland, was ich kenne. Was | |
du gemacht hast? Du hast leider zwei Menschen umgebracht und vielen | |
Menschen ein Trauma hinterlassen, aber ich sehe nur Liebe und Toleranz, die | |
gekommen ist. Ich habe mir gesagt: Ich bleibe hier. Und du? Für den Rest | |
deines Lebens musst du damit leben: Was du getan hast, hat nichts | |
gebracht“. | |
## Ein Schritt zur Trauerbewältgung | |
Die persönliche Trauer kann nicht losgelöst werden vom jüdischen Glauben, | |
der Herkunft der Betroffenen und deren Stellung in der deutschen | |
Gesellschaft. Auch nicht für jene, die den Prozess an diesen Tagen | |
verfolgen – sie applaudieren, haben Tränen in den Augen. Auch nicht für das | |
Gericht – es gibt Raum und gewährt den Applaus. | |
Christina Feist sagt: „Dieser Prozess und meine aktive Teilnahme darin sind | |
ein bewusster und hoffentlich letzter Schritt meiner Trauerbewältigung. Ich | |
setze mich da jetzt noch mal hin und kann hoffentlich ganz ehrlich sagen, | |
wie es mir ging, wie es mir geht, und habe dabei hoffentlich die | |
Gelegenheit, nicht nur diesen Anschlag und diesen Täter zu thematisieren, | |
sondern das größere Ganze: Deutschland als Ganzes, die deutsche Politik, | |
die Arbeit der Polizei, vielleicht auch, was ich von diesem Gericht halte. | |
Ich wüsste nicht, auf welcher Plattform ich das sonst sagen könnte, um | |
gehört zu werden. Manchmal geht es mir schlecht, und ich kann nicht direkt | |
erkennen, warum. Ich glaube, dass mir mit der Aussage noch mal ein Stück | |
Realität zurückgegeben wird.“ | |
Wirklich zur Ruhe gekommen ist die kleine Gemeinde in Halle bis heute | |
nicht. Rund 500 Mitglieder zählt sie, viele von ihnen sind älter und | |
entstammen Familien osteuropäischer Herkunft. Nach dem Anschlag kamen | |
reihenweise Politiker:innen zu Besuch, die Gläubigen erhielten | |
Hilfsangebote. Und sie machten weiter, ließen keinen Gottesdienst | |
ausfallen. Die Gemeinschaft sollte nicht zerfallen, der Hass nicht siegen. | |
Dann aber kam die Coronapandemie, die nächste Herausforderung. Nur noch 19 | |
Gläubige dürfen seitdem gemeinsam in die Synagoge mit den bunten | |
Glasfenstern und dem hölzernen Pult zur Toraverlesung. Zum ersten Mal seit | |
1945 musste das Pessachfest ausfallen und durfte das Gedenken an die | |
Schoah-Opfer, Jom haScho'a, nur virtuell stattfinden. | |
Der Sicherheitsbeauftragte Vladislav Ryabichev lässt nur noch polizeilich | |
überprüfte Besucher:innen durch die Tür auf das Synagogengelände. Roman | |
R. schaut noch immer reflexartig auf den Bildschirm der Überwachungskamera | |
an der Synagogentür, wenn er vorbetet. Bis vor vier Wochen klafften in der | |
dunkelbraunen Eichenholztür noch die Einschusslöcher des Attentats. Dann | |
wurde die Tür ausgetauscht, für ein neues, noch festeres Modell, 160 | |
Kilogramm schwer. Die alte Tür soll im Oktober, wenn seit dem Anschlag ein | |
Jahr vergangen ist, im Hof aufgestellt werden – als Mahnmal. Was passiert | |
ist, wird die Gemeinde nicht mehr loslassen, auch, weil es größere Fragen | |
aufgeworfen hat. | |
Heute thronen Kameras gut sichtbar auf Mästen vor der Synagoge, die Polizei | |
hat einen weiß-blauen Container ganz in der Nähe aufgestellt. Bis heute | |
verhandelt die Gemeinde mit dem Land über ein neues Sicherheitskonzept. An | |
Jom Kippur 2019 war keine Polizei vor der Synagoge – die Beamten hielten | |
das Gotteshaus für nicht gefährdet. Nun stockt die Landesregierung die | |
Gelder für Schutzmaßnahmen jüdischer Einrichtungen im Land auf. | |
Schon im Vorfeld des Prozesses vernetzten sich die Betroffenen, einige | |
veröffentlichten zum Beginn eine Erklärung. Der Prozess müsse „den Mythos | |
des isolierten Einzeltäters aufdecken und eine verantwortungsvolle Politik | |
zur Bekämpfung der zunehmenden Online-Radikalisierung entwickeln“, heißt es | |
darin. Die Gesellschaft müsse „den Ideologien, die zur Barbarei führen, die | |
wir in Halle erlebt haben, furchtlos entgegentreten“. | |
## Das Versagen der Behörden | |
Der Mittwoch beginnt mit der Vernehmung des Sicherheitsbeauftragten der | |
Synagoge, Vladislav Ryabichev. Die Welle an Energie des Vortages scheint | |
abgeebbt. Der Verteidiger befragt Ryabichev fast übergriffig zum Lageplan | |
und dem Sicherheitskonzept des Synagogengrundstücks. Nach einem | |
Schlagabtausch zwischen dem Verteidiger und den Nebenklageanwält:innen | |
spricht Ryabichev den Verteidiger an: „Jetzt frage ich Sie als Jude: Planen | |
sie etwas?“ | |
Mollie Sharfman findet es verwunderlich, dass es in Deutschland so wenig | |
Wissen über das Judentum gibt, gerade nachdem man sich so an der | |
Aufarbeitung seiner Vergangenheit versucht habe. Sie selbst versuche dies | |
nicht persönlich zu nehmen, sagt sie nach der Befragung Ryabichevs am | |
Mittwoch. „Ich fühle mich nach dem gestrigen Tag noch immer ermächtigt. Vor | |
Gericht sitzt eine Person, aber den Hass gibt es weltweit. Ich schöpfe viel | |
Kraft daraus, dass wir darüber reden, wie die Welt eine bessere werden | |
kann.“ | |
Das Versagen der Einsatzkräfte und Ermittler, es ist offensichtlich noch | |
nicht zu Ende: Erst vergangene Woche offenbarten BKA-Beamte, dass sie die | |
Online-Aktivitäten des Täters nicht rekonstruieren können. Eine Anwältin | |
hakte nach: „Sie wurden mit der Auswertung beauftragt, obwohl Sie keine | |
Ahnung von Steam und Gaming haben?“ Die zögerliche Antwort lautete: „Ja.“ | |
In dieser Woche war in dem Prozess das Video der Überwachungskamera über | |
der Synagogentür zu sehen. Es dokumentiert die unterlassene Hilfeleistung | |
der polizeilichen Einsatzkräfte vor Ort. Und auch die Aussagen der | |
Nebenkläger:innen zeugen von deren Inkompetenz. | |
So mussten die überlebenden Gläubigen mit der Polizei darum kämpfen, ihr | |
koscheres Essen zum Fastenbrechen mit sich führen zu dürfen. Rabbiner | |
Borovitz führte lange Diskussionen, um seine 15 Monate alte Tochter bei | |
sich behalten zu dürfen, die während des Anschlags mit ihrer Nanny in einem | |
nahe gelegenen Café gewesen war. Er erzählt von einem weiteren Fehltritt: | |
„Auf dem Weg zum Bus habe ich eine katholische Nonne gesehen, sie kam, um | |
Unterstützung anzubieten. Ich denke durchaus, dass das vom Instinkt gut | |
gemeint war, aber vom jüdischen Standpunkt aus war das triggernd. Es gibt | |
eine lange Geschichte der Zwangskonversion, des Drucks, den jüdischen | |
Glauben aufzugeben. In dieser Situation mit einer Nonne konfrontiert zu | |
werden, war für einige wirklich bestürzend.“ | |
„Sie können das besser machen“, sagt er und meint damit nicht nur die | |
Polizist:innen, sondern die deutsche Gesellschaft. | |
Wenn Christina Feist nicht bei dem Prozess in Magdeburg anwesend ist, dann | |
arbeitet sie in Frankreich an ihrer Promotion. Ursprünglich sollte es nur | |
ein begrenzter Studienaufenthalt werden. Nun ist für sie klar: „Ich komme | |
sicher nicht nach Deutschland zurück. Das war’s. Und das ist nicht nur | |
diesem Anschlag geschuldet, sondern auch der miserablen Arbeit der Polizei. | |
Ich lasse mir mein Judentum nicht von einem Anschlag nehmen und ich lasse | |
mir auch nicht nehmen, Jom Kippur wieder in Halle zu verbringen. Aber ich | |
kann hier nicht mehr leben.“ | |
Mitarbeit: Konrad Litschko | |
2 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Pia Stendera | |
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