| # taz.de -- Prozess zum Anschlag in Halle: Keine Zweifel an der Gesinnung | |
| > Handelte der mutmaßliche Attentäter von Halle wirklich allein? Vor | |
| > Gericht wird klar, wie wenig die Ermittler über das Onlineleben des | |
| > Angeklagten wissen. | |
| Bild: Richterin Ursula Mertens im Prozess gegen den Attentäter von Halle am La… | |
| Magdeburg taz | Und Stephan B. grinst immer noch. Als es vor dem | |
| Landgericht Magdeburg um sein „Manifest“ geht, in dem er dazu aufruft, alle | |
| Juden zu töten. Als es um japanische Anime-Zeichnungen geht, die – | |
| antisemitisch und NS-verherrlichend abgewandelt – hundertfach auf seinem PC | |
| gefunden wurden. Oder um verschlüsselte Ordner, welche die Ermittler nicht | |
| knacken konnten. Stephan B. grinst auf der Anklagebank vor sich hin, als | |
| gehe es hier nur um Späße – und nicht um Vorbereitungen zu einem Attentat, | |
| das zwei Menschen das Leben kostete. | |
| So geht das schon seit Juli, seit gegen B. [1][der Prozess] eröffnet wurde. | |
| Der 28-jährige [2][Rechtsextremist] soll im Oktober 2019 versucht haben, | |
| die Synagoge in Halle zu stürmen, in der damals Jom Kippur gefeiert wurde. | |
| Er scheiterte, aber erschoss in der Folge eine Passantin und einen Gast in | |
| einem nahegelegenen Dönerimbiss. Die Tat übertrug er live im Internet, im | |
| Prozess räumte er sie ohne Reue ein. Und gibt sich seitdem betont gelassen, | |
| ja belustigt. | |
| Am Mittwoch nun geht es um das soziale Umfeld von Stephan B. – und um Funde | |
| auf seinem PC und seinem Handy. Mehrere ErmittlerInnen schildern, wie der | |
| Attentäter vor der Tat seinen Computer präpariert habe. Zahlreiche Daten | |
| waren gelöscht, andere dafür gezielt für die Ermittler vorbereitet worden. | |
| Ein Ordner – mit dem „Manifest“ und einer Beschreibung seiner selbst | |
| gebauten Waffen – war eigens für das BKA angelegt und entsprechend | |
| betitelt. | |
| Einige der gelöschten Daten, auch auf USB-Sticks, konnten die Ermittler | |
| wiederherstellen. Sie fanden Hunderte Fotos und Anime-Zeichnungen, mit | |
| Hitler-Grüßen und Hakenkreuzen, auch mit brutalen Gewaltszenen, | |
| einschlägige Musiktitel oder Videos, etwa von der Atomwaffendivision. Dazu | |
| immer wieder Referenzen an die US-amerikanische Altright-Bewegung. An | |
| seiner Gesinnung besteht also kein Zweifel. Schon bei seiner Vernehmung | |
| nach der Festnahme hatte er darum gebeten, die USB-Sticks zurückzubekommen, | |
| weil sie ihm „am Herzen liegen“. | |
| ## Gab es „seine Leute“? | |
| Die Frage ist bis heute nur, ob Stephan B. dies alles für sich allein | |
| sammelte – oder ob er Teil eines größeren rechtsextremen Onlinenetzwerks | |
| war. In der Anklageschrift wird der 28-Jährige als Einzeltäter beschrieben. | |
| Schon zu Schulzeiten war er Außenseiter, besuchte nach eigener Auskunft nie | |
| politische Veranstaltungen und fand nach einem abgebrochenen Chemiestudium | |
| nie eine Arbeit. | |
| Seine Zeit aber verbrachte er, das wird am Mittwoch abermals deutlich, | |
| intensiv im Internet; auf Gaming-Portalen, wo er Ego-Shooter spielte; oder | |
| auf Imageboards, anonymen Chatformen. Auf einem, dem Meguca-Board, postete | |
| er vor seinem Anschlag auch sein „Manifest“: ein dünnes Dokument, in dem er | |
| auf englisch erklärt, wie er über Monate seine Waffen selbst zusammenbaute, | |
| die Synagoge ausspähte und seinen Hass gegen Juden freien Lauf ließ. | |
| Genau diese Imageboards aber machen es den ErmittlerInnen schwer. Welche | |
| Beiträge B. dort schrieb, sei nicht zu rekonstruieren, erklären diese. Auch | |
| nicht, was der Angeklagte im Darknet trieb, in dem er nachweislich | |
| unterwegs war. Eine BKA-Ermittlerin räumt zudem ein, dass man den Betreiber | |
| von Meguca erst nach einem TV-Bericht kontaktiert hatte – da aber sei der | |
| Post von B. und das gesamte Unterforum bereits unwiderruflich gelöscht | |
| gewesen. | |
| B. verfolgt die Ausführungen aufmerksam, teils amüsiert. Wo er im Prozess | |
| sonst ausschweifend aussagte, schwieg er in seiner Befragung, als es um | |
| seine Internetaktivitäten geht. Er wolle „seine Leute“ schützen, erklärt | |
| er. In seinem „Manifest“ benannte er einzig einen „Mark“, der ihm eine | |
| Bitcoin-Spende in Höhe von rund 1.000 Euro vermacht habe. Die Ermittler | |
| aber fanden keine Belege, dass es diese gab. Offen huldigte B. dagegen den | |
| Christchurch-Attentäter, der im März 2019 in zwei Moscheen in Neuseeland 51 | |
| Menschen erschoss. | |
| ## Im Schuppen des Vaters testete er seine Waffen | |
| Ernster wird der Angeklagte jedoch, als die Leiterin der Grundschule | |
| aussagt, an der seine Mutter als Ethiklehrerin bis zuletzt arbeitete. Die | |
| Mutter, wie auch der Rest der Familie, will von den Anschlagsplänen nichts | |
| mitbekommen haben – im Prozess verweigerte sie die Aussage. Allerdings | |
| wohnte er bis zum Schluss bei seiner Mutter, im Schuppen seines Vaters | |
| baute und testete er seine Waffen. Und auch Bekannte schildern, dass B. | |
| wiederholt mit rechtsextremen Sprüchen auffiel. | |
| Nun ist es die Schuldirektorin, die schildert, dass sie B. zwar nur zwei | |
| Mal beiläufig gesehen habe, die Mutter habe im Kollegium aber über ihren | |
| Sohn gesprochen. Wie dieser nun den Koran lese, das Schweißen lerne, | |
| zeitweise nur englisch mit seiner Mutter sprach und nicht einverstanden | |
| damit war, „dass so viele Kulturen in Deutschland leben“. Sie habe sich | |
| damals nichts dabei gedacht. „Jetzt im Nachhinein ergibt sich ein Bild, ein | |
| erschreckendes.“ | |
| B. starrt dabei auf seinen Tisch. Seine Mutter musste nach der Tat | |
| psychologisch betreut werden, hat den Schuldienst inzwischen quittiert und | |
| unternahm einen Suizidversuch. In einem Abschiedsbrief beklagte sie, ihren | |
| Sohn verloren zu haben, ließ aber auch selbst antisemitische Ressentiments | |
| anklingen. Eine Kollegin schildert B.s Mutter dagegen als politisch | |
| unverdächtig und verlässliche Kollegin. Dass ausgerechnet der Sohn einer | |
| Ethiklehrerin solch eine Tat begehe, „erschüttert mich sehr“. | |
| 26 Aug 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
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