# taz.de -- Prozess gegen Halle-Attentäter: Kein Einzeltäter | |
> Es mit einem Urteil in Magdeburg gut sein zu lassen wäre falsch. Die | |
> Bedrohung von Rechts bleibt für viele Menschen real. | |
Bild: Am 9. Oktober 2019 wurden in Halle zwei Menschen erschossen | |
In Magdeburg steht der [1][Attentäter von Halle vor Gericht]. Der Mann, der | |
im Oktober am jüdischen Feiertag Jom Kippur erst ein Massaker in der | |
Synagoge von Halle anrichten wollte, dann eine Passantin auf der Straße | |
erschoss und anschließend einen Mann in einem Dönerimbiss, wird zu einer | |
langen Haftstrafe verurteilt werden. Großes Aufatmen, endlich kehrt wieder | |
Ruhe und Ordnung ein. Für manche Menschen in diesem Land zumindest – für | |
viel zu viele aber nicht. | |
„Wie konnte es so weit kommen?“ Diese Frage war „nach Halle“ allenthalb… | |
zu hören. Von einem „Alarmzeichen“ sprach CDU-Chefin Annegret | |
Kramp-Karrenbauer, von „Entsetzen“ Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. | |
Aber antisemitische Gewalt ist in Deutschland nicht neu, im Gegenteil. In | |
seinem gerade erschienenen Buch „Terror gegen Juden“ listet der Autor Ronen | |
Steinke auf 90 Seiten eine Chronik antisemitischer Gewalt seit 1945 auf. | |
Der Attentäter mag allein gehandelt haben, aber er war nicht allein. | |
Nicht nur radikalisierte er sich anscheinend in einer von Hass durchsetzten | |
Online-Community – sondern auch in einem Land, dessen gesellschaftlicher | |
Diskurs nach rechts sperrangelweit offen steht und das vor mörderischen | |
Zusammenhängen die Augen verschließt. Der Mörder von Halle übertrug seine | |
Tat ins Netz. Er wollte Anerkennung und war überzeugt, dass er sie bekommen | |
würde. | |
Dass er so dachte, liegt längst nicht nur an Neonazis, sondern auch an | |
Menschen, die als „besorgte Bürger“ von „Islamisierung“ und „Überfr… | |
reden. An Menschen, die eine immer selbstbewusstere Vielfalt in Deutschland | |
– sei es in Sachen Herkunft, Religion, sexueller oder geschlechtlicher | |
Identität – als Bedrohung für die „deutsche Kultur“ empfinden. | |
## Wer „Überfremdung“ sagt, macht sich mit schuldig | |
Die meisten dieser Menschen würden niemals eine Waffe zur Hand nehmen, | |
viele haben sicher mit Entsetzen auf die Tat in Halle reagiert. Trotzdem | |
sorgen sie mit ihrer Haltung für den fruchtbaren Boden, auf dem solcher | |
Hass mit einem solchen Selbstbewusstsein wächst. Es darf deshalb nicht | |
wieder Ruhe und Ordnung einkehren. Es muss endlich Aufruhr herrschen. Sich | |
allein auf diesen einen Täter und den Anschlag in Halle zu fokussieren, | |
greift zu kurz. | |
In einem Beitrag der linken Videojournalismus-Plattform Leftvision sagt | |
eine Frau, die den Anschlag in der Synagoge erlebt hat: Es sei es leicht, | |
mehr Polizei vor Synagogen zu stellen und zu sagen: „Die Juden und Jüdinnen | |
sind sicher. Problem gelöst.“ Doch das reiche nicht. Der Täter war nicht | |
nur [2][Antisemit, er war auch Rassist und Antifeminist]. Das ist kein | |
Zufall: Wenn von „gesteuerter Überfremdung“ die Rede ist – dann muss es … | |
Hintergrund jemanden geben, der steuert. | |
Wenn von „Geburtenkrieg“ die Rede ist, dann hat jemand den perfiden Plan, | |
die Geburtsraten zu manipulieren – so dass christliche, weiße Frauen | |
weniger Kinder bekommen und muslimische Frauen of Color mehr. So ist der | |
Anschlag von Halle nicht zu trennen vom Mord an [3][Walter Lübcke], nicht | |
von dem rassistischen Anschlag in Hanau, bei dem ein Rassist neun Menschen | |
in und um Shisha-Bars erschoss, und auch nicht von den Drohschreiben des | |
[4][NSU 2.0], von denen ganz besonders linke und Frauen of Color betroffen | |
sind. | |
Nur ganz bestimmte Menschen in Deutschland können es sich leisten, sich | |
nach dem Urteilsspruch in Magdeburg zurückzulehnen und zu sagen: Zum Glück | |
ist dieses Monster hinter Gitter, das normale Leben kann weitergehen. Das | |
Monster kam nicht aus dem Nichts, und die Bedrohung ist für so viele | |
Menschen in diesem Land real. Für Jüdinnen und Juden, für Migrant*innen, | |
für People of Color. Für Queers. Für Frauen. | |
Es reicht deshalb nicht, wenn Hessens Innenminister Peter Beuth einen | |
Sonderermittler einsetzt, der feststellen soll, ob es ein rechtes Netzwerk | |
in der hessischen Polizei gibt. Die Fragen müssen endlich lauten: Wo gibt | |
es dieses Netzwerk – und wie können wir es zerschlagen. | |
24 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Prozess-zum-Attentat-auf-Synagoge/!5695499&s=anschlag+in+halle/ | |
[2] /Berliner-Jahresbericht-zu-rechter-Gewalt/!5697837&s=antisemitismus/ | |
[3] /Prozess-zum-Mord-an-Walter-Luebcke/!5697674&s=walter+l%C3%BCbcke/ | |
[4] /Innenausschuss-zu-NSU-20-Drohschreiben/!5695710/ | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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