| # taz.de -- Rassistischer Anschlag in Hanau: „Unser ganzes Leben ist zerstör… | |
| > Nach einem Verbot der Gedenk-Demo für die Opfer des Anschlags von Hanau | |
| > wurden die Reden per Livestream übertragen. Wir veröffentlichen vier | |
| > Auszüge. | |
| Bild: Gedenken am Tatort in Hanau – sechs Monate liegt der rassistisch motivi… | |
| Emiş Gürbüz, Mutter von [1][Sedat Gürbüz] (†30) | |
| „Sedat hat den Sommer geliebt. Wenn der April mal einen warmen Tag hatte, | |
| ist er sofort in Shorts und T-Shirt rausgegangen. Es war noch kalt, als er | |
| starb. Der Sommer ist jetzt bald vorbei und er hat nichts davon gesehen. Er | |
| mochte es, wenn die Erzieherinnen Geschichten vorgelesen haben. Ich habe | |
| ihm auch vorgelesen. Schneewittchen und die 7 Zwerge, Rotkäppchen, auch | |
| türkische Geschichten. (…) Sedat war unser erstes Kind. Er wäre jetzt 30 | |
| Jahre alt. Aber er liegt jetzt unter der Erde. Da, wo kein Licht hinkommt. | |
| Unser Schmerz wird täglich größer. Ich warte immer noch darauf, dass er | |
| nach Hause kommt. Ich höre ihn nicht mehr, ich sehe ihn nicht mehr. (…) Ich | |
| kann es nicht aushalten, dass mein Kind unter der Erde liegt. Auch nach | |
| dieser Tat wurden Konsequenzen versprochen, passiert ist nichts. (…) Das, | |
| was uns weggenommen wurde, diese Schuld kann niemand begleichen. Wir wollen | |
| als Menschen behandelt werden, wir leben seit 50 Jahren in Deutschland, ich | |
| habe vor der Tat mit meiner Familie gearbeitet, wir haben von niemanden | |
| Hilfe gebraucht. Dieses Land hat uns zu Opfern gemacht. Unsere Gesundheit, | |
| unser ganzes Leben ist komplett zerstört. Der Friedhof ist meine Wohnung | |
| geworden. (...)“ | |
| *** | |
| [2][Serpil Unvar], Mutter von Ferhat Unvar (†23) | |
| „Ich hätte ihm noch so vieles sagen müssen. Wir dachten ja immer, wir haben | |
| noch so viel Zeit. Wir haben so vieles erlebt, in diesem kurzen Leben | |
| meines Sohnes. (..) Ich denke so viel darüber nach, wie oft wir uns über | |
| die Schule gestritten haben. Ferhat war ein hochbegabtes Kind, sehr | |
| intelligent und sehr lebendig. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Lehrer | |
| ein Ausländerkind oft nicht akzeptieren. (…) Ich habe immer wieder zu ihm | |
| gesagt: Du musst mehr arbeiten als die anderen, weil du nicht die gleichen | |
| Chancen hast wie die deutschen Kinder. (…) Er war ein Kämpfer. Am Ende hat | |
| Ferhat seinen Abschluss an der Ludwig-Geißler-Schule gemacht, mit sehr | |
| guten Noten. Er war einer der Besten. Er wollte gern ein Studium machen und | |
| er wollte noch ein Buch schreiben, das war sein großes Ziel. (…) Unsere | |
| Kinder dürfen nicht umsonst gestorben sein. Ihr Tod muss das Ende sein, das | |
| Ende rassistischer Angriffe. Ihr Tod soll ein Anfang sein von etwas Neuem, | |
| von Schulen ohne Rassismus und von einem Zusammenleben, in dem wir alle | |
| gleiche Rechte haben. (...) Wenn wir das geschafft haben, werde ich am Grab | |
| meines Sohnes stehen und sagen: Das war dein Kampf und du hast es | |
| geschafft. (...)“ | |
| *** | |
| Diana Kurtović, Mutter von Hamza Kurtović (†20) | |
| „Ich will euch erzählen, wie ich die Nacht erlebt habe, in der mein Sohn | |
| ermordet wurde. Wir haben die ganze Zeit versucht herauszufinden, wo unser | |
| Sohn ist. Wir suchten überall nach ihm und nach Informationen darüber, was | |
| passiert war. Warum haben sie uns nichts gesagt, wo sie die Verletzten | |
| hingefahren haben? Warum war es so schwer, uns zu sagen: Euer Sohn ist ins | |
| Krankenhaus nach Frankfurt gebracht worden? Warum mussten wir acht Tage | |
| warten, um unseren Sohn zu sehen? (…) Die Polizisten vor Ort hätten uns was | |
| sagen müssen. Aber uns wurden keine Informationen gegeben. Wir wurden alle | |
| in eine Halle gebracht, da sollte es Informationen geben. Viele Angehörige | |
| warteten mit uns zusammen, wir haben stundenlang gewartet. Warum war es so | |
| schwer, mit uns zu sprechen? (…) Ich bin zum Entschluss gekommen, und so | |
| was gesteht man sich nur schweren Herzens ein, wir waren für die Polizisten | |
| Menschen zweiter Klasse. Ausländer, die mal wieder in eine Schublade | |
| gesteckt werden (…) Unsere Wurzeln waren der Grund für das ignorante | |
| Verhalten der Beamten. Rassismus und Diskriminierung sind Alltag für uns, | |
| obwohl wir uns erfolgreich integriert haben und uns selbst als Deutsche | |
| sehen. (…)“ | |
| *** | |
| Alija Kurtović, Schwester von [3][Hamza Kurtović] (†20) | |
| „Wir sind in den letzten Monaten damit beschäftigt gewesen, selbst | |
| [4][Antworten auf unsere Fragen] zu finden. Auf Fragen, die wichtig sind, | |
| für die Aufarbeitung, für die Klärung und für uns als Angehörige. Fragen, | |
| die uns bis heute keiner beantwortet hat. Hätte diese Tat verhindert werden | |
| können, wenn die Behörden rechtzeitig gehandelt hätten? Wurde der Staat | |
| seiner Aufgabe gerecht, für Sicherheit zu sorgen? Wie kann es sein, dass | |
| dieser Täter, der so oft auffällig war, nicht aus dem Verkehr gezogen | |
| wurde? (…) | |
| Wie kann es sein, dass ein Täter mit einer solchen Vorgeschichte überhaupt | |
| legal Waffen besitzen kann? (…) Wurde er auf seine Zuverlässigkeit | |
| überprüft – ein Täter, der letztes Jahr zwei Mal an einem Gefechtstraining | |
| in der Slowakei teilgenommen hat und sich offenbar schon lange auf diese | |
| Tat vorbereitet hatte? Ein Täter, der dann innerhalb von 12 Minuten neun | |
| Menschen in zwei Ortsteilen kaltblütig ermordet hat. Es ist mittlerweile | |
| ein halbes Jahr vergangen und es sind noch so viele Fragen offen. Wir | |
| erwarten eine lückenlose Aufklärung, damit daraus Lehren gezogen werden. | |
| (…) Das sind wir den Ermordeten schuldig, und das ist das Mindeste, was wir | |
| tun können.“ | |
| 23 Aug 2020 | |
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