# taz.de -- Opfer des Terroranschlags von Hanau: „Wir wollen Gerechtigkeit“ | |
> In einem offenen Brief fordert ein Bündnis mehr Hilfe für die Familien | |
> der Opfer. Bund und Land reagieren verhalten. | |
Bild: Angehörige gedenken der Opfer des Anschlags vom 19. Februar | |
Es gibt kein Wort für das, was ich bin, für den Schmerz, den ich fühle“, | |
sagt Nicolescu Păun. „Wenn deine Eltern sterben, bist du eine Waise. Wenn | |
deine Frau stirbt, ein Witwer. Wenn dein Sohn stirbt, bist du niemand“, | |
sagt der Vater von Vili Viorel Păun, einem der Opfer des Anschlags in Hanau | |
vom 19. Februar. Am Telefon klingt seine Stimme heiser. | |
Sieben Monate ist es her, dass ein rassistischer Attentäter in und vor zwei | |
Shishabars in Hanau neun Menschen mit Einwanderungsgeschichte erschoss. Der | |
Täter hatte seine Opfer gezielt nach Herkunft ausgewählt. Mit dem Tod ihrer | |
Angehörigen ging auch in den Familien der Opfer etwas zu Bruch. Bis heute | |
kämpfen sie mit den Verlusten. | |
Viele sind traumatisiert, können nicht mehr arbeiten. Einige müssen | |
weiterhin in Hanau-Kesselstadt wohnen, zwischen Tatort und Täterhaus, weil | |
sie keine bezahlbare Wohnung in einem anderen Stadtteil finden. Auch das | |
fehlende Einkommen der Opfer, die Arbeitsunfähigkeit der Angehörigen, | |
belastet die Familien finanziell. | |
Diese Missstände prangert jetzt ein Bündnis um die Initiative „19. Februar | |
Hanau“ an. In einem [1][offenen Brief] mit dem Titel „Für soziale | |
Sicherheit und Gerechtigkeit“ schreiben sie: „Niemand kann den Angehörigen | |
der neun Opfer des rassistischen Terroranschlags vom 19. Februar ihre | |
Liebsten zurückbringen. Kein Geld der Welt kann Ihr Leid wieder gutmachen. | |
Doch es erscheint als das Mindeste, dass die Angehörigen materiell | |
abgesichert werden.“ | |
## Bisher hat der Bund eine Million Euro gezahlt | |
Konkret fordern die Verfasser*innen, dass der Staat die Suche nach | |
Ersatzwohnungen für Angehörige finanziell unterstützt und die Differenz zu | |
ihrer jetzigen Miete zahlt. Zudem bedürfe es einer unbürokratischen | |
Ausgleichsfinanzierung für die Einkommensverluste der neun Opferfamilien. | |
Bisher hat der Bund im Rahmen einer Härtefallleistung eine Million Euro an | |
Angehörige der Opfer ausgezahlt. „Das klingt nach einer Menge Geld, bietet | |
verteilt auf Dutzende Hinterbliebene aber keine soziale und finanzielle | |
Absicherung“, sagt [2][Newroz Duman], Mitgründerin der Initative. | |
Das Land Hessen stellt zudem mit dem Sonderförderprogramm Hanau 600.000 | |
Euro zur Verfügung. Die Staatskanzlei Hessen schreibt, dieses Geld solle in | |
Projekte fließen, die die Angehörigen unterstützen. „Die Projekte helfen | |
uns Familien direkt gar nicht“, kritisiert jedoch Nicolescu Păun, der Vater | |
eines der Opfer. Ein Teil des Geldes sei bereits an ein Museum und ein | |
antirassistisches Lesecafe vergeben worden. „Das sind gute Projekte, aber | |
bei uns kommt die Hilfe nicht an.“ | |
## Die Probleme der Angehörigen sind nicht unlösbar | |
Ein weiterer Punkt der Nicolescu Păun aufbringt: Die Stadt Hanau übernahm | |
die Kosten für die Gräber dreier Opfer, die in Hanau beerdigt wurden. Für | |
die weiteren Opfer, die in Bulgarien, Rumänien, der Türkei und in zwei | |
deutschen Heimatstädten der Opfer beerdigt wurden, mussten die Familien | |
jedoch selber aufkommen. „Wir würden uns wünschen, dass alle Opferfamilien | |
gleich behandelt und bei der Beerdigung unterstützt werden“, sagt Păun. | |
„Diese Probleme der Angehörigen sind nicht unlösbar“, sagt Newroz Duman. | |
Nach dem Anschlag hätte die Politik gesagt: „Wir sind bei den Familien, wir | |
fühlen mit ihnen.“ Doch jetzt zeigten Bund und Land keinen Willen, den | |
Familien wirklich beizustehen. | |
Als Reaktion auf den offenen Brief schreibt der SPD-Bürgermeister von | |
Hanau, [3][Claus Kaminsky], „Wir lassen die Angehörigen nicht allein.“ Die | |
Stadt sei für die Familien mit drei Mitarbeitern rund um die Uhr | |
ansprechbar. Die Wohnungsvermittlung gestalte sich jedoch in einigen Fällen | |
schwierig. So habe die Stadt bereits 47 Wohnungsangebote an mittelbar und | |
unmittelbar Betroffene unterbreitet. Für jede Familie eine individuell | |
passende Lösung zu finden, sei jedoch nicht leicht. | |
Auf Anfrage signalisierten Kanzleramt und Landesregierung Hessen ihre | |
generelle Unterstützung für die Familien der Opfer. Die Forderung nach | |
zusätzlichen Hilfen griffen sie jedoch nicht auf. Am Mittwoch trifft | |
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Hinterbliebenen von Hanau im | |
Schloss Bellevue. Auch dort werden die Familien der Opfer ihr Anliegen | |
vortragen. | |
18 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://19feb-hanau.org/2020/09/18/offener-brief/ | |
[2] /Sprecherin-ueber-Hanau-Begegnungsstaette/!5679883 | |
[3] /Buergermeister-ueber-Hanauer-Anschlag/!5702770 | |
## AUTOREN | |
Mitsuo Iwamoto | |
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