# taz.de -- Sprecherin über Hanau-Begegnungsstätte: „Namen zu nennen, genü… | |
> Unweit des Tatorts des Anschlags von Hanau entsteht eine | |
> Begegnungsstätte. Ein Gespräch mit Newroz Duman über das Erinnern. | |
Bild: Die Begegnungsstätte liegt am Hanauer Heumarkt – einem der beiden Tato… | |
taz: Frau Duman, am Dienstag eröffnet in Hanau eine Begegnungsstätte in | |
Erinnerung [1][an den Mordanschlag am 19. Februar]. Wie muss man sich | |
diesen Ort vorstellen? | |
Newroz Duman: Der Laden ist ein Projekt der Initiative 19. Februar. Die ist | |
in den Tagen nach dem Mordanschlag entstanden. Damals herrschte vor allem | |
Chaos. Schon vor dem Anschlag gab es in Hanau die Gruppe Solidarität statt | |
Spaltung. Aus diesem Kreis heraus waren wir ab dem 19. an unterschiedlichen | |
Stellen unterwegs, etwa auf Demos und Mahnwachen. Wir haben uns jeden Abend | |
getroffen und zusammengetragen: Was ist passiert, wer weiß was, was muss | |
getan werden, was ist morgen dran? In dieser Zeit sind auch FreundInnen aus | |
Frankfurt, Hamburg und Berlin gekommen. Bald ging es dann nicht mehr nur | |
darum, Infos zu beschaffen, sondern auch Unterstützung zu leisten. | |
Welche Unterstützung zum Beispiel? | |
Etwa AnwältInnen zu beschaffen, Kontakt zu Beratungsstellen vermitteln oder | |
zu schauen, wer eine Psychotherapie braucht, zu suchen, wo es dafür freie | |
Plätze gibt, wer trotz Corona weiter Therapien anbietet. Bürokratie war ein | |
großer Teil der Arbeit. Opferfamilien haben Anspruch auf finanzielle | |
Unterstützung, es war aber für sie oft nur schwer zu durchschauen, wie sie | |
die bekommen können. Da war wochenlang sehr viel unklar. Wir haben die | |
ganzen Informationen zusammengetragen und geholfen, Formulare auszufüllen, | |
das bieten wir auch immer noch an. Es war schnell klar, dass das Ganze, was | |
seit dem Anschlag passiert ist, längerfristig einen Raum braucht, einen | |
Ort, an dem das alles zusammenkommen kann, an dem wir jeden Tag erreichbar | |
sind. Denn hinzu kam ja, dass durch Corona viele offizielle | |
Unterstützungsangebote auf Eis gelegt wurden, weil öffentliche Orte | |
zugemacht haben. Trotzdem war es natürlich wichtig, weiter den Kontakt zu | |
halten. Deswegen eröffnen wir jetzt die Anlaufstelle. | |
Das Café liegt in der Krämerstraße, direkt am Heumarkt, einem der beiden | |
Tatorte. Wie konnten Sie so schnell ein solches Lokal finden? | |
In dem Raum war früher ein Geschäft, er steht aber seit zwei Jahren leer. | |
Deshalb konnten wir den direkt anmieten. Allerdings kostet er 2.500 Euro im | |
Monat Miete und der Vertrag läuft drei Jahre, weshalb wir gerade Spenden | |
sammeln. | |
Inwieweit sind [2][Angehörige der Opfer] beteiligt? | |
Zwei Familien von Ermordeten bezeichnen sich als Teil unserer Initiative, | |
einige Angehörige arbeiten im Laden mit. Mit einem Großteil der Familien | |
von Ermordeten stehen wir in Kontakt. Hinzukommen Verletzte, unverletzt | |
Überlebende und deren Angehörige. In den Shisha-Bars und drumherum waren an | |
jenem Abend ja viele Menschen. Ich kann es nicht genau sagen, aber seitdem | |
wir den Laden aufbauen, hatte ich persönlich Kontakt zu etwa 50 Menschen | |
aus diesen Gruppen. Manche habe ich bislang nur einmal gesehen, manche sind | |
jeden Tag hier. | |
Der Laden ist also schon offen? | |
Die offizielle Eröffnung ist am Dienstag. Aber wir haben schon vor Wochen | |
mit der Renovierung begonnen und parallel dazu gibt es die ganze Zeit schon | |
Treffen. | |
[3][Trotz Corona]? | |
Mit Freund_innen aus anderen Städten, die uns unterstützen, haben wir | |
Telefonkonferenzen gemacht. Die AktivistInnen aus der Region haben sich | |
weiter getroffen, um gemeinsam den Raum aufzubauen – mit Abstand | |
zueinander. Was auch trotz Corona weitergelaufen ist, waren die Besuche an | |
den Gedenkorten in Hanau-Kesselstadt und am Heumarkt, jeweils mittwochs und | |
samstags. Es hat sich schon im Februar so entwickelt, dass Menschen an | |
diesen Tagen dort zusammengekommen sind, aufgeräumt und neue Blumen dorthin | |
gebracht haben. Das ist so weitergelaufen, das waren auch wichtige | |
Gelegenheiten zum Austausch, unter anderem mit NachbarInnen. | |
Die Anlaufstelle wird auch als „Denkmal“ angekündigt. Inwiefern? | |
In unserer Selbstdarstellung haben wir es so formuliert, besser kann ich es | |
auch nicht ausdrücken: „Unsere Erinnerung wird nicht in Stein gegossen, | |
sondern bleibt lebendig.“ Die Angehörigen müssen hier keine Termine machen. | |
Dieser Ort steht ihnen immer offen. Wenn sie reden wollen, wenn sie Fragen | |
haben, wenn sie Hilfe brauchen, wenn sie etwas unternehmen wollen. Dann | |
kommen sie einfach vorbei, sind nicht allein. | |
Es soll [4][bei der Anlaufstelle] auch um Erinnerung gehen. Was, glauben | |
Sie, droht in Vergessenheit zu geraten, wenn Sie die Erinnerung daran nicht | |
wachhalten? | |
Die Namen der Toten zu nennen, ist für die Angehörigen total wichtig, und | |
zwar nicht nur einmal im Jahr. Aber das genügt nicht. Man muss ständig | |
daran erinnern, was in dieser Stadt passiert ist, dass das nicht verhindert | |
wurde und es wieder passieren kann. Das ist wichtig für Hanau und auch für | |
die Angehörigen. Deshalb müssen Menschen politisch aktiv bleiben. Wir | |
wollen für Aufklärung sorgen und dafür laut bleiben. Unsere Angst ist auch, | |
dass es diese Aufklärung am Ende nicht geben könnte. Es gibt immer noch | |
Tausende offene Fragen und keiner weiß, wann wir Antworten kriegen und ob | |
die dann auch stimmen. | |
Die Antworten auf welche Fragen interessieren Sie besonders? | |
Ob der Typ schon vorher auffällig gewesen ist und ob man den Anschlag hätte | |
verhindern können. | |
Die Initiative fordert, dass Rassismus von der Politik endlich als Problem | |
benannt wird. Das ist nach den [5][Anschlägen von Halle] und Hanau viel | |
umfangreicher geschehen, als das in der Vergangenheit der Fall war. Lässt | |
sich daran anknüpfen? | |
Ja, viele PolitikerInnen haben in den letzten Monaten Rassismus klar beim | |
Namen genannt. Die Frage ist, ob sie letztlich auch danach handeln. | |
Welches konkrete Handeln würden Sie erwarten? | |
Es endet nicht damit, zum Beispiel Combat 18 zu verbieten. Gegen solche | |
Nazi-Gruppierungen vorzugehen ist wichtig, aber das Problem ist viel | |
größer. Uns ist klar, dass es einen Nährboden für Rassismus an sehr vielen | |
Stellen in der Gesellschaft gibt. Veränderung heißt nicht nur, gegen die | |
Nazis vorzugehen, sondern eben auch gegen den Rassismus in den | |
Institutionen und im Alltag, vom Kindergarten bis zum Verfassungsschutz und | |
Parlament. Es muss bedeuten, dass wir nicht länger dulden, wenn Menschen, | |
die als fremd angesehen oder zu Fremden gemacht werden, deshalb schlechter | |
behandelt werden. | |
Sehen Sie im Umgang mit dem Attentat von Hanau Parallelen zum Umgang mit | |
den NSU-Morden? | |
Eine Parallele ist sicherlich die Tendenz, nach Schuld auch bei den Opfern | |
zu suchen. Von einem Teil der Ermordeten etwa sind die Handys immer noch | |
beschlagnahmt – als wollten die Ermittler bei denen auch irgendwas finden. | |
Wir fragen uns, warum. | |
Gibt es Kontakte zu Angehörigen der NSU-Opfer? | |
Die Anwälte der Ermordeten aus Hanau sind teils die gleichen wie die der | |
Opfer im NSU-Verfahren. Darüber gibt es also schon einen Austausch. Die | |
Idee, eine persönliche Begegnung im kleinen Kreis zu organisieren, steht im | |
Raum. So etwas braucht aber Zeit. | |
5 May 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Schwerpunkt-Rechter-Anschlag-in-Hanau/!t5563930 | |
[2] /Opferbeauftragter-ueber-Anschlag-in-Hanau/!5671685 | |
[3] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746 | |
[4] http://19feb-hanau.org | |
[5] /Sechs-Monate-nach-dem-Anschlag-in-Halle/!5677802 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
Gedenkstätte | |
IG | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
Schwerpunkt Tag der Befreiung | |
Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau | |
Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau | |
Schwerpunkt Rassismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Erinnerung an Hanau-Anschlag: Wessen Normalität | |
Knapp sechs Monate nach dem rassistischen Anschlag von Hanau fordert ein | |
CDU-Politiker, wieder zur Normalität zurückzukehren. Was für ein Hohn! | |
Statistik zu rechter Gewalt 2019: Fünf Gewaltverbrechen täglich | |
Seit 2010 haben sich die Zahlen verdoppelt, so die Beratungsstellen für | |
Betroffene rechter Gewalt. Die Bedrohung habe sich „extrem verschärft“ | |
Kontinuität rechte Gewalt: „Weil Faschismus nicht Geschichte ist“ | |
In Erinnerung an den Terroranschlag in Hanau rufen migrantische | |
Selbstorganisationen für Freitag zum „Tag des Zorns“ auf. Rechte Angriffe | |
dauern an. | |
Bewertung von Hanau: Deutsches Oxymoron | |
Wenige Wochen nach dem Anschlag in Hanau stellt sich eine Frage, die | |
zynisch ist: War der Täter Rechtsextremist? | |
Nach Hanau: Zeichen, die ermutigen | |
Rechtsterroristen wollen die Gesellschaft in Angst versetzen. Doch das | |
Selbstbewusstsein der Betroffenen wächst. Die Mörder werden ihr Ziel nicht | |
erreichen. | |
Berater über rassistische Polizeigewalt: „Man kann der Polizei nicht trauen�… | |
Immer wieder sterben Schwarze Menschen und Menschen of Color in Gewahrsam | |
oder durch Polizeischüsse, sagt Biplab Basu. Aufgeklärt werde das selten. |