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# taz.de -- Prozess zum Nazi-Anschlag von Halle: In Todesangst geflohen
> Im Prozess zum Anschlag von Halle ging es am Mittwoch um das Geschehen im
> „Kiez-Döner“. Hier erschoss der Angeklagte eines seiner Opfer.
Bild: Kerzen am Tatort vor dem Kiez Döner in Halle am 11.10.2019
Magdeburg taz | In dem Prozess wegen des rechtsterroristischen Anschlags
von Halle ging es am Mittwoch zum ersten Mal um das Geschehen rund um den
Imbiss Kiez-Döner. Es war das zweite Ziel des Attentäters, [1][nach der
Synagoge], vor der er eine Passantin getötet hatte und ein geplanter
Anschlag gescheitert war. Voller Wut fuhr er zum nahe gelegenen Imbiss, wo
er Kevin S. erschoss und weitere Personen verletzte.
Fünf Zeug:innen waren für den Mittwoch geladen, drei von ihnen erscheinen
schließlich, dazu ein spontan einberufener Zeuge – ein LKA-Kommissar, der
den Tatort sicherte. Eigentlich sollten auch Ismet und Rifat Tekin, die
neuen Besitzer des Kiez-Döner, aussagen. Das Gericht konnte ihnen jedoch
keine:n Übersetzer:in stellen, sie konnten daher nicht aussagen.
Am elften Verhandlungstag geht es vor allem darum, wie Menschen die Tat
erlebt haben, die dem Attentäter am Kiez-Döner knapp entkommen sind. Den
Auftakt macht eine 78-jährige Rentnerin aus Halle, die nur wenige Meter vom
Täter entfernt stand, als dieser einen selbstgebauten Sprengsatz auf den
Imbiss warf. Ein etwa 4 Zentimeter langer Nagel traf sie am Fuß, ein
weiterer blieb im Schuh stecken.
„Ich dachte: Warum ruft denn da niemand die Polizei?“, sagt die Zeugin. Sie
habe sich am Tattag gewundert, warum das so lange dauere. Unbemerkt konnte
sie vor dem Attentäter fliehen: „Er hat nichts gesagt, ich habe auch nichts
gesagt. Das war sicherlich mein großes Glück, sonst wäre es mir gegangen
wie der Frau an der Synagoge.“
## Zeugen-Daten an die Presse weitergegeben?
Der zweite Zeuge ist ein Professor aus Göttingen, der sich während des
Anschlags ebenfalls im Kiez-Döner befunden hatte. Er tritt als Nebenkläger
auf, spricht vom Rechtsstaat und moralischen Grundsätzen der Gesellschaft.
Der Täter hört ihm aufmerksam zu. Der Zeuge spricht langsam, detailliert,
beschreibt den Ablauf minutiös – und lässt damit kaum Zweifel an der
Echtheit seiner Schilderung.
Er schildert den Angriff auf den Imbiss, wie er durch ein Fenster in einem
Lagerraum fliehen konnte. Wie viele Zeug:innen zuvor – insbesondere die
Überlebenden – berichtet auch er von psychischen Problemen nach der Tat.
Und von einem Besuch der Presse, nur drei Tage nach dem Anschlag. Die
Richterin Ursula Mertens wundert sich, woher die Presse seine Adresse
gekannt habe. „Es gibt nur einen Weg. Jemand muss über die Ermittlungsakte
oder die polizeiliche Aussage Zugang gehabt haben“, sagt der Zeuge und
Richterin Mertens bestätigt: „Jemand muss die Adresse weitergegeben haben.“
Wer das war, wissen beide nicht.
Als letzter Zeuge ist ein Überlebender geladen, der auf dem Weg zur Uni
war. Er ist der einzige migrantische Zeuge des Tages und sagt, der Täter
habe auf ihn geschossen. „Als ich die Schüsse hörte, dachte ich nur: Weg,
weg“, sagt der Zeuge. Er sei in Todesangst geflohen, genau wisse er aber
nicht mehr, was passiert ist.
Neben den Zeugenaussagen wird erneut ein Video der Tat gezeigt – diesmal
jedoch nicht von der Helmkamera gefilmt, sondern aus der Perspektive der
Kamera, die der Täter an seinem Körper befestigt hatte. Als Fotos des
Tatorts gezeigt werden, schaltet das Gericht die öffentlichen Bildschirme
aus. Die Fotos zeigen unter anderem den Leichnam von Kevin S. Nicht erneut,
sagt eine Rechtsanwältin, sollen die Überlebenden und Angehörigen mit
diesen Bildern konfrontiert werden.
In dem Prozess treten 43 Personen als Nebenkläger:innen auf, darunter
Angehörige der Getöteten, aus der Synagoge, dem Umfeld des Döner-Imbisses,
Zeug:innen und Polizist:innen. Die [2][Anklage in dem Prozess] wegen des
rassistischen und antisemitischen Anschlags lautet: zweifacher Mord und
versuchter Mord in 68 Fällen.
9 Sep 2020
## LINKS
[1] /Prozess-gegen-den-Attentaeter-von-Halle/!5706803
[2] /Prozess-gegen-Halle-Attentaeter/!5700684
## AUTOREN
Sarah Ulrich
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
Rechtsextremismus
Halle
Synagoge
Antisemitismus
Jüdisches Leben
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Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Rechter Terror
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wissen.
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