| # taz.de -- Kanzleramtschef und Schuldenbremse: Kompromisslinie für Schwarz-Gr… | |
| > Kanzleramtschef Helge Braun denkt darüber nach, die Schuldenbremse | |
| > auszusetzen. Für eine Koalition mit den Grünen könnte der Vorstoß | |
| > hilfreich sein. | |
| Bild: An der Uhr drehen: Wirft die Union die Schuldenbremse über Bord? | |
| Berlin taz | Bisher wirkte die künftige Finanzpolitik der Union wie eine | |
| Quadratur des Kreises: CDU und CSU planen über die komplette | |
| Soli-Abschaffung eine saftige Steuersenkung für Reiche. Sie wollen trotz | |
| der immensen Verschuldung durch die Coronapandemie weiter investieren, aber | |
| auch irgendwie die Schuldenbremse einhalten. Fachleuten schwante, dass das | |
| schwer zusammenzubringen sein würde. | |
| Doch nun, rechtzeitig vor dem Bundestagswahlkampf, gibt es einen | |
| realistischeren Ansatz von Kanzleramtschef Helge Braun (CDU). Braun | |
| skizzierte in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt, wie er sich die | |
| künftige Finanzpolitik vorstellt. Tenor: Die im Grundgesetz verankerte | |
| Schuldenbremse soll befristet aufgeweicht – und Steuererhöhungen für Reiche | |
| ausgeschlossen werden. „Die Schuldenbremse ist in den kommenden Jahren auch | |
| bei ansonsten strenger Ausgabendisziplin nicht einzuhalten“, schrieb Braun. | |
| Der Merkel-Vertraute schlug vor, eine Erholungsstrategie für die Wirtschaft | |
| mit einer Grundgesetzänderung zu verbinden, „die begrenzt für die kommenden | |
| Jahre einen verlässlichen degressiven Korridor für die Neuverschuldung | |
| vorsieht und ein klares Datum für die Rückkehr zur Einhaltung der | |
| Schuldenregel vorschreibt.“ Braun warb außerdem für den Verzicht auf | |
| Steuererhöhungen und für die Begrenzung der Sozialversicherungsbeiträge bei | |
| höchstens 40 Prozent des Bruttolohns. | |
| Der Vorstoß aus dem Kanzleramt sorgte für eine heftige Diskussion innerhalb | |
| der Union. Heftige Kritik kam aus der Bundestagsfraktion. Brauns Vorschlag | |
| sei seine „persönliche Meinung“, sagte der haushaltspolitische Sprecher | |
| Eckhardt Rehberg: „Die Unionsfraktion im Bundestag hält an der | |
| Schuldenbremse im Grundgesetz fest.“ Solide Staatsfinanzen seien für die | |
| Unionsfraktion nicht verhandelbar. Ähnlich äußerte sich der Chef der | |
| CDU-Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann. | |
| ## Vorgeschmack auf schwarz-grün? | |
| Bei CSU-Chef Markus Söder, der beim Wahlkampfkurs ein gewichtiges Wort | |
| mitzureden hat, lohnte es sich, genau auf die Formulierung zu achten. „Das | |
| wäre ein falsches Signal“, sagte Bayerns Ministerpräsident. „Wir sehen ein | |
| dauerhaftes Aussetzen der Schuldenbremse sehr skeptisch.“ Aber: Von einem | |
| „dauerhaften“ Aussetzen der Schuldenbremse war bei Braun nirgendwo die | |
| Rede. Söder öffnete also bereits eine kleine Tür. | |
| Der Koalitionspartner signalisierte Gesprächsbereitschaft. Der Vorschlag | |
| mache deutlich, dass die bisherigen Aussagen zur Finanz- und | |
| Haushaltspolitik aus der Union „nicht haltbar“ seien, sagte | |
| SPD-Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider der taz. „Zu Gesprächen üb… | |
| eine zukunftsorientierte Reform der verfassungsrechtlichen Schuldenregel | |
| ist die SPD bereit.“ Allerdings müsse die CDU klären, ob der Vorstoß aus | |
| dem Kanzleramt nur ein medialer Testballon gewesen oder zumindest mit dem | |
| neuen CDU-Vorsitzenden Laschet abgestimmt sei. | |
| Auch unter ÖkonomInnen sorgte der Vorschlag für eine muntere Debatte. | |
| „Damit würde die Union den Markenkern solider Haushaltspolitik aufgeben“, | |
| twitterte Lars Feld, der Chef der so genannten Wirtschaftsweisen. Marcel | |
| Fratzscher hingegen, der Präsident des Deutschen Institutes für | |
| Wirtschaftsforschung (DIW), lobte den Vorschlag als „richtig und | |
| konsequent“. Die wirtschaftliche Erholung, Zukunftsinvestitionen in | |
| Klimaschutz, die digitale Transformation und stabile Sozialsysteme sollten | |
| Vorrang vor der Schuldenbremse haben, so Fratzscher. | |
| Falls sich Brauns Position in der Union durchsetzt, wäre auch schon eine | |
| Kompromisslinie in der Finanzpolitik für eine [1][schwarz-grüne Koalition] | |
| beschrieben. Die Grünen wollen die Schuldenbremse lockern und mit einer | |
| Investitionsregel verbinden. „Spannend, die ideologische Front bei der | |
| Union bröckelt“, kommentierte Grünen-Haushälter Sven-Christian Kindler die | |
| Debatte. Allerdings fordern die Grünen Mehrbelastungen für Reiche, etwa | |
| über eine Vermögensteuer – Konfliktstoff bliebe also genug. | |
| Die Angelegenheit ist auch ein Hinweis darauf, wer in der Union die Hosen | |
| an hat. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Bundeskanzlerin in den Vorstoß | |
| ihres Vertrauten eingeweiht war. [2][Armin Laschet, der neue CDU-Chef], | |
| aber wohl eher nicht – wie es der Sozialdemokrat Schneider schon vermutete. | |
| Laschets Generalsekretär Paul Ziemiak erklärte jedenfalls am Dienstag, dass | |
| sich die CDU klar zur Schuldenbremse bekenne. Nach der Krise müsse man so | |
| schnell wie möglich wieder zu soliden Haushalten zurückkommen. Das klang | |
| etwas angefressen. | |
| Es bleibt also spannend in der CDU. Braun bemühte sich, die Debatte am | |
| Dienstagnachmittag via Twitter wieder einzufangen – und beteuerte: „Ich | |
| liebe die Schuldenbremse.“ Statt des Verbs „lieben“ nahm er ein rotes | |
| Herzchen. Sicher ist sicher. | |
| 26 Jan 2021 | |
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| Ulrich Schulte | |
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