# taz.de -- „Kafka“ in der ARD: Ein humorbegabter Sonderling | |
> Die Miniserie „Kafka“ setzt neue Maßstäbe. David Schalko und Daniel | |
> Kehlmann zeigen darin Realität und Fiktion in Franz Kafkas Leben. | |
Bild: Franz Kafka (Joel Basman) schaut eigen auf die Welt | |
Mit der Darstellung unverrückbarer biografischer Wahrheiten hat es der | |
Erzähler der sechsteiligen [1][Miniserie „Kafka“] nicht so. Und das ist | |
eine der vielen Vorzüge der von [2][Regisseur David Schalko] und | |
Drehbuchautor Daniel Kehlmann konzipierten TV-Produktion, deren | |
Erzählinstanz im Lauf der Episoden zuweilen ratlos erscheint, mit dem | |
erzählten Stoff ringt, sich irrt und lautstark Widerspruch erfährt durch | |
die Figuren der Handlung. | |
Gleich zu Beginn heißt es durch den von Michael Maertens gesprochen | |
Off-Erzähler nach Nennung einiger biografischer Eckpunkte im Leben Kafkas: | |
„Nein, man muss anders anfangen.“ Die Schalko-Kehlmann-Inszenierung setzt | |
schließlich im Jahr 1939 ein, Jahre nach dem Tod ihres Protagonisten. Max | |
Brod, mit umarmend-warmherzigem Gestus verkörpert von David Kross, bringt | |
die gesammelten Schriften seines Freundes Franz im Zug von Prag nach Polen | |
vor den Nazis in Sicherheit. Obwohl Brod sich über den dezidierten Willen | |
des Freundes hinwegsetzt – Kafka verfügte, dass seine Schriften zu | |
vernichten seien –, markiert die Fernsehproduktion hier wie an vielen | |
anderes Stellen der sechs Episoden einen [3][Bruch mit dem vertrauten Bild] | |
des einsamen Solitärs, Literaturheiligen, Propheten und zeigt vielmehr | |
einen integral ins soziale Band seiner Mitwelt eingebundenen Autor. | |
Verkörpert wird er auf schlichtweg geniale Weise vom Schauspieler [4][Joel | |
Basman]. Sein Kafka ist ein rätselhafter Sonderling und hinreißend | |
humorbegabter Charismat zugleich. Die Anziehungskraft entspringt seinen | |
vielen Idiosynkrasien. Zu einer seiner Angewohnheiten zählt es, jeden | |
Bissen seiner spärlich eingenommenen Mahlzeiten vor dem Schlucken | |
vierzigmal gründlich durchzukauen – die „Fletcher-Methode“ pflegt der Au… | |
befremdete Zuschauer aufzuklären. | |
Der Hagere bringt mit seinen sonderbaren Marotten Freunde zum Schmunzeln, | |
darunter die Angehörigen des Prager Literatenkreises. Der Vater reagiert | |
angesichts der Eskapaden seines Sohnes zusehends ungehalten. Zeit seines | |
Lebens wird Kafka mit seinem Verhältnis zur patriarchalen, überlebensgroß | |
anmutenden Vaterfigur, in der Serie mit imposantem Körpereinsatz gespielt | |
von [5][Nicholas Ofczarek], ringen. Der berühmte „Brief an den Vater“ wird | |
das Familienoberhaupt nie ereilen, doch ist Gegenstand regen Austauschs | |
zwischen Kafka und der Geliebten Felice Bauer [6][(Lia von Blarer]). | |
## Erschreckende Einzelheiten | |
Zwischen Felice und ihm entspinnt sich ein reger Briefwechsel. Das | |
Schreiben befeuert Kafkas literarische Produktion. David Schalkos Serie | |
zeigt Franz Kafkas literarisches Schaffen als zutiefst kommunikativen Akt, | |
in dessen Zentrum das Vorlesen steht: gegenüber den Geliebten, dem Freund | |
Brod, auch dem Publikum. Zur Münchner Lesung seiner | |
„Strafkolonie“-Erzählung wird sich der ätherisch anmutende Dichter Rilke | |
(Lars Eidinger) begeben. | |
In allen erschreckenden Einzelheiten entwirft Kafka hier die quälende | |
Fantasie einer Maschine, die Delinquenten als Strafe den Urteilsspruch in | |
die Haut stanzt. Eine Marter, die zum Tod der Schuldigen führt. In sublimer | |
Weise angetan von dem Vortrag zeigt sich der Eidinger-Rilke. Regisseur | |
Schalko und sein Kameramann Martin Gschlacht finden hier wie auch an | |
anderer Stelle präzise, ungeschönte Bilder. Realität und Fiktion in Kafkas | |
Leben zeigen sie im steten, fließenden Übergang, avanciert und unerwartet. | |
In einer Szene tauchen die hochaufgelösten Bilder der Inszenierung in | |
leuchtende Primärfarben – Rot und Blau. Die überraschende Bildsprache | |
ermöglicht statt eingeübter Autorbetrachtung einen gänzlich neuen Zugang | |
zum Menschen Kafka, der auch ein junges Publikum versteht mitzunehmen. | |
Anstatt des Biopic-üblichen lapidaren Wegbiografierens ganzer | |
Lebensjahrzehnte konzentriert sich „Kafka“ mit dramaturgischem Geschick auf | |
sechs biografische Schwerpunkte. Darunter auch die schrecklich-schön | |
verkopften Liebesbeziehungen zu Milena Jesenká (Liv Lisa Fries) und Dora | |
Diamant (Tamara Romera Ginés). Reiner Stachs dreibändige Kafka-Biografie | |
adaptiert Schriftsteller Daniel Kehlmann dabei zu einem fulminanten | |
Drehbuch, dessen glänzende Dialogpassagen es verstehen, einen Ton zwischen | |
literarischer Künstlichkeit und pointierter Alltagssprache zu finden. | |
Schalkos und Kehlmanns „Kafka“ setzt hierbei Maßstäbe für künftige | |
Biopic-Serien. | |
21 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.ardmediathek.de/serie/Y3JpZDovL25kci5kZS80OTg3 | |
[2] /Autor-David-Schalko-ueber-sein-Werk/!5760890 | |
[3] /Die-Zeichnungen-Franz-Kafkas/!5826874 | |
[4] /Neue-Serie-Eldorado-KaDeWe/!5820235 | |
[5] /TV-Krimi-Serienkiller-im-Grenzgebiet/!5565461 | |
[6] /Zweite-Staffel-Mapa-in-ARD-Mediathek/!5935027 | |
## AUTOREN | |
Chris Schinke | |
## TAGS | |
Franz Kafka | |
TV-Serien | |
Daniel Kehlmann | |
Franz Kafka | |
wochentaz | |
Literatur | |
Schauspiel Hannover | |
Serien-Guide | |
Spielfilm | |
Literatur | |
Interview | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kafka als Comic: Der beste Erzähler von Geschichten | |
David Zane Mairowitz veröffentlichte 1993 mit Robert Crumb einen | |
Kafka-Comic, der nun neu erscheint. Zu Besuch in seiner Kreuzberger | |
Hinterhofwohnung. | |
Kafka und der Messias: Das schwache Licht des Heils | |
Der Messias wird kommen, jedoch – typisch Franz Kafka – erst am | |
allerletzten Tag, wenn er nicht mehr nötig sein wird. Eine Textanalyse. | |
Daniel Kehlmann über Kafka: „Er ist der Meister der Groteske“ | |
Franz Kafka war der Autor der Peinlichkeit der Macht. Seine Sprache kann | |
zudem keine KI imitieren, sagt der Schriftsteller Daniel Kehlmann. | |
Kafka am Schauspielhaus Hannover: Diese Schabe gehört in ein Museum | |
Clara Weyde inszeniert „Die Verwandlung“ nach Franz Kafka am Schauspielhaus | |
Hannover. Inklusive erotischem Begehren der Schwester und herzlosen Eltern. | |
Sky-Serie „Helgoland 513“: Reagenzglas Helgoland | |
Mochten Sie „Sløborn“ und „Lost“? Dann werden sie „Helgoland 513“ … | |
Denn die Serie versagt trotz aller Stilmittel erzählerisch. | |
Spielfilm über Franz Kafkas letztes Jahr: Der Dichter als Liebender | |
Der Film „Die Herrlichkeit des Lebens“ will von Kafkas unbekannten Seiten | |
erzählen. Er konzentriert sich auf eine kurze Zeit des Glücks. | |
Neuer Roman von David Schalko: Seine allerletzte Habe | |
David Schalko beschreibt in „Was der Tag bringt“ eine gepfefferte, | |
postpandemische Identitätskrise. Seine Hauptfigur Felix lebt sie voll aus. | |
Schauspieler über Serie „Ibiza Affäre“: „Kein Kind wird als Nazi gebore… | |
Politik sei oft Realsatire, sagt Schauspieler Andreas Lust. Er spielt den | |
Rechtspopulisten Heinz- Christian Strache in der Serie „Die Ibiza Affäre“. |