# taz.de -- Jurist über Roman von Takis Würger: „Sie war ja Opfer und Monst… | |
> Der Roman „Stella“ sorgt weiter für Ärger. Die Erben von Stella | |
> Goldschlag wollen juristisch gegen die Verbreitung vorgehen. Deren Anwalt | |
> Karl Alich erklärt, warum. | |
Bild: Hat er Stella Goldschlag nicht korrekt dargestellt? Takis Würger | |
taz: Herr Alich, fordern Sie tatsächlich ein Verbot [1][des Romans „Stella“ | |
von Takis Würger]? | |
Karl Alich: Es besteht Interesse an einer historisch korrekten Darstellung | |
von Stella Goldschlag. Der Roman hat verschiedene Ebenen. Auf einer von | |
ihnen werden die Akten eines sowjetischen Militärtribunals gegen Stella | |
Goldschlag zitiert. Wir wollen, dass diese Teile geschwärzt werden. | |
Warum? | |
Es handelt sich um Denunziationsfälle gegen Stella Goldschlag. Diese | |
Feststellungen werden unkommentiert in das Buch gestellt. Das ist | |
persönlichkeitsrechtlich nicht machbar. Es gibt keine Erklärungen und keine | |
Hintergründe dieser Denunziationen. Stella Goldschlag wird hier [2][sehr | |
einseitig dargestellt]. Sie war ja Opfer und Monster. Und sie hat einen | |
Anspruch darauf, dass beides dargestellt wird, die Ursache für ihre | |
Handlungen und die Handlungen selbst. | |
In welchem Auftrag handeln Sie? | |
Stella Goldschlag hat ihre publizistischen Persönlichkeitsrechte 1990 dem | |
Historiker und Journalisten Ferdinand Kroh abgetreten, als er den | |
Fernsehfilm „Die Greiferin“ über sie drehte. Herr Kroh ist inzwischen | |
verstorben. Die Rechte hat die Witwe geerbt. Mit diesem Hintergrund habe | |
ich am Mittwoch dieser Woche den Verlag per Fax aufgefordert, keine | |
weiteren Exemplare von „Stella“ zu vertreiben, die die Zitate des | |
Militärtribunals enthalten. | |
Was geschieht, wenn Hanser das dennoch tut? | |
Das wird man sehen. Kommt auch darauf an, wie der Verlag jetzt reagiert. | |
Wir haben jedenfalls kein Interesse daran, das zu einem juristischen | |
Skandal werden zu lassen. Das Thema ist dazu zu wichtig, für uns Deutsche | |
insgesamt. | |
Ist es nicht fragwürdig, dass man über den Tod hinaus die Rechte an seiner | |
eigenen Geschichte haben soll? | |
Das postmortale Persönlichkeitsrecht ist juristisch anerkannt, aber die | |
Beurteilung in verschiedenen Gerichtsverfahren ist sehr unterschiedlich, | |
das mag sein. | |
War man nicht zum Beispiel sehr froh, als Klaus Manns Roman „Mephisto“ um | |
die historische Figur von Gustaf Gründgens endlich erscheinen konnte? | |
„Mephisto“ wurde vom Bundesverfassungsgericht als Schmähschrift | |
eingeschätzt. Das ist ein weites Feld. Der Fall „Stella“ liegt anders. Die | |
zentrale Figur wird hier beurteilt nach Feststellung eines sowjetischen | |
Militärtribunals. Das ist unseres Erachtens nicht statthaft. Wenn man | |
jemand nach einem Gerichtsverfahren beurteilt, dann muss das ein | |
rechtsstaatlich sauberes Verfahren sein. Und die Verfahren vor sowjetischen | |
Militärtribunalen waren das nicht. Die dauerten fünf Minuten, die | |
Geständnisse waren erpresst. Selbst Stella Goldschlag hatte so ein | |
Verfahren nicht verdient. | |
Es gab ein weiteres Verfahren, 1957 in Westberlin. | |
Ja. Gegen das Urteil haben sowohl Stella Goldschlag als auch die | |
Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Der Bundesgerichtshof hat das Urteil | |
aufgehoben, es ist also nicht rechtskräftig. Allerdings gibt es dieses | |
nicht rechtskräftige Urteil, und in ihm werden die Fälle beschrieben, und | |
es beschreibt auch die Ursachen von Stella Goldschlags Handlungen. Ein | |
Autor hätte es also möglicherweise auch als Dokument in einem Roman | |
verwenden können. Allerdings kannte es Takis Würger offenbar nicht. | |
Wie hoch hängen Sie die Freiheit der Kunst? | |
Ganz hoch. Sie ist ein unverzichtbares Gut. Aber es muss dann auch bei der | |
Kunst bleiben. Wenn man die literarische Kunst verquickt mit | |
Tatsachenbehauptungen, dann müssen die Behauptungen belastbar sein. Das ist | |
der Schwachpunkt des Buches. Die Protokolle des Militärtribunals sind ohne | |
Zusammenhang, ohne Erklärungen einfach hineingeklatscht worden. Und das | |
verletzt meiner Erachtens das Persönlichkeitsrecht. Wenn Takis Würger sich | |
damit auseinandergesetzt hätte oder auch dargestellt hätte, was Stella | |
Goldschlag gesagt hat, das wäre etwas anderes gewesen. Es gibt aber nur | |
eine Stelle, in der sie zur Schuldfrage Stellung nimmt, auf Seite 210, in | |
ihr wird ausgedrückt, sie sei sich keiner Schuld bewusst gewesen. | |
Der Roman enthält eine Folterszene, in der ihre Bedrängnis und das | |
Erpresste ihrer Handlung deutlich werden soll. Wie bewerten Sie diese | |
Szene? | |
Sie ist im Wesentlichen auch nur reingesprenkelt. Die dauernde Wirkung der | |
Folter und ihre Belastungen werden nicht dargestellt, vielleicht lassen sie | |
sich auch gar nicht darstellen. Dafür findet der Roman aber keine Ebene. | |
Nehmen Sie nur die Stelle, in der von Striemen im Gesicht die Rede ist. Das | |
ist doch lächerlich. In den Kellern der Gestapo wurden Menschen kaputt | |
gemacht. Und, so wie ich die Sache einschätze, ist Stella da als Mensch | |
kaputt gemacht worden. | |
Micha Brumlik hat in der aktuellen Ausgabe der „Zeit“ [3][Ihre Aufforderung | |
an Hanser publik gemacht]. Er schreibt von der „entwürdigenden Ausbeutung | |
und Verhöhnung eines NS-Opfers“. War Stella Goldschlag tatsächlich ein | |
Opfer? | |
Anfangs. Sie wurde denunziert, ist mit ihren Eltern einige Wochen auf der | |
Flucht gewesen, kennt also auch diese Seite. Stella Goldschlag ist in den | |
Kellern der Gestapo nicht einfach geschlagen worden, sie ist da als | |
menschliche Hülle wieder herausgekommen. Sie hat keine Empfindung mehr | |
gehabt. Und dann wurde aus dem Opfer ein Monster. | |
Und das finden Sie in dem Roman nicht wieder? | |
Überhaupt nicht. | |
Nun steht das Buch auf der Bestsellerliste, und fast jeden Abend gibt es | |
eine Lesung des Autors. | |
Der Profit, den der Hanser Verlag mit dem Buch macht, sei ihm gegönnt. Aber | |
nicht, indem Stella Goldschlag zur Figur einer Seifenoper gemacht wird. | |
Sie hat ein Anspruch darauf, dass sie korrekt dargestellt wird. Ihre ganze | |
Generation hat es. Wir hoffen auf die Selbstreinigungskräfte im Hanser | |
Verlag. Dass sie sich zur historischen Verantwortung bekennen. | |
31 Jan 2019 | |
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## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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