# taz.de -- Lesung von Takis Würger in Berlin: Entspannt mit Rückhalt | |
> Der Spiegel-Journalist und Autor, Takis Würger, liest aus seinem | |
> umstrittenen Roman „Stella“ in Berlin. Aus dem Publikum kommen | |
> Durchhalteparolen. | |
Bild: Im Zentrum des Interesses: Takis Würger | |
„Ich habe so viel über das Buch gelesen, dass ich das Buch selbst lesen | |
wollte“, sagt die Frau in der Reihe hinter mir. Es geht um „Stella“, den | |
zweiten Roman des Spiegel-Redakteurs Takis Würger, der [1][die Feuilletons | |
des Landes gegen sich aufgebracht hat], weil er, so der Vorwurf, den | |
Holocaust als atmosphärische Ausschmückung für eine banale Liebesgeschichte | |
benutze, weil er reale historische Figuren einer Schmonzettisierung | |
unterziehe, so dass am Ende nicht viel übrig bliebe als unbedarfter | |
Nazi-Kitsch. | |
Das Buch hat auch seine Verteidiger, und eine vehemente Verteidigerin wird | |
gleich eine Rolle spielen, ein Großteil der deutschen Literaturkritik | |
jedoch hat Würgers Buch in schärfstem Tonfall verrissen. Aufgrund dieser | |
Verrisse ist die Frau in der Reihe hinter mir auf das Buch aufmerksam | |
geworden. Sie hat es gelesen, weil sie sich eine eigene Meinung bilden | |
wollte. Sie fand es dann „wahnsinnig schlecht“. | |
Das sagt sie dem Autor auch, an diesem Montagabend im Pfefferberg Theater | |
in Berlin, wo Takis Würgers ausgedehnte Lesetour zu dem Buch nun Station | |
macht. Die Veranstaltung läuft da schon eine gute Stunde. Würger hatte bis | |
dahin einen ziemlich entspannten Abend, die Moderatorin Margarete von | |
Schwarzkopf hatte ihm, metaphorisch gesprochen, die letzten 60 Minuten die | |
Haare gewuschelt, hatte ihm Fragen gestellt wie „Wie geht es deiner Seele | |
nun?“ und fleißig an der Gegenerzählung gestrickt, voreingenommene | |
Feuilletonisten hätten sein Buch unfair verrissen. | |
Sie hatte ihn wie einen kleinen Jungen behandelt, den man mal trösten | |
musste. Mit den tatsächlichen Kritiken, die ja, man muss es vielleicht noch | |
einmal betonen, keineswegs Schmähungen entrüstungswilliger Wutbürger | |
waren, sondern in den meisten Fällen präzise und sachlich begründete | |
Verrisse, hatte von Schwarzkopf den Autor kein einziges Mal konfrontiert. | |
Stattdessen Verweise auf einen Würger entgegenschlagenden „Hass“ und | |
wohldosiertes Selbstmitleid eines sich tapfer-kämpferisch gebenden | |
Schriftstellers, der sich nicht unterkriegen lässt. | |
Als die Frau in der Reihe hinter mir also schließlich das Mikrofon ergreift | |
und nach dieser einstündigen Werbeveranstaltung für „Stella“ den Mut | |
aufbringt, Würger einige Kritikpunkte der Feuilletons zu nennen (und dabei | |
den Fehler macht, gegen einen „Spiegel-Stil“ zu polemisieren, womit sie das | |
offenbar aus Spiegel-Abonnenten bestehende Publikum gegen sich aufbringt | |
und Würger das zum Anlass nimmt, unter großem Beifall den Spiegel für „das | |
beste Nachrichtenmagazin der Welt“ zu erklären), hat Würger dem nichts | |
entgegenzusetzen. Er rettet sich in Totschlagargumente und antwortet der | |
Frau unter anderem: „Ich bin 33, und das ist mein zweites Buch“, ein | |
Plädoyer für Welpenschutz also. | |
## Das Publikum – jung und stylisch | |
Früher am Abend hatte er über seine Verbindung zu dem nun verstorbenen | |
Holocaust-Überlebenden Noah Klieger gesprochen und erzählt, wie der zu ihm | |
gesagt hatte: „Es kommt nicht darauf an, wie du deinen Gott nennst, sondern | |
was du für ein Buch schreibst.“ Das Hervorheben dieses Zitats hatte nach | |
einer impliziten Zurückweisung der Position geklungen, Würger hätte als | |
Nicht-Jude kein Buch über den Holocaust schreiben dürfen. Dabei war der | |
Vorwurf ja nie, dass er als Nicht-Jude ein Buch über den Holocaust | |
geschrieben hat, sondern eben, dass er dieses Buch geschrieben hat. | |
Die Sympathien des Publikums – bemerkenswert jung und stylisch, viele | |
Wollmützen und lange Mäntel – scheinen jedoch auf Würgers Seite. Mehrere | |
Wortmeldungen werden mit Durchhalteparolen beschlossen. Die Märtyrerpose, | |
die ihm von von Schwarzkopf und Teilen des Publikums zugeteilt wird, nimmt | |
Würger an. Gegen Ende der Veranstaltung fällt ihm ein, dass er das Buch mit | |
aufklärerischem Impetus geschrieben hat. | |
Vier von zehn Schülern, sagt er, wüssten nicht, was sich hinter dem Namen | |
Auschwitz verberge, und wenn er, mit seinem „oberflächlichen“ Roman – hi… | |
greift er spitz die Wortwahl der Frau in der Reihe hinter mir auf – dazu | |
beitragen könne, dass sich das ändere, dann zahle er gerne den Preis dieser | |
ganzen Verletzungen. Die Frau in der Reihe hinter mir sagt dann noch, dass | |
es ja durchaus möglich sei, das Unerzählbare des Holocausts zu erzählen, | |
man denke an Claude Lanzmanns „Shoah“. Darauf entgegnet Würger: „Wenn man | |
meinen Roman an ‚Shoah‘ misst, kann man ihn ja gleich in den Müll | |
schmeißen.“ | |
12 Feb 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Takis-Wuergers-Stella/!5563177 | |
## AUTOREN | |
Jan Jekal | |
## TAGS | |
Takis Würger | |
Literatur | |
Stella Goldschlag | |
Roman | |
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2022 | |
Takis Würger | |
Claas Relotius | |
NS-Verbrechen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Buchmesse in Leipzig: Der Konsens ist weg | |
In Leipzig treffen Leserschaft, KritikerInnen, Verlage und Buchhandel | |
aufeinander. Zuletzt haben sie sich allerlei Kränkungen zugefügt. | |
Jurist über Roman von Takis Würger: „Sie war ja Opfer und Monster“ | |
Der Roman „Stella“ sorgt weiter für Ärger. Die Erben von Stella Goldschlag | |
wollen juristisch gegen die Verbreitung vorgehen. Deren Anwalt Karl Alich | |
erklärt, warum. | |
Relotius, Menasse und der Roman „Stella“: Wunsch nach Lektüreporn | |
Betrogen hat Takis Würger mit seinem Roman „Stella“ natürlich nicht. | |
Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten mit den Fällen von Relotius und Menasse. | |
Takis Würgers „Stella“: Ein Fall von literarischer Hochstapelei | |
Takis Würger erzählt in „Stella“ von einer Jüdin, die zu NS-Zeiten viele | |
hundert Menschen verriet. So bestürzend die Geschichte, so hilflos das | |
Buch. |