# taz.de -- Jürgen Trittin kritisiert Bundesregierung: „Ich sehe Zerrissenhe… | |
> Libyen-Gipfel in Berlin, Nuklearabkommen mit Iran – Deutschland nimmt | |
> außenpolitisch Einfluss. Aber macht es das gut? Nein, findet Jürgen | |
> Trittin. | |
Bild: Er hat etwas zu sagen: Jürgen Trittin | |
taz am wochenende: Herr Trittin, hat sich Deutschland mit dem Libyengipfel | |
vom letzten Wochenende als Player auf der internationalen Bühne ins Spiel | |
gebracht? | |
Jürgen Trittin: Deutschland [1][hat im Libyenkonflikt] für die Vereinten | |
Nationen vermittelt. Das ging nur, weil wir uns 2011 nicht daran beteiligt | |
haben, Libyen in Grund und Boden zu bombardieren. Wir werden von allen | |
libyschen Konfliktparteien als Mittler gesehen, als Land, das dort keine | |
kolonialen und keine direkten Kriegsinteressen hat. Der Gipfel war also ein | |
Erfolg – vor allem, weil ein Ausgleich zwischen Italien und Frankreich | |
gelungen ist. Sie müssen sich das vorstellen: Wir reden von gemeinsamer | |
europäischer Außenpolitik und in Libyen haben zwei EU-Mitgliedstaaten | |
gegnerische Kriegsparteien unterstützt! | |
Frankreich hat bislang nicht die Einheitsregierung in Tripolis unterstützt, | |
sondern General Chalifa Haftar. Muss sich Paris Ihrer Meinung nach der | |
europäischen Position anschließen? | |
Eine europäische Position erkenne ich nicht. Italien hat mit Milizen | |
kooperiert, die der Muslimbruderschaft nahestehen. Unter dem Deckmantel, da | |
würde die libysche Küstenwache ausgerüstet, wurden sie mit Medizin, mit | |
Waffen ausgestattet. Parallel hat Frankreich Spezialkräfte in Haftars | |
Hauptquartier stationiert. Ich sehe da eher eine europäische Zerrissenheit. | |
Sehen Sie denn über die Gespräche hinaus tatsächlich eine Annäherung? | |
Auf allen Seiten ist Realismus eingezogen. Frankreich hat ja in einem Punkt | |
recht, ohne das moralisch bewerten zu wollen, aber faktisch kann man keine | |
Lösung ohne Haftar finden. Er kontrolliert 80 Prozent des Landes und | |
wichtige Teile der Ölinfrastruktur. Er wird eine Rolle spielen. Was Europa | |
angeht, war diese Konferenz also ein Schritt nach vorn. | |
Und für Libyen? | |
Die Frage ist, ob dort weiterhin russische Söldner, syrische Freischärler, | |
Drohnen aus der Türkei, Panzer aus Ägypten und Flugzeuge aus den Emiraten | |
unterwegs sein werden, oder ob man das unterbinden kann. Das wird auch | |
davon abhängen, ob der UN-Sicherheitsrat, nachdem er die Berliner Erklärung | |
in eine Resolution überführt hat, im Falle von Verstößen auch mit | |
Sanktionen reagiert. | |
Deutschland hat sich nicht nur in Sachen Libyen zurückgemeldet. Zusammen | |
mit den Franzosen und Briten hat es vergangene Woche einen | |
Streitschlichtungsmechanismus ausgelöst, der zum [2][Ende des | |
Nuklearabkommens mit Iran] führen könnte. Sind die Europäer auch hier | |
wieder zurück auf der internationalen Bühne? | |
Nein, Deutschland hat hier – nicht erst mit dieser Entscheidung – jeden | |
Ansatz einer eigenständigen europäischen Außenpolitik aufgegeben. Das | |
Nuklearabkommen war ursprünglich eine deutsche und dann eine europäische | |
Initiative. Es hat dazu geführt, dass das Nuklearpotenzial des Iran heute | |
das bestkontrollierte der Welt ist. Kein anderer Mitgliedsstaat des | |
Atomwaffensperrvertrags muss sich solchen Kontrollen unterziehen wie die | |
Iraner. Es ist ganz simpel: Gegen den Atomwaffensperrvertrag hat Iran bis | |
heute nicht verstoßen. | |
Iran hat die Auflagen des Abkommens seit letztem Juli Schritt für Schritt | |
ignoriert. | |
Dort wurden größere Mengen Uran angereichert. Das Land hat aber laut | |
unabhängigen Berichten bis heute nicht gegen den Atomwaffensperrvertrag | |
verstoßen. | |
Das ändert nichts daran, dass Iran gegen das Abkommen verstoßen hat. Da | |
konnten die Europäer doch nicht einfach nichts tun. | |
Zunächst haben die Europäer gegen das Abkommen verstoßen, indem sie ihre | |
wirtschaftlichen Versprechen nicht eingehalten haben. Seit anderthalb | |
Jahren, seit der Kündigung durch Trump, haben sie nichts gemacht. Sie haben | |
ihr Versprechen, Iran Ölverkäufe zu ermöglichen, gebrochen. Und jetzt droht | |
die Auslösung dieses Mechanismus, das Abkommen platzen zu lassen. | |
Dabei erklären die Europäer immer wieder, daran festhalten zu wollen. | |
Das behaupten sie. Aber ihr Wunsch, Trump zu beschwichtigen, ist stärker. | |
Die Trump-Administration hat die Europäer mit Autozöllen erpresst, damit | |
sie das Abkommen beenden. | |
Die Bundesregierung weist diesen Vorwurf von sich und besteht darauf, dass | |
die Auslösung der Streitschlichtung keine Reaktion auf Trumps Drohung war. | |
Die Erpressung ist unstreitig. Jetzt geht es nur noch um die Frage, ob es | |
vorauseilender Gehorsam oder einfach Gehorsam war. | |
Warum sind Sie sich so sicher, dass der Mechanismus das Ende des Abkommens | |
bedeutet? | |
Jede Vertragspartei kann die Sache nach 30 Tagen in den UN-Sicherheitsrat | |
bringen. Wenn dann der Sicherheitsrat nicht innerhalb weiterer 30 Tage | |
beschließt, dass kein signifikanter Bruch des Abkommens vorliegt, werden | |
aus den sehr umfassenden amerikanischen Sanktionen, die den Iran jetzt | |
schon strangulieren, UN-Sanktionen. | |
Womit das Abkommen beendet wäre? | |
Es liegt jetzt auf der Straße vor Downing Street 10 und wird zum Gegenstand | |
der Verhandlungen zwischen Briten und Amerikanern, wenn nach dem Brexit | |
über ein Handelsabkommen gesprochen wird. Ich sage nicht, dass es tot ist, | |
aber in dem Moment, in dem Boris Johnson dem Drängen der USA nachgibt und | |
das Abkommen opfert, ist es vorbei. So hat Deutschland das Thema aus der | |
Hand gegeben. Das ist der Fehler. Die Frage ist: Handelt Europa als | |
eigenständiger Akteur oder ordnet es sich Washington unter? Heiko Maas und | |
Merkel haben sich für Letzteres entschieden. | |
Die [3][US-Drohung mit Zöllen auf europäische Autos] hat es allerdings auch | |
in sich. Wären Sie Außenminister, wie hätten Sie denn reagiert? | |
Viele sagen ja, Trump sei so erratisch. Das ist er aber nicht. Er pokert | |
hoch und droht und setzt darauf, dass er am Ende gewinnt. Die „Business as | |
usual“-Strategie der Bundesregierung funktioniert nicht. Auf Trump zu | |
reagieren wie zu Zeiten Clintons oder Obamas – miteinander reden in dem | |
Bewusstsein, dass beide etwas zu verlieren haben –, das ist zum Scheitern | |
verurteilt. Das ist das Problem der deutschen Außenpolitik. Wir reden von | |
europäischer Resilienz, und permanent zerstört Deutschland aufgrund dieser | |
strategischen Fehlkalkulation eine eigenständige europäische Rolle. Die | |
Bundesregierung versucht, durch Beschwichtigung das Schlimmste von | |
Deutschland abzuwenden. Aber Trump lässt sich nicht beschwichtigen. Ihm | |
muss man etwas entgegensetzen. | |
Wer auf Konfrontation mit Konfrontation antwortet, geht aber auch ein | |
Risiko ein. | |
Das Risiko tritt auch so ein. Es droht ein nukleares Wettrüsten im Nahen | |
Osten. Und Trump hat die Keule Autozölle in Davos erneut geschwungen. Jetzt | |
will er damit die Digitalsteuer für Großkonzerne verhindern und ein | |
Handelsabkommen ohne Klimaschutz erzwingen. | |
Gegen die Konfrontation spricht aber auch die eigene Sicherheit: Würde sich | |
am Ende die US-Armee aus Europa zurückziehen, wäre die Landesverteidigung | |
nicht mehr gewährleistet. | |
Ich habe nicht gesagt, dass wir auf Konfrontation gehen sollen. Ich habe | |
gesagt, man soll die Konfrontation, die die USA uns gegenüber eröffnet | |
haben, ernst nehmen. Man muss als Antwort selbstbewusst die europäischen | |
Interessen vertreten. Die USA werden in absehbarer Zeit nicht aus Europa | |
abziehen. Die sind nämlich nicht zu unserem Gefallen hier. Sie haben eigene | |
Interessen. Aber bestimmte Dinge werden die Europäer künftig allein machen | |
müssen. Wir haben früher – meine Generation vorneweg – gegen den | |
Weltsheriff USA demonstriert. Jetzt stellen wir fest: Ohne Sheriff müssen | |
wir uns selber um unsere Nachbarschaft kümmern. Das wird Konsequenzen | |
haben, auch für die europäische Außen- und Sicherheitspolitik und die | |
Frage, wie und zu welchem Zweck wir Soldaten einsetzen. | |
Zum Beispiel in Libyen? | |
Ghassan Salamé, der Chef der UN-Mission in Libyen, lehnt eine solche | |
Mission ab. Er sieht in Libyen keine Akzeptanz dafür. Das sollten wir ernst | |
nehmen. Erst mal muss die Waffenruhe in einen Waffenstillstand überführt | |
werden. Wenn ich die Nachrichten von Haftars erneuten Vorstößen höre, wird | |
das schwierig genug. Dann geht es zunächst um eine | |
Militärbeobachtermission. Das wäre eher vergleichbar mit der OSZE-Mission | |
in der Ostukraine. | |
Eine robuste Mission, die sich auch selbst schützen könnte, käme für Sie | |
nicht infrage? | |
Es nützt nichts zu spekulieren. Ohne UN-Mandat geht gar nichts. Es ist | |
zudem ein gewaltiger Unterschied, ob Militär – auch robust – einen | |
Waffenstillstand überwacht, oder mit Militär Konfliktparteien zu einem | |
politischen Konsens gezwungen werden sollen. | |
Von welchen europäischen Interessen sprechen Sie genau, wenn es um eine | |
neue globale Ordnung geht? | |
Man kann nicht mehr die Augen davor verschließen, dass einst zentrale | |
gemeinsame Interessen der USA und Europas von der Trump-Administration | |
offen bekämpft werden. „Europa ist schlimmer als China“, sagt Trump. Die | |
sich herausbildende Weltordnung wird von drei revisionistischen Mächten | |
geprägt: USA, China und Russland. So unterschiedlich die politischen | |
Systeme sind, sie sind sich alle drei darin einig, dass nicht | |
internationale Institutionen und universale gültige Regelwerke zählen, | |
sondern fallweise Vereinbarungen mit einzelnen Partnern. Darauf haben sich | |
Europa und Deutschland noch nicht eingestellt. | |
Was müsste passieren? | |
Europa hätte die Chance, Elemente der multilateralen Ordnung zu retten, | |
auch durch ein Netz von Handelsvereinbarungen. Deutschland könnte erheblich | |
dazu beitragen. Doch immer, wenn es zum Schwur kommt, gewichtet die | |
Bundesregierung ihre nationalen kurzfristigen Interessen höher als das | |
strategische Ziel europäischer Souveränität. | |
25 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
Tobias Schulze | |
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