# taz.de -- Ex-UN-Beauftragter über Libyenkrieg: „Eine aktivere Haltung Euro… | |
> Die Berliner Libyen-Konferenz war ein Novum, sagt Martin Kobler. Doch die | |
> Beschlüsse offenbaren Lücken. Eine militärische Lösung sieht er nicht. | |
Bild: Viele Waffen und viele Milizen: Kämpfer der anerkannten Libyschen Regier… | |
taz: Herr Kobler, [1][gut eine Woche nach der Berliner Libyen-Konferenz] | |
wird in Libyen wieder gekämpft. Kann man den Berliner Prozess noch retten? | |
Martin Kobler: Zunächst: Die Berliner Konferenz war ein Novum. Zum ersten | |
Mal haben sich Staats- und Regierungschefs mit Libyen befasst, ein Dokument | |
verabschiedet und einen Nachfolgemechanismus vereinbart. Insofern gehen die | |
Ergebnisse über frühere Konferenzen in Palermo und Paris hinaus. | |
[2][In Berlin] wurde ein politischer Prozess vereinbart, erste Schritte. | |
Allen war klar, dass die Erwartungen nicht sehr hoch sein können. Es ist | |
gut, dass die Bundesregierung diesen Prozess prominent auf der | |
internationalen Agenda hält. Es heißt jetzt: Dran bleiben. Das Berliner | |
Dokument enthält eigentlich wenig Neues – eine Neuverpflichtung, das | |
Waffenembargo einzuhalten und [3][eine Waffenruhe zu vereinbaren], die in | |
einen dauerhaften Waffenstillstand übergehen soll, ist aber gut. | |
Das Waffenembargo wird laut UNO nicht eingehalten… | |
Ich habe Zweifel, ob das alles gelingen wird, wenn es keine internationale | |
Überwachung vor Ort gibt. Wenn man ein Abkommen hat, in dem sich Militärs | |
und Milizen zu einem Waffenstillstand verpflichten, stehen die Chancen | |
besser, wenn das durch Dritte überwacht wird. So verfahren wir ja auch mit | |
den OSZE-Beobachtern in der Ukraine. Einen solchen Mechanismus enthält das | |
Berliner Abkommen nicht. Die Bundesregierung sagt, man soll nicht den | |
zweiten Schritt vor dem ersten denken – ich finde, man kann das schon | |
parallel denken. | |
Ihr Nachfolger als UN-Beauftragter für Libyen, [4][Ghassan Salamé, lehnt | |
eine UN-Truppe ab]. Hat er recht? | |
Ich finde, er hat recht. Es gibt ja auch andere Formen der militärischen | |
Überwachung. Wichtig ist lediglich die Zustimmung des UN-Sicherheitsrates. | |
Bereits 2014/15 wurde an eine „Koalition der Willigen“ gedacht, | |
Militärbeobachter und Soldaten verschiedener Staaten – nicht Blauhelme, | |
sondern eine Truppe zur Überwachung des Libyschen Politischen Abkommens. | |
Das wurde dann nicht weiterverfolgt. | |
Nach zwei Jahren relativer Stabilität gingen die Kämpfe wieder los. Salamé | |
hat natürlich recht, wenn er sagt, dass es in Libyen keine Akzeptanz für | |
internationale Truppen, gibt – aber dort agieren jetzt ausländische | |
Söldner, Milizen, die Einheiten Haftars, die Türkei ist ganz offen | |
militärisch involviert. Ich finde, internationale Militärbeobachter zur | |
Einhaltung eines Waffenstillstands und des Waffenembargos sind auch für die | |
libysche Bevölkerung das geringere Übel. | |
Warum soll jetzt funktionieren, was damals nicht klappte? | |
Die Lage im Land ist jetzt viel verfahrener. Am meisten verzweifelt ist die | |
libysche Bevölkerung, sie leidet jetzt seit Jahren unter Elektrizitäts- und | |
Versorgungsengpässen, dem Fehlen einer ordentlichen Gesundheitsversorgung, | |
aber vor allem an dem Machvakuum und an der Willkür der kriegführenden | |
Parteien. Es ist ein Skandal in diesem öl- und gasreichsten Land Afrikas. | |
Die Lage der Migrantinnen und Migranten ist unhaltbar und ein weiterer | |
Schandfleck. | |
In den Lagern wird vergewaltigt und gefoltert, und das an der Grenze zu | |
Europa. Der Druck auf die internationale Gemeinschaft wächst und ich würde | |
mir hier eine aktivere, robuste Haltung vor allem der Europäer wünschen. Es | |
ist aber vor allem die Verantwortung der Milizenführer und der Befehlshaber | |
im ganzen Land, sich zusammenzusetzen und zu einer Machtteilung zu kommen | |
und so das Leiden der Bevölkerung zu beenden. | |
Sie haben das ja schon mal gemacht, mit dem Libyschen Politischen Abkommen, | |
das im Dezember 2015 im marokkanischen Skhirat geschlossen wurde. Daraus | |
wurde die „Einheitsregierung“ von Serraj in Tripolis, die jetzt von Haftar | |
bekämpft wird. Wieso konnte sich diese Regierung nicht durchsetzen? | |
Es gab im Land schon damals mehrere Machtzentren: Tripolis mit den Milizen, | |
in Tobruk im Osten das Parlament und die Libysche Nationalarmee unter | |
Haftar. Aber die Situation war nicht so akut. Das Libysche Politische | |
Abkommen, das jetzt in Berlin bekräftigt wurde, war eine gute Grundlage des | |
nationbuilding, um das Land zusammenzuführen. Es hat sich allerdings nicht | |
bewährt, die Umsetzung alleine den libyschen Parteien zu überlassen. | |
Man hätte 2011 nicht erst intervenieren dürfen und dann sagen, macht eure | |
Revolution alleine weiter. Libyen braucht eine Verfassung, die | |
Institutionen müssen wieder zusammengeführt werden – die Zentralbanken, die | |
Ölgesellschaften, die beiden Regierungen, die beiden Parlamentskammern. Wir | |
haben damals auch versucht, mit der verfassungsgebenden Versammlung den | |
Verfassungsprozess voranzutreiben, mein Nachfolger hat sich weiter sehr | |
engagiert und wollte mit der Nationalen Konferenz die Bevölkerung | |
mitnehmen. Alle diese positiven Ansätze wurden durch die militärische | |
Eskalation torpediert. | |
Haftar will offensichtlich die militärische Lösung. Kann man das stoppen? | |
Muss man das stoppen? | |
Ja, man muss das stoppen im Interesse der Menschen. Eine schnelle | |
militärische Lösung sehe ich auch nicht – aber es ist noch nicht gelungen, | |
Haftar davon zu überzeugen. Der Weg, den das Berliner Dokument geht, ist | |
richtig. Es ist wichtig, dass man das Waffenembargo durchsetzt – wenn nötig | |
auch mit Sanktionen. Der Konflikt entwickelt sich immer mehr zu einem | |
Stellvertreterkrieg. | |
Leider bleibt hier das Berliner Dokument vage und fordert nicht etwa den | |
Abzug ausländischer Truppen und Söldner. Wir müssen zurück zu den | |
Prinzipien der UN-Charta: Nichteinmischung, Achtung der Souveränität, | |
Einhaltung der Menschenrechte. Das ist alles auf der Strecke geblieben. | |
Wenn das gelingt, sind wir einen Schritt weiter. Aber die Parteien müssen | |
es auch selbst wollen! | |
28 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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