# taz.de -- Russland-Sanktionen: Einmischen, nicht ausweichen | |
> Nicht brutal, sondern entschieden: Die Bundesregierung sollte Ansätze für | |
> eine deutsch-französische Russlandpolitik auf die Tagesordnung setzen. | |
Bild: Im Dialog mit Putin preschte Macron vor, ungeachtet der Kriege in Syrien … | |
Mitte März hat sich die russische Annexion der Krim fast unbemerkt zum | |
sechsten Mal gejährt. In Anbetracht der momentanen gesundheitspolitischen | |
Lage in den Hintergrund gerückt, bleibt der Druck auf die europäische | |
Russlandpolitik dennoch hoch – allerdings nicht wegen der Krim, sondern | |
aufgrund russischer Angriffe im syrischen Idlib. Dort harren immer noch | |
zwei Millionen Menschen an der Grenze zur Türkei aus. | |
Sollten Russland und das syrische Regime ihre Luftschläge wieder | |
intensivieren, werden Hunderttausende keine andere Wahl haben, als in die | |
Türkei und nach Europa zu fliehen. Dabei bleibt die europäische Politik | |
fragmentiert. Insbesondere der französische Präsident Macron sucht seit dem | |
vergangenen Jahr bei diesem Thema seinen eigenen Weg und hat eine | |
Charmeoffensive gegenüber Russland gestartet. Einige seiner mittel- und | |
osteuropäischen EU-Partner betrachten diesen Vorstoß mit Skepsis, | |
insbesondere weil der französische Präsident bereit scheint, Putin | |
Zugeständnisse bei heiklen Themen wie der Ukraine oder der ausgesetzten | |
G8-Mitgliedschaft Russlands zu machen. | |
[1][Die Bundesregierung sollte Macron mit seiner Politik gegenüber Russland | |
keinesfalls alleinlassen]. Sie sollte als Gestalterin auftreten und den | |
französischen Präsidenten zu einer Kursänderung bewegen, da Macrons | |
Bestreben nach einer Normalisierung der Beziehungen mit Moskau in der | |
momentanen Situation keine Früchte trägt. Dabei sollte Deutschland auf neue | |
Sanktionen für die gut dokumentierten russischen Kriegsverbrechen in Syrien | |
drängen. | |
Auf der Münchener Sicherheitskonferenz erklärte der französische Präsident, | |
niemand sei bereit, „brutal“ zu Russland zu sein. In Ermangelung anderer | |
Optionen sei deshalb ein strategischer Dialog mit Moskau gefragt. Dabei | |
scheint der französische Präsident etwas übersehen zu haben: die Ukraine. | |
Denn ohne eine Kursänderung der Ukrainepolitik des Kremls bedeutet jede | |
Normalisierung der Beziehungen zu Moskau [2][ein faktisches Akzeptieren des | |
Status quo im Donbas und der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim]. Putin | |
wird keinen Frieden im Donbas tolerieren, solange nicht sein Einfluss | |
garantiert ist. Eine Garantie russischer Einflussname nach Moskaus | |
Vorstellungen würde aber einen nachhaltigen gesellschaftlichen Frieden in | |
der gesamten Ukraine unmöglich machen und ist daher nicht im europäischen | |
Interesse. Dieses Dilemma stellt ein zurzeit unlösbares Problem für die EU | |
dar. Macrons Normalisierungsbemühungen riskieren eine Tolerierung von | |
Russlands Einfluss, wenn dadurch Vorteile bei den für Frankreich wichtigen | |
Themen entstehen. | |
## Putin ohne Illusionen betrachten | |
Macrons Einschätzung, dass Europa trotz allem in Dialog mit Russland treten | |
muss, ist natürlich nicht falsch. Es wäre aber fatal, sich der Illusion | |
hinzugeben, dass sich Putin im Gegenzug für Zugeständnisse wie eine | |
Wiederaufnahme in die Gruppe der G8 plötzlich an Absprachen halten wird. | |
Bereits der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, dass man Putin eine | |
europäische Agenda nicht aufzwingen kann. So auch in Syrien: Trotz aller | |
Annäherungsbemühungen des französischen Präsidenten scheiterten Macrons | |
Versuche, gemeinsam mit Angela Merkel ein Ende der russischen | |
Kampfhandlungen in Syrien zu erwirken. Der Waffenstillstand in Nordsyrien | |
wurde von Putin und dem türkischen Präsidenten Erdoğan direkt und ohne | |
Zutun der Europäer ausgehandelt. Es bleibt fragwürdig, wie lange er hält. | |
Die Bundesregierung sollte in Bezug auf Russland entschieden handeln, | |
anstatt Macron auszuweichen, wie sie es in den letzten Jahren | |
beispielsweise beim Thema EU-Reformen getan hat. Das bedeutet einerseits, | |
im Hinblick auf die Ukraine weiterhin auf eine klare Linie zu pochen. | |
Andererseits sollte die Bundesregierung Frankreich entschlossen zu neuen | |
EU-Sanktionen gegen Moskau drängen. Diese Forderung wurde inzwischen auch | |
in Berlin laut, unter anderem von der grünen Außenpolitikerin Franziska | |
Brantner und von Norbert Röttgen, Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss des | |
Bundestages und Kandidat für den CDU-Parteivorsitz. Allerdings sollten | |
Sanktionen umfassender sein als die geforderten individuellen Sanktionen | |
gegen russische Generäle, die Kriegsverbrechen verübt haben. Um Frankreich | |
von weiteren Sanktionen zu überzeugen, muss die Bundesregierung ein Zeichen | |
setzen und dort agieren, wo es dem Kreml wirklich schadet: beim Bau der | |
Gaspipeline Nord Stream 2. | |
## Bruch des Völkerrechts nicht hinnehmen | |
Ein umfassendes, neues [3][Sanktionspaket, welches einen Stopp der | |
Fertigstellung von Nord Stream 2 beinhaltet], würde Frankreich und anderen | |
europäischen Partnern zeigen, dass die Bundesregierung es ernst meint. | |
Diese Maßnahme wäre nicht „brutal“, aber entschlossen. Das ist die beste | |
Chance für Europa, mit zivilen Mitteln von Putin Zugeständnisse in Syrien | |
zu erlangen. Durch das Coronavirus wird vieles auf dem Prüfstand stehen, | |
doch eine entschlossene Haltung gegenüber russischen Kriegsverbrechen | |
sollte nicht dazugehören. | |
Auch hier sind Erkenntnisse aus dem Ukrainekonflikt instruktiv. Zwar hat | |
sich Putin durch Sanktionen nicht zu einem Rückzug aus dem Donbas bewegen | |
lassen. Befürworter der Sanktionspolitik betonen aber, dass diese dazu | |
beigetragen hat, eine weitere Eskalation in der Region zu verhindern. Und: | |
Die Europäische Union hat gezeigt, dass sie dem russischen | |
Völkerrechtsbruch nicht einfach untätig zusieht. Mit Blick auf Syrien | |
scheinen die Mitgliedstaaten außerstande, eine ähnlich konzertierte Politik | |
zu formulieren. Ein Beschluss von weiteren Sanktionen würde diese | |
Untätigkeit beenden. Das wäre nicht nur richtig in Anbetracht der | |
katastrophalen Lage in Syrien − es wäre auch ein wichtiger Schritt hin zu | |
einer strategischeren europäischen Außenpolitik gegenüber Russland, welche | |
aus der Krim-Annexion gelernt hat. | |
2 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Juergen-Trittin-kritisiert-Bundesregierung/!5656136 | |
[2] /Erste-Linie-MoskauKrim/!5648851 | |
[3] /Pipeline-Nord-Stream-2-in-der-Kritik/!5666056 | |
## AUTOREN | |
Julia Friedrich | |
## TAGS | |
Wladimir Putin | |
Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
EU Außenpolitik | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
North-Stream-Pipeline | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg | |
Schröder | |
Nord Stream 2 | |
Jürgen Trittin | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Russland-Nato-Krise: Der Weg ist nicht das Ziel | |
Der Konflikt mit Russland kann nur dann dauerhaft gelöst werden, wenn der | |
Westen – anders als in Afghanistan – weiß, was er eigentlich erreichen | |
will. | |
Sergey Lagodinsky über Russland: „Deutschland muss klüger auftreten“ | |
Kritik an Russlands Regierung ist wichtig, sagt der EU-Abgeordnete Sergey | |
Lagodinsky. Aber für die Bürger*innen müsse man Verantwortung | |
übernehmen. | |
Schröder im Wirtschaftsausschuss: Er ist wieder da | |
Gerhard Schröder, Exkanzler und Gazprom-Lobbyist, tritt als | |
Sachverständiger im Bundestag auf. Der SPD scheint das peinlich zu sein. | |
Pipeline Nord Stream 2 in der Kritik: Doch nicht so sauber | |
Neue Messmethoden zeigen, dass Pipelines mehr Methan ausstoßen als gedacht. | |
Für die Deutsche Umwelthilfe ist Erdgas keine Energie der Zukunft. | |
Jürgen Trittin kritisiert Bundesregierung: „Ich sehe Zerrissenheit“ | |
Libyen-Gipfel in Berlin, Nuklearabkommen mit Iran – Deutschland nimmt | |
außenpolitisch Einfluss. Aber macht es das gut? Nein, findet Jürgen | |
Trittin. | |
Erste Linie Moskau–Krim: 33 Stunden bis Simferopol | |
Jetzt fährt ein Zug von Moskau auf die von Russland annektierte Krim. Eine | |
Reise voller Erinnerungen an eine patriotische Vergangenheit. |