| # taz.de -- Jüdisches Museum Frankfurt neu eröffnet: Selbstbewusstsein der Ve… | |
| > Nach fünf Jahren Umbau präsentiert das Jüdische Museum Frankfurt eine | |
| > neue Dauerausstellung. Sie richtet den Blick nicht nur auf Vergangenes. | |
| Bild: Die Skulptur „Untitled“ von Ariel Schlesinger im Neuen Jüdischen Mus… | |
| Na sowas! Da stehen doch lebendige Juden zur Begrüßung und erzählen von | |
| ihrem Alltag. Da erwarten den Besucher gleich fünf Rabbiner, die auf | |
| Knopfdruck Fragen beantworten wie „Wann kommt der Messias?“ und „Was ist | |
| koscher?“ Und da präsentiert Peter Loewy eine Fotoserie mit Bildern aus | |
| jüdischen Haushalten: Krimskrams, Bücher, aufeinander liegende Kippot, der | |
| ganze Kram, der so liegen bleibt, wenn man zu selten umzieht. | |
| Jüdischen Museen in Deutschland geht das Bild voraus, man müsse schon vor | |
| deren Betreten ein trauriges Gesicht machen und möglichst im schwarzen | |
| Anzug erscheinen. Schließlich geht es um Diskriminierungen und | |
| Ausgrenzungen bis hin zum Massenmord, dem Holocaust, und um so genannte | |
| jüdische Mitbürger, diesen bedauernswerten Existenzen. Diese Verfolgungen | |
| prägen das Leben der Juden bis heute, ja, das ist richtig. Dass der | |
| wachsende [1][Antisemitismus wieder eine reale Bedrohung darstellt], ist | |
| nur allzu wahr. Aber es ist eben nur eine Seite des Lebens. | |
| „Wir sind jetzt“ lautet der Titel der neuen Dauerausstellung des Jüdischen | |
| Museums in Frankfurt am Main. Der Name ist Programm. Denn diese Schau | |
| stellt das Leben vom Kopf auf die Füße. Sie beginnt mit dem Heute: dem | |
| Leben der Frankfurter Juden im 21. Jahrhundert, mit dem Wiedererstarken der | |
| Gemeinde, der Zukunft zugewandt. Die Geschichte wird folgen, je tiefer man | |
| sich von der dritten Etage des Rothschild-Palais am Mainufer nach unten | |
| arbeitet. | |
| Wer im Jahr 2020 alle jüdische Museen in der Bundesrepublik besuchen | |
| möchte, hat gut zu tun. Mehr als zwei Dutzend solcher Einrichtungen gibt es | |
| inzwischen von Dorsten in Westfalen bis nach Augsburg in Bayern. Es ist | |
| noch nicht so lange her, da existierte nur eine einzige solche Institution: | |
| das Frankfurter Jüdische Museum wurde 1988 als Solitär eröffnet. Es hat | |
| vielen anderen ähnlichen Einrichtungen als Vorbild gedient. 32 Jahre später | |
| und nach fünf Jahren Umbauarbeiten präsentiert sich das Museum nun ganz | |
| neu, ganz anders – und wieder könnte diese Schau wegweisend werden. | |
| Zum historischen Rothschild-Palais aus dem beginnenden 19. Jahrhundert ist | |
| ein blendend weißer Kubus mit großen Fenstern hinzugetreten, das die | |
| Empfangsräume und den Raum für Wechselausstellungen beherbergt. Das von dem | |
| Architekten Volker Staab geplante Gebäude repräsentiert das Neue, Offene. | |
| Das Rothschild-Palais, der einstige Sitz der berühmten Bankiers-Familie, | |
| steht mit seinen goldenen Zierleisten, dem Stuck und den Kassettendecken | |
| für die große Geschichte der Frankfurter Juden. | |
| Es ist nämlich so, dass keine andere deutsche Stadt so sehr von jüdischem | |
| Leben geprägt worden ist wie die Stadt am Main. „Frankfurt ist die | |
| jüdischste Stadt Deutschlands“, bringt es Oberbürgermeister Peter Feldmann | |
| bei der Eröffnung in der vergangenen Woche auf den Punkt, nicht ohne dabei | |
| zu erwähnen: „Das Besondere ist, dass das vielfach keine Rolle spielte.“ | |
| Denn die Frankfurter Juden waren sehr häufig säkular eingestellt. Mit der | |
| Moderne verlor die Religion immer mehr an Bedeutung, und auch viele | |
| Christen scherten sich wenig um die Konfessionen. | |
| Es bleibt aber festzuhalten: Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts lebten | |
| in Frankfurt prozentual mehr Juden als in jeder anderen deutschen Großstadt | |
| (auch wenn es mit knapp fünf Prozent viel weniger waren, als die | |
| Antisemiten glaubten). Dies auf das Grausamste kenntlich zu machen, blieb | |
| der nationalsozialistischen Separierungspolitik vorbehalten, die im Mord an | |
| nahezu 13.000 Frankfurterinnen und Frankfurtern gipfelte. Es gab nur etwa | |
| 150 überlebende Juden in der Stadt. | |
| Das Rothschild-Palais steht nicht nur für den Aufstieg einer jüdischen | |
| Familie nach der Aufklärung, sondern auch für den Neubeginn nach 1945. In | |
| dem Gebäude, das die Bombennächte als eines von wenigen überstanden hatte | |
| und wo bis 1927 die Rothschild'sche öffentliche Bibliothek untergebracht | |
| war, richteten die Amerikaner nun einen „Collecting Point“ für all die von | |
| den Nazis geraubten Bücher und Kunstgegenstände ein, die es galt ihren | |
| Besitzern zurückzuerstatten – wenn diese denn noch am Leben waren. | |
| Mit den US-Soldaten, die ihr Hauptquartier in der Mainmetropole | |
| aufschlugen, erreichten nicht nur Schokolade, Kaugummi und neue Anfänge von | |
| Demokratie Frankfurt, sondern auch überlebende Juden aus Osteuropa, | |
| vertrieben aus ihrer alten Heimat und auf der Suche nach einer neuen. In | |
| Zeilsheim entstand ein großes Lager für diese „Displaced Persons“ (DPs). | |
| Sie bildeten zusammen mit den Frankfurter Juden, die Ghettos und | |
| Konzentrationslager überstanden hatten, den Nukleus der Nachkriegsgemeinde. | |
| Im Rothschild-Palais sind die DP-Papiere des großen Historikers Arno | |
| Lustiger ausgestellt, der damals nach Frankfurt kam. Daneben steht der | |
| Thora-Schrein aus Zeilsheim. Es finden sich aber auch Erinnerungen an die | |
| wichtigsten Einschnitte für die jüdische Gemeinde der Stadt: der | |
| Auschwitz-Prozess von 1965, der Fassbinder-Skandal 1985 um „Die Stadt, der | |
| Müll und der Tod“, als Frankfurter Juden, an der Spitze Ignatz Bubis, die | |
| Bühne des Theaters besetzten, in dem das antisemitische Theaterstück | |
| aufgeführt werden sollte sowie die jüdische Einwanderungswelle aus der | |
| früheren Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre. Die Bilder, Gegenstände und | |
| Geschichten zeigen auf, wie aus einer kleinen, von den Alliierten behüteten | |
| Gruppe mit ungewisser Zukunft eine selbstbewusste Religionsgemeinschaft | |
| geworden ist. | |
| In Frankfurt existiert noch ein zweites Jüdisches Museum, das Museum | |
| Judengasse. Es befindet sich nahe der von den Nazis zerstörten | |
| Hauptsynagoge und dort, wo zum Ende des 18. Jahrhunderts die Frankfurter | |
| Juden in einer einzigen schmalen Straße in überfüllten Häusern leben | |
| mussten, weil dies die christliche Obrigkeit so wünschte. Dementsprechend | |
| setzt die Ausstellung im Rothschild-Palais mit der Aufklärung ein, in der | |
| die Minderheit zunehmende Gleichberechtigung erfuhr. | |
| ## Die Hinterlassenschaften der Familie Frank | |
| Dafür aber steht der Name Rothschild, einer Familie, die aus dem alten | |
| Ghetto stammte und deren Mitglieder sich im beginnenden Kapitalismus Handel | |
| und Finanzgeschäften zuwandten. Das Museum wird zum Museum im Museum, wenn | |
| man in den historischen Räumen den Spuren der Familie folgt, die auch das | |
| antisemitische Zerrbild vom „reichen Juden“ geprägt hat. | |
| Doch entlassen wird der Besucher nicht mit versöhnlich stimmenden | |
| Ölgemälden, historischen Urkunden und dem wohligen Gefühl gelungener | |
| christlich-jüdischer Symbiose. Sondern mit den Hinterlassenschaften einer | |
| Familie, dessen bekanntestes Mitglied in diesem Jahr 90 Jahre alt geworden | |
| wäre: Anne Frank, dem aus Frankfurt stammenden jüdischen Mädchen, das nach | |
| Amsterdam emigrierte, dort im Versteck Tagebuch führte, verraten wurde und | |
| 1945 in Bergen-Belsen starb. | |
| Da befinden sich auch die gesammelten Werke von Goethe aus dem | |
| Familienbesitz in Reih und Glied, da liegen Postkarten und Briefe. Und dort | |
| steht in einer Vitrine ein gepolsterter brauner Kinderstuhl mit | |
| Schnitzereien, von dem es heißt, Anne hätte besonders gerne darin gesessen. | |
| „Wir sind jetzt“, so lautet das Motto des Jüdischen Museums von Frankfurt | |
| am Main. Zum „Jetzt“ zählt dieser Stuhl unbedingt dazu. | |
| 26 Oct 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Klaus Hillenbrand | |
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