# taz.de -- Jean-Claude Juncker geht: „Auf Europa aufpassen“ | |
> Am Samstag hat der EU-Kommissionschef seinen letzten Tag, ab Dezember | |
> übernimmt Ursula von der Leyen. Davor schwelgt er noch in Erinnerungen. | |
Bild: EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sagt Tschüss: Ab Sonntag ist Ursu… | |
BRÜSSEL taz | Adieu wollte er nicht sagen, auf Wiedersehen auch nicht. Und | |
Tipps [1][für seine Amtsnachfolgerin Ursula von der Leyen] wollte | |
Jean-Claude Juncker schon gar nicht geben. Stattdessen gab der scheidende | |
Chef der Brüsseler EU-Kommission am Freitag in Brüssel ein paar Anekdoten | |
zum Besten. | |
So erzählte er von einer bisher unbekannten Abhör-Aktion aus seiner Zeit | |
als luxemburgischer Ministerpräsident. 1997 war das, Juncker war zu Besuch | |
in Paris und telefonierte mit US-Präsident Bill Clinton. Es ging um ein | |
Problem zwischen den Flugzeugbauern Airbus und Boeing. | |
Das Gespräch war streng vertraulich – doch Frankreichs Staatschef Jacques | |
Chirac hörte mit, was Juncker auf seinem alten Nokia-Telefon sagte. Er sei | |
„sehr überrascht“ gewesen, als Chirac ihn tags drauf auf das Telefonat | |
angesprochen habe, berichtete Juncker nun. | |
„So, wie Du Clinton geantwortet hast, ist genau die Art und Weise, wie die | |
Europäer mit den Amerikanern sprechen müssen“, habe Chirac ihn damals | |
gelobt. Juncker lächelte zufrieden – und schob nach, dass er heute | |
natürlich ein besseres, abhörsicheres Handy habe. | |
## Ein liebender Familientherapeut | |
Zuvor hatte der Luxemburger dem Internetportal Politico Einblicke in sein | |
Denken gewährt. Juncker durfte sogar selbst zur Feder greifen und [2][den | |
täglichen Newsletter gestalten], der sich seiner Nähe zur EU-Kommission | |
rühmt und von Konzernen wie Google gesponsert wird. | |
Europa sei „die große Liebe“ seines Lebens gewesen, schrieb er. Angesichts | |
der vielen Streitigkeiten in der EU habe er sich in seinem Job als | |
Kommissionschef „oft wie Europas Familientherapeut“ gefühlt, „der versuc… | |
alle glücklich zu machen und an Bord zu halten“. | |
Enttäuscht zeigte sich Juncker, [3][dass die EU-Chefs Beitrittsgespräche | |
mit Nordmazedonien und Albanien blockiert haben], obwohl diese alle | |
Kriterien erfüllt hätten. „Unsere Schwäche liegt darin, dass wir unsere | |
Versprechen nicht halten“, schrieb Juncker in Politico. Es war ein | |
Seitenhieb auf Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron, der sein Veto | |
eingelegt hatte. | |
Juncker teilte aber auch gegen Kanzlerin Angela Merkel aus. Nur mit | |
äußerster Kraft sei es ihm 2015 gelungen, den von Merkel und | |
Ex-Finanzminister Wolfgang Schäuble geplanten Rauswurf Griechenlands aus | |
der Eurogruppe zu verhindern. Sieben Monate, 16 Eurogruppen-Treffen und | |
vier Eurogipfel habe ihn das gekostet. | |
## Zeit, das Feld zu räumen | |
Aber der Kampf habe sich gelohnt: „Der Euro und ich sind die einzigen | |
Überlebenden von Maastricht“, erklärte Juncker in Anspielung auf den | |
Maastricht-Vertrag, der den Grundstein für die Währungsunion gelegt hat. | |
Doch nun sei es Zeit, das Feld zu räumen und sich auszuruhen. | |
„Ich bin froh zu gehen“, schloss Juncker – denn der Job des | |
Kommissionspräsidenten sei ein Knochenjob. Am Samstag ist sein letzter Tag, | |
am 1. Dezember übernimmt von der Leyen. Sie soll „auf Europa aufpassen“, | |
sagte Juncker – und ging. | |
29 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Von-der-Leyens-neue-EU-Kommission/!5644792 | |
[2] https://www.politico.eu/juncker-playbook-registration/ | |
[3] /EU-Beitritt-Albanien-und-Nordmazedonien/!5633960 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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