# taz.de -- Islamfeindlichkeit in Deutschland: Der Anti-Muslim | |
> Er ist überzeugt, dass München kein Islamzentrum braucht. Im Laufe der | |
> Jahre hat sich das einstige CSU-Mitglied Michael Stürzenberger | |
> radikalisiert. | |
Bild: Beruft sich gern auf den Koran, seit er einen Parteifreund in Mumbai verl… | |
MÜNCHEN taz | An Michael Stürzenbergers Stand ist es ungewöhnlich still. Es | |
ist Samstagmittag am Münchner Marienplatz. Der Himmel ist grau, die Luft | |
kühl, Touristen und Passanten kreuzen den Platz aus allen Richtungen. Der | |
bayerische Landesvorsitzende der Partei Die Freiheit hat hier seinen | |
Infostand aufgebaut. Mindestens zweimal die Woche macht er mobil, gegen | |
etwas, das bislang nicht mehr ist als eine Idee: das Zentrum für Islam in | |
Europa München, kurz ZIE-M. Und er hetzt ganz unverhohlen gegen den Islam | |
als Religion. | |
Seit April wird Die Freiheit vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet. | |
Dort hat man eigens für Stürzenbergers Partei und die Münchner Gruppe des | |
rechtspopulistischen Blogs Politically Incorrect (PI) eine neue Kategorie | |
aufgemacht: „Islamfeindlichkeit als neue Form des politischen Extremismus“. | |
„Man hört Herrn Stürzenberger ja gar nicht“, sagt eine junge Frau zu den | |
beiden Polizisten, die den Zugang zum Infostand bewachen. Der kleine | |
Pavillon mit den Stehtischen ist mit rot-weiß lackiertem Absperrgitter | |
umzäunt. Die Beamten tragen grüne Overalls. „Nein, der macht gerade Pause�… | |
antwortet einer der beiden Polizisten und lächelt. Er klingt erleichtert. | |
Weil Stürzenberger bisweilen über Stunden per Megaphon gegen den Islam | |
wettert – oft hält er dabei eine Koranausgabe in der Hand –, haben sich | |
immer wieder Anwohner beschwert. Daraufhin hat das Münchner | |
Kreisverwaltungsreferat Auflagen verfügt. Stürzenbergers Reden dürfen nicht | |
mehr lauter sein als 65 Dezibel. Und er muss alle zehn Minuten eine Pause | |
machen. Gibt es keine Auflagen, ist sein Redefluss nur schwer zu stoppen. | |
## Den Koran lesen | |
Blendend gelaunt erscheint Stürzenberger, großgewachsen, schlank, | |
aschblondes Haar, rahmenlose Brille, anderntags zum Interview in einem | |
Restaurant in München-Haidhausen. Er ist freundlich, fast kumpelhaft – bis | |
er auf sein Thema zu sprechen kommt: Die Gefahr, die dem Islam in seinen | |
Augen für westliche Gesellschaften innewohnt. Sein Gesicht wird ernst, der | |
ausgestreckte Zeigefinger zuckt durch die Luft, wenn er die | |
„Tötungsbefehle“ in den Koransuren anspricht. | |
„Jetzt sag’ ich ihnen mal was“, holt er aus, ein Satz, der fast jede sein… | |
Ausführungen einleitet. Und jetzt sagt er Dinge wie: Muslime wollen die | |
westliche Kultur unterwandern, die Weltherrschaft an sich reißen. „Schwarz | |
auf weiß“ stehe das im Koran, man müsse ihn bloß lesen, sagt Stürzenberge… | |
Ein Buch, das er mit Hitlers „Mein Kampf“ vergleicht. Und den Islam mit dem | |
Nationalsozialismus. Er, Stürzenberger, agiere im Geiste der | |
Widerstandsbewegung der Weißen Rose. Nach wenigen Minuten ist klar, was | |
Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) unlängst dazu bewog, den | |
Mann einen „Hassprediger“ zu nennen. Was hat Stürzenberger bloß so wütend | |
gemacht? | |
Der 49-Jährige beantwortet diese Frage so: „Es ging am 11. September los.“ | |
Nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York habe er | |
fassungslos vor dem Fernseher gesessen und dabei erfahren, dass die | |
Attentäter in ihren Testamenten Koranverse zitieren. Er kaufte sich das | |
Buch und las darin. „Dann war alles klar.“ | |
Stürzenberger arbeitete damals als Journalist. Sein Studium der Politik und | |
Geschichte in München hat er nicht zu Ende geführt. „Ich hatte drei Jobs | |
gleichzeitig“, erinnert er sich. Unter anderem war er Sportreporter beim | |
„Bayern Journal“ der Sender RTL/Sat1. | |
## Parteifreund bei Terrorangriff verloren | |
Einer der schon damals mit Stürzenberger zusammenarbeitete, ist Marian | |
Offman, der seit 2002 für die CSU im Münchner Stadtrat sitzt. | |
„Stürzenberger war früher Sportreporter, ein glühender Anhänger von 1860 | |
München, der oft im Fußballstadion war, um von dort zu berichten.“ Früher | |
seien sie mal per Du gewesen, sagt Offman, der auch Vorstandsmitglied der | |
Israelitischen Kultusgemeinde in München ist. „Jetzt nicht mehr.“ | |
Irgendwann, so Offman, habe Stürzenberger begonnen, antiislamische E-Mails | |
zu verschicken. „Ich habe versucht, ihn davon abzubringen.“ | |
2008 dann geschah etwas, das Stürzenberger offenbar weiter radikalisierte. | |
Ralph Burkei, Schatzmeister der Münchner CSU, Vizepräsident des TSV 1860 | |
und Chef des „Bayern-Journals“, kam am 26. November 2008 bei den Anschlägen | |
von Mumbai ums Leben. | |
Burkei war als Tourist im Taj-Mahal-Hotel in Mumbai abgestiegen, das die | |
Terroristen attackierten. Als er versuchte, über die Fassade zu flüchten, | |
wurde er bei einem Sturz auf das Vordach schwer verletzt und verstarb kurz | |
darauf. Die ganze Zeit über stand Burkei dabei mit seinen Parteifreunden in | |
München per SMS in Kontakt. „Das hat sich eingereiht in meine Erfahrungen | |
mit dem Islam“, sagt Stürzenberger heute. | |
Erst suchte er in der Münchner CSU nach Gesinnungsgenossen. Marian Offman | |
erinnert sich an ein „totalitäres Auftreten“ Stürzenbergers „mit lautem | |
Geschrei“ im Fachausschuss Integration. „Ich habe vieles versucht, aber in | |
der CSU hat man mich nur ignoriert“, sagt Stürzenberger. Er trat im Mai | |
2011 aus der CSU aus und wenig später in die Partei Die Freiheit ein. Dann | |
fällt ihm noch etwas ein: „Vor seiner Abreise nach Mumbai habe ich Burkei | |
noch ein Buch zum Lesen mitgegeben. Der wusste ja nichts über den Islam.“ | |
## Mahner oder Spinner? | |
Stürzenberger sieht sich als Mahner, als Berufener, der seine Mitmenschen | |
wachrütteln und vor einer von islamischen Schwertern und Flammen bedrohten | |
Zukunft bewahren will. Das ist seine Variante. Marian Offman, der | |
CSU-Stadtrat, der Stürzenberger schon lange kennt, vermutet, der Eiferer | |
könnte von Verfolgungsängsten geplagt sein. | |
Der Karlsplatz, den die Münchner „Stachus“ nennen, war als Standort für d… | |
ZIE-M angedacht. Längst wurde diese Idee verworfen. Die potenzielle | |
Anschlagsgefahr für eine Moschee dort sei viel zu groß, argumentiert die | |
Stadtführung. Einen neuen Standort gibt es wegen der ungeklärten | |
Finanzierung des Projekts nicht. | |
All das ignoriert Stürzenberger. „Keine Moschee am Stachus“ steht in dicken | |
roten Buchstaben auf dem Rand des Pavillons, der seinen Infostand | |
überdacht. Daneben in Grau mehrere Kuppeln mit Halbmond und zwei Minarette, | |
durchgestrichen mit einem dicken roten X. | |
Seit Oktober 2011 sammelt Die Freiheit Unterschriften, Stürzenberger will | |
ein Bürgerbegehren initiieren. Die MünchnerInnen sollen abstimmen, ob es | |
eine Moschee geben soll oder nicht – auch wenn noch gar nicht feststeht, ob | |
die Realisierung des Projekts je zustande kommt. 34.000 Unterschriften sind | |
für ein Bürgerbegehren nötig. Wie viele Stürzenberger schon genau zusammen | |
hat, weiß er angeblich nicht. „Über 30.000“, behauptet er auf Nachfrage. | |
„Das hat er auch vor einem halben Jahr schon gesagt“, gibt Offman zu | |
bedenken. | |
## Zur Rede gestellt | |
Bei der Stadtverwaltung vermutet man hinter der Unterschriftenaktion eher, | |
dass es Stürzenberger um die Adressen geht. Und darum, bei der Kommunalwahl | |
im März 2014 einen Sitz im Münchner Stadtrat zu ergattern. „Eine bösartige | |
Unterstellung“, sagt Stürzenberger. | |
Die junge Frau, die sich am Marienplatz langsam zu Michael Stürzenberger | |
vorwagt, ist Amira Farid. Sie will ihren echten Namen nicht in der Zeitung | |
lesen, weil der rechtspopulistische Blog PI Einträge über kritische | |
Aktivisten mit Bild veröffentlicht. | |
Amira Farid ist gekommen, um Stürzenberger zur Rede zu stellen. Die | |
22-Jährige ist in München geboren. Ihr Vater stammt aus Ägypten, die Mutter | |
aus Deutschland. Farid studiert Orientalistik an der LMU in München und | |
engagiert sich in der Jungen Islamkonferenz. „Mit dem Islam“, sagt sie, | |
„kenne ich mich aus.“ Mit ihrem Wissen will sie Stürzenberger | |
konfrontieren. | |
„Herr Stürzenberger“, sagt Farid und streckt ihm die Hand entgegen. | |
Stürzenberger hält kurz inne, mustert die junge Frau mit dem langen braunen | |
Haar, dann ergreift er ihre Hand und sagt „Herzlich willkommen“. Farid | |
zieht die Hand erschrocken zurück. | |
## Kein Dialog | |
„Ich bin hier geboren, ich glaube nicht, dass Sie das Recht haben, mich | |
willkommen zu heißen.“ | |
„Alle Muslime sind aus unserer Sicht herzlich willkommen, die auf dem Boden | |
des Grundgesetzes stehen, die der Scharia eine Absage erteilen...“ | |
„Was hat die Moschee mit der Scharia zu tun?“ | |
Stürzenberger redet weiter: „...und die weiterhin eine Absage an die | |
frauenunterdrückenden Verse des Korans erteilen, die in Befehlsform | |
gehalten sind, sowie dem Gewalt- und Tötungsbefehl, die im Koran stehen.“ | |
Amira Farid hebt mehrfach zu einer Erklärung an, dass die überwiegende | |
Mehrheit der Muslime nichts davon anstrebe. „Das hat doch keinen Sinn“, | |
sagt sie und lässt Stürzenberger stehen. | |
Die Münchner Stadtverwaltung setzt nicht auf Dialog. Sie verteilt | |
Postkarten, die die BürgerInnen dazu aufrufen, ihre Unterschrift für | |
Stürzenbergers Volksbegehren zurückzunehmen. „Tragen Sie sich aus! Die | |
verfassungsfeindliche Partei namens ’Die Freiheit‘ täuscht Sie!“ steht | |
darauf. | |
Auch eine gemeinsame Erklärung haben die Rathaus-Parteien veröffentlicht – | |
in seltener parteiübergreifender Einmütigkeit. „Mit dem Bürgerbegehren | |
werden von den Initiatoren pauschalisierende, diffamierende und unwahre | |
Behauptungen über die muslimischen Bürgerinnen und Bürger unserer | |
Heimatstadt verbreitet“, steht darin. | |
Stürzenberger sieht sich diffamiert. In seiner Erwiderung, die er als | |
Reaktion auf die Erklärung verschickte, klagt er über die einseitige | |
Berichterstattung der Medien. „Vor was haben sie Angst?“, lautet der letzte | |
Satz in seiner Mail. | |
4 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Marlene Halser | |
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