# taz.de -- Interview mit Militärexperten zur Ukraine: „Wir haben die Minen … | |
> Die Gegenoffensive der Ukraine läuft schleppender als erwartet, räumt | |
> Militärexperte Nico Lange ein – und ärgert sich über Endlosdiskussionen. | |
Bild: Ukrainischen Soldaten in Vremivka an der Front im Donetsk im Juli 2023 | |
wochentaz: Herr Lange, Anfang Juni begann die [1][ukrainische | |
Gegenoffensive]. Wo steht sie jetzt nach zweieinhalb Monaten? | |
[2][Nico Lange]: Es gab ja zuvor sehr unterschiedliche Vorstellungen, wie | |
sie ablaufen könnte. Viele Menschen in der Ukraine und viele ausländische | |
Partner hatten die Hoffnung, dass man mit den westlichen Kampf- und | |
Schützenpanzern und mit dem Gefecht der verbundenen Waffen, also dem | |
abgestimmten Zusammenspiel verschiedener Truppenteile, die | |
Verteidigungslinien der Russen im Süden der Ukraine durchbrechen könnte. | |
Diese Annahme war zu optimistisch. Auch ich selbst war da zu optimistisch, | |
muss ich eingestehen. Wir haben alle die Minenfelder unterschätzt. | |
Wieso das? | |
Diese Felder sind nicht vergleichbar mit jenen, die man etwa aus den 1990er | |
Jahren vom Balkan kennt. Es gibt damit keine Erfahrungen. Sie sind sehr | |
groß, die Minen sind sehr dicht gelegt, teils auch moderne Minen, die etwa | |
an Fahrzeugen haften bleiben und erst später explodieren – vor allem werden | |
diese Felder aber permanent gemanagt. Das heißt, auch während die Ukraine | |
vorzurücken und Schneisen zu räumen versucht, verteilen russische | |
Minenwerfer dort immer neue Minen. Hinzu kommt, dass alles auf offenem | |
Gelände stattfindet, wo man von Weitem gesehen wird. Womöglich braucht es | |
da ganz neue Lösungen fürs Räumen, mit Drohnen und autonomen Systemen. In | |
diese Richtung wird gerade experimentiert. Es gibt aber noch einen anderen | |
Punkt, der westliche Beobachter überrascht hat. | |
Und zwar? | |
Die Ukraine kämpft nicht so, wie sich das manche mit dem Gefecht der | |
verbundenen Waffen erhofft hatten – vielleicht, weil sie es nicht kann, | |
weil die Zeit zum Üben mit den neuen Waffensystemen zu kurz war, vielleicht | |
aber auch, weil viele Ukrainer sich eher auf das verlassen, was sie gelernt | |
haben. Das hat zu sehr kleinen und langsamen Vorstößen geführt. Und, das | |
muss man ehrlich zugeben, auch zu einem gewissen Rätselraten unter | |
Beobachtern. Warum greift die Ukraine ausgerechnet dort an, wo Russland | |
nachgewiesenermaßen die stärksten Verteidigungsstellungen hat? Warum | |
passiert das in so kleinen Formationen, die wie auf dem Präsentierteller | |
angefahren kommen? Es ist eine sehr schwierige Situation. | |
Es gab letzthin aber kleinere Erfolgsmeldungen … | |
In den vergangenen zwei Wochen scheint sich die Situation verbessert zu | |
haben. Die Ukraine macht Fortschritte an zwei Stellen an der Front, im | |
Süden bei den Dörfern Robotyne und Uroschaine. Sie hat sich das mühevoll | |
erarbeitet. Aber wenn man das mit dem Ausgangspunkt der Gegenoffensive | |
vergleicht, reden wir davon, dass man seit Juni 10, vielleicht 15 Kilometer | |
vorangekommen ist. | |
Von dem Versuch, in einen Bewegungskrieg zu kommen, ist man jetzt wieder | |
bei einem Abnutzungskrieg gelandet. | |
Zu Beginn der Offensive hat die Ukraine es mit schnellen Vorstößen | |
probiert, festgestellt, das funktioniert nicht gut, und dann ihre Taktik | |
geändert. Das, was manche Beobachter hier bei uns sagen – „Russland ist | |
sowieso überlegen, es hat alles keinen Sinn, die Sache ist gelaufen“ –, ist | |
für die Ukraine einfach keine Option. Die große Mehrheit der Menschen in | |
der Ukraine will ihre Landsleute nicht unter Folter und Unterdrückung | |
zurücklassen. Deswegen versucht man, irgendwie auch ohne Luftüberlegenheit | |
und trotz der Minenfelder voranzukommen. Man hat sich jetzt auf eine | |
langsame Vorgehensweise verlegt, um zunächst die russische Logistik zu | |
schwächen und die russische Artillerie Schritt für Schritt zu dezimieren, | |
auch die Kampfhubschrauber, damit Durchbrüche später einfacher werden. Das | |
führt aber dazu, dass die politische Erwartungshaltung und die militärische | |
Realität nicht mehr zusammenpassen. | |
Wie meinen Sie das? | |
Weil das jetzige Vorgehen der Ukraine langsam und mühevoll ist, wird die | |
Offensive sich ins nächste Jahr hineinziehen. Die politische | |
Erwartungshaltung bei vielen war aber: Da gibt es jetzt einen schnellen | |
Durchbruch, dann verändert sich die Situation, dann kommen Verhandlungen, | |
dann gibt es einen Waffenstillstand und Frieden. Jetzt muss sich die | |
Erkenntnis durchsetzen, dass alles viel länger dauert. | |
Wie ist die Lage auf der Krim? Die wurde in den vergangenen Wochen immer | |
wieder mit Raketen und Drohnen angegriffen. | |
Die Ukraine attackiert dort Munitionsdepots, militärische Einrichtungen und | |
Nachschublinien. [3][Auch die Brücken sind ja legitime Ziele], weil die | |
Krim ein wichtiges Aufmarsch- und Versorgungsgebiet der russischen Armee | |
ist. Es geht im Moment nicht darum, die Krim militärisch zu erobern, auch | |
wenn die Ukraine das immer wieder hochhält, sondern darum, die russische | |
Logistik zu schwächen. Und das gelingt auch. Die Lage auf der Krim ist | |
angespannt, wenngleich Russland sich bemüht, das zu übertünchen. Über die | |
Brücken läuft nur noch wenig Verkehr. Züge rollen gar nicht, das führt | |
teils schon zu Treibstoffmangel. | |
Neben der Bedeutung für die russische Logistik hat die Halbinsel auch einen | |
hohen symbolischen Wert. | |
Sie ist ein psychologischer Druckpunkt bei Wladimir Putin, auch für die | |
russische Öffentlichkeit generell. Putin kann es sich nicht leisten, sie zu | |
verlieren. Die politisch interessante Frage ist, was passiert, wenn die | |
Zugänge zur Krim ganz zerstört werden und eine Versorgung kaum noch möglich | |
ist. Dann läuft die Zeit gegen Russland. Aber wird dieser Druck ausreichen, | |
damit eine ernsthafte Verhandlungsbereitschaft entsteht, die es bisher ja | |
nicht gibt? | |
Deutschland zögert unterdessen, ob es der Ukraine [4][den Marschflugkörper | |
Taurus] mit bis zu 500 Kilometern Reichweite liefern soll. | |
Natürlich wäre es wichtig, dass die Ukraine bei den Marschflugkörpern | |
Nachschub bekommt. Großbritannien und Frankreich liefern diese ja schon. | |
Deutschland sollte auch seinen Anteil leisten. Aber man muss auch sagen: So | |
wie wir die Debatte über einzelne Waffensysteme in Deutschland aufladen, | |
entsteht immer der Eindruck, jetzt kommt der große Gamechanger. Den gibt es | |
aber nicht. Es gibt nicht die eine Waffe, die alles entscheidet. Die | |
Ukraine braucht genauso dringend große Mengen Artilleriemunition. Da | |
könnten wir als große Industrienation viel mehr tun. Außerdem braucht sie | |
auch mehr Drohnen, Drohnenabwehr, Minenräumfahrzeuge. Stattdessen wird mit | |
der Taurus-Diskussion die Debatte von der Ukraine weggeführt. | |
Inwiefern? | |
Es geht dann mehr darum, wer in Berlin was dazu gesagt hat, wer mit wem | |
dafür ist, wer sich dagegenstellt. Diese Diskussion gibt es ja, weil ein | |
Teil der an der Debatte Beteiligten doch im Grunde immer noch auf dem | |
Standpunkt steht: Wenn man keine Waffen geliefert hätte, wäre das viel | |
besser gewesen. Wir sind eigentlich in diesem Grundkonflikt stehen | |
geblieben. In anderen westlichen Ländern sehe ich das nicht so, dass man in | |
einem Endloskreis immer wieder die alten Argumente wiederholt. | |
18 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Offensive-gegen-Russland-Besatzung/!5947681 | |
[2] /Vertrauter-von-Kramp-Karrenbauer/!5591597 | |
[3] /Ukraine-attackiert-Krim-Bruecke/!5944884 | |
[4] /Marschflugkoerper-fuer-die-Ukraine/!5949940 | |
## AUTOREN | |
Jan Pfaff | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Ukraine | |
Ukraine-Krim-Krise | |
Schwere Waffen | |
wochentaz | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Ukraine-Konflikt | |
Rüstungspolitik | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ukrainische Gegenoffensive: Unterwegs auf vermintem Gebiet | |
Die ukrainische Armee hat die erste russische Verteidigungslinie | |
durchbrochen. Geht ihre Gegenoffensive nun schneller voran? | |
Militäranalyst zur Offensive der Ukraine: „Schuld hat nicht nur der Westen“ | |
Der Militärexperte Franz-Stefan Gady berät Regierungen in den USA und | |
Europa. Er erklärt, welche Waffen die Ukraine in diesem Krieg braucht. | |
18 Monate Krieg in der Ukraine: 315 Quadratkilometer in 80 Tagen | |
Wo steht die Gegenoffensive der Ukraine? Und wie groß ist der | |
Materialverbrauch? Ein Überblick über die wichtigsten Frontabschnitte. | |
Krieg gegen die Ukraine: Kampfjets für Kyjiw | |
Die Niederlande und Dänemark sagen der Ukraine zu, Flugzeuge des Typs F-16 | |
zu liefern. Zuvor hatten die USA grünes Licht gegeben. | |
+ + + Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Sieben Tote in Tschernihiw | |
Das russische Militär hat laut Ukraines Präsident die Uni und das Theater | |
der Stadt bombardiert. Selenskyj ist zu Besuch in Schweden, und Putin | |
trifft seine Generäle. | |
Israelisches System für Deutschland: USA stimmen Raketenabwehr-Deal zu | |
Die USA haben den Export israelischer Defensivsysteme vom Typ Arrow an | |
Deutschland gebilligt. Es soll der größte Rüstungsdeal in Israels | |
Geschichte sein. | |
Russische Angriffe in der Westukraine: Luftalarm und Stille in Luzk | |
Nach Raketeneinschlägen aus Russland sind im Westen der Ukraine drei | |
Menschen gestorben. Marschflugkörper trafen eine schwedische Fabrik. | |
Marschflugkörper für die Ukraine: Ringen um Taurus | |
Das politische Berlin diskutiert weiter über eine mögliche deutsche | |
Lieferung von Marschflugkörpern an Kyjiw. Kanzler Scholz bleibt | |
zurückhaltend. |