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# taz.de -- Ihme-Zentrum in Hannover: Der geborstene Gigant
> Investor Lars Windhorst lässt das Ihme-Zentrum in Hannover weiter
> verfallen. Nun zieht die Stadt als Mieterin aus. Wer kann den Koloss noch
> retten?
Bild: Ein Stadtteil aus Beton: das Ihme-Zentrum im Herzen Hannovers
Nun hat also selbst die Stadt Hannover die Geduld verloren: Sie kündigt
ihre Mietverträge, zieht ihre Büros leer, dreht dem aktuellen Investor Lars
Windhorst den Geldhahn zu. 2,5 Millionen Euro hätten sie eigentlich in den
nächsten 20 Jahren jedes Jahr zahlen sollen. Doch dazu hätte es bei der
Sanierung des Ihme-Zentrums einen sichtbaren Fortschritt geben müssen.
Das Ihme-Zentrum in Hannover ist alles Mögliche: ein Lost Place und
Abenteuerspielplatz, eine perfekte Kulisse für Tatortdrehs, ein Denkmal für
städteplanerischen Größenwahn, ein Tummelplatz für Kreative, ein Elends-
und ein Nobelviertel, ein Mahnmal für den Irrglauben an den
Wunder-Investor, ein Schandfleck für die einen und ein geliebtes Betonnest
für die anderen, ein Drama mit unendlich vielen Akten.
Natürlich gibt es das in vielen Städten: irgend so ein Multifunktionsdings
aus Shopping-Mall plus Arztpraxen und Büros plus Wohnungen, das schon lange
nicht mehr recht funktioniert und von einem Investor an den nächsten
verscherbelt wird. Aber nirgendwo hat das so gigantische Ausmaße wie in
Hannover.
Hier ist das ein kleiner Stadtteil in privaten Händen, der vor sich
hinrottet, mitten im Herzen der Stadt. 550 Meter lang schlängelt sich der
Komplex am Fluss entlang. Heimat für immer noch circa 1.500 Menschen, von
den 806 Wohnungen steht kaum eine lange leer. Nur das Sockelgeschoss, die
zweistöckige Tiefgarage und die Ladenpassage, die sich durch den kompletten
Komplex zieht, bröckeln vor sich hin.
Es sieht ein bisschen aus wie ein Raumschiff, dem beim Aufsetzen die
Unterseite kaputt gegangen ist. Es gibt einzelne Stellen, da sieht es aus
wie nach einem Bürgerkrieg oder in Beirut nach der Explosion im Hafen.
Geborstene, abgebrochene Betonkanten, aus denen vor sich hinrostende
Eisenträger ragen, bedeckt von Taubendreck.
Das Raumschiffartige gehört allerdings zum Plan. Als „Stadt in der Stadt“
war das Ganze in den 60er-Jahren konzipiert worden, die Grundsteinlegung
erfolgte 1971. So stellte man sich damals die Stadt der Zukunft vor. Im
Grunde sollte man als Bewohner mit dem Auto in die Tiefgarage fahren und
den Komplex dann lange nicht mehr verlassen müssen. Leben, wohnen,
arbeiten, einkaufen – alles sollte hier stattfinden, fußläufig erreichbar
sein, hochverdichtet wie es im Stadtplanersprech hieß.
Und eine Zeit lang sah es tatsächlich so aus, als könnte das funktionieren.
Von den Eigentumswohnungen war die Hälfte schon verkauft, bevor sie gebaut
waren. Große Ankermieter wie Kaufhof, Huma und Saturn-Hansa lockten viele
Menschen in die Passage. Es gibt Bilder aus diesen Jahren: Kinder, die im
Springbrunnen plantschen und Eis essen, Auftritte von Schlagersängern.
Was nicht bedeutet, dass der Bau nicht von Anfang an umstritten gewesen
wäre. Zu gigantisch, zu klotzig, zu verwinkelt, mahnten manche. „Klotz“ war
auch der Codename, den die RAF-Mitglieder für ihre konspirative Wohnung
hier verwendet haben sollen. Die wurde 1978 ausgehoben, da waren die
Terroristen aber längst weg. Legendär auch der Ausspruch des damaligen
Stadtbaurates Hanns Adrian, der vor dem Monstrum warnte und dann selber
einzog. „Der beste Ort zum Wohnen in Hannover, wenn man das Ihme-Zentrum
nicht sehen will, ist das Ihme-Zentrum.“
## Zwei-Klassen-Komplex
Der Blick nach draußen ist allerdings immer noch ein Argument. Jedenfalls
für die zahlreichen Fans, die das Zentrum auch noch hat. Tatsächlich hat
man vor allem von den Eigentumswohnungen an der Flussseite einen schönen
Blick auf die Ihme und die Innenstadt.
Den möchte auch Karin Menges nicht missen. Die Apothekerin nennt eine
zauberhafte Maisonette-Wohnung auf zwei Ebenen ihr Eigen, zu der allein
vier Balkone gehören. Auf einem hat sie eine Fass-Sauna installiert, aus
der man auf die Kirchtürme der Stadt blickt. Regelmäßig führt sie in- und
ausländische Besucher auf verschlungenen Wegen durch das Zentrum und
schwärmt für die Architektur und die unterschiedlichen Grundrisse, die man
sich damals ausgedacht hat. Es gibt Wohnungen, die sind wie kleine
Reihenhäuser angelegt mit offenen Galerien zum Wohnzimmer, zusammengelegte
Singlewohnungen, großzügige Penthouses. „Hier hat jede Wohnung etwas
Besonderes“, sagt sie. Wobei der Weg dahin oft scheußlich ist, endlose,
bunkerartige Gänge, Treppenhäuser und Flure ohne Tageslicht.
Auch die Betonarchitektur fasziniert immer noch viele, obwohl diese Art von
Brutalismus nur wenige Jahre lang wirklich modern und immer umstritten war.
Wobei man ja immer wieder betonen muss: Brutalismus kommt nicht von „brutal
hässlich“ wie viele meinen, sondern vom französischen Wort für Sichtbeton,
beton brut.
Dessen Anblick bildet an einigen Ecken einen reizvollen Kontrast zur
Flusslandschaft und den umgebenden Grünflächen. Aber längst nicht an jeder.
Das Ihme-Zentrum hatte von Anfang an auch Züge einer Klassengesellschaft.
Hinten am Fluss die schönen und erstaunlich ruhigen Eigentumswohnungen, an
der Straßenseite die Hochhaustürme mit Sozialwohnungen und
Studentenwohnheim. Vor allem der Sozialwohnungsblock galt von Anfang an als
Problemfall. Da fielen schon einmal Fernseher aus den Fenstern, von
Drogenrazzien, Wohnungsprostitution und Gewalttaten wurde getuschelt.
Allerdings ist selbst an den hässlicheren und lauteren Ecken des
Ihme-Zentrums die Lage eigentlich unschlagbar: Es grenzt direkt an das
In-Viertel Linden, das Stadtzentrum ist zu Fuß oder mit dem Rad in wenigen
Minuten erreichbar, an jeder Ecke fahren Straßenbahnen und Busse.
Alle zehn bis 20 Jahre gründet sich aus den Reihen trotziger Anwohner und
zugezogener Kulturschaffender eine Bürgerinitiative, die versucht, dem
Koloss [1][neues Leben einzuhauchen]. „Zukunftswerkstatt“ heißt die
aktuelle. Das Problem ist: Es ist nicht so, dass es hier an guten Ideen
mangelt. Es mangelt eher an dem nötigen Geld.
Die Eigentumsverhältnisse sind ein Albtraum. Es gibt kleine
Eigentümerversammlungen und große Eigentümerversammlungen und todsicher
immer jemanden, der blockiert. Lange versuchten verschiedene Initiativen
deshalb etwas an den Teilungserklärungen der 70er-Jahre zu ändern.
Vergeblich, irgendjemand klagte immer.
Ende der 90er-, Anfang der 2000er-Jahre begann man zumindest die
Gewerbeflächen, die vorher auch in verschiedenen Händen gewesen waren,
zusammenzuführen. Im Vergleich zu den nun überall stehenden Einkaufszentren
und Shopping-Malls wirkte vor allem die Ladenpassage immer armseliger und
muffiger, sie war ja auch nicht einmal durchgehend überdacht.
## Im Betonmonster
Bei den umfangreichen Büroflächen retten die Stadt und öffentliche
Unternehmen den Koloss vor dem Untergang: Ämter, die Stadtwerke-Tochter
Enercity, die NordLB. Auch hier wurden allerdings mit den kommenden Jahren
ein immer höherer Sanierungsbedarf sichtbar. Dafür braucht man große
Investoren, keine kleinkrämerischen Teileigentümer.
Der Erste in dieser langen Reihe hieß Engels und legte große Pläne vor, mit
viel Glas und einer neuen Öffnung zum Stadtteil. Auch das war nämlich so
ein Problem dieser Raumschiff-Planung: In die Ladenpassage gelangte man
immer nur über Aufgänge oder Rolltreppen, als müsste man sich von dem
Betonmonster verschlucken lassen.
Auf der Straßenebene zeigt sich das Zentrum abweisend, da sind nichts als
Lieferzonen und Tiefgarageneinfahrten. Auch zum Fluss hin schottet sich der
Bau ab: Da war zwar irgendwann einmal ein Yachthafen geplant, der wurde
aber nie gebaut, genauso wenig wie die U-Bahn-Linie bis hierher. Einen
Zugang zum Ufer gibt es nicht. Damals vielleicht kein Wunder: Das Zentrum
entstand auf einer Industriebrache, der Fluss war lange Zeit zum Baden eher
ungeeignet.
Doch aus dem Traum aus Glas und Stahl wurde nichts, 2006 gingen die Anteile
von Engels an den nächsten Investor, die amerikanische Carlyle-Group, die
noch ein bisschen weiter zurückbauen und aufreißen ließ, bevor ihr die
Finanzkrise ab 2008 so zusetzte, dass sie die zuständigen Tochterfirmen
[2][in die Pleite rutschen ließ].
Die Anteile wurden zwangsversteigert, fanden aber erst im zweiten Anlauf
einen neuen Besitzer. Jahrelang war damit Stillstand auf der
Riesenbaustelle. 2015 übernahm Intown, eine Immobilieninvestmentfirma mit
Gesellschaftern aus Zypern und Israel, die vor allem deshalb in die
Schlagzeilen geriet, weil 2017 zwei ihrer Hochhauskomplexe in Wuppertal und
Dortmund wegen akuter Brandschutzmängel geräumt und hunderte von Mietern
durch die betroffenen Städte anderweitig untergebracht werden mussten.
Intown verkaufte seine Anteile am Ihme-Zentrum 2019 überraschend an eine
der zahlreichen Tochterfirmen von Lars Windhorst, der seine
Unternehmensgruppe mittlerweile Tennor nennt, damals hieß sie noch
Sapienda.
Windhorst hat eine lange Unternehmergeschichte hinter sich, inklusive
spektakulärer Pleiten und Gerichtsverfahren. Er galt einmal als
Unternehmerwunderkind, weil er schon mit 16 Jahren ins Computergeschäft
einstieg. Daraufhin wurde er von Helmut Kohl auf Asienreisen mitgenommen,
worin sein erstes internationales Firmenkonglomerat wurzelt. Aber auch die
erste große Pleite im Zuge der Asienkrise und dem Platzen der Dotcom-Blase.
Doch er rappelte sich wieder auf, machte weiter. 2019 geriet er mit dem
Kauf von Anteilen am Berliner Fußballverein Hertha BSC erneut in die
Schlagzeilen. Im gleichen Jahr erwarb er das Ihme-Zentrum. Und in beiden
Fällen ähnelt sich der [3][Ärger], der dann folgte: Immer wieder gab es
Unruhe, wurden große Zahlungen zugesagt, die dann nicht pünktlich oder nur
scheibchenweise ankamen.
In Hannover war man erst einmal erleichtert, weil sich Windhorst – im
Gegensatz zu den gesichtslosen ausländischen Investoren vorher – zumindest
blicken ließ. Er lief durchs Rathaus, schüttelte Hände, beantwortete
Fragen. Und machte große Versprechungen: Betonsanierung im Sockelgeschoss,
neue Fassaden, Mieter aus Handel und Gewerbe, die angeblich kurz vor der
Vertragsunterzeichnung standen.
Doch die vertraglich vereinbarten Baufortschritte wollten sich nie
einstellen. Die meiste Zeit über tummelten sich nicht einmal genug Arbeiter
auf der Dauerbaustelle, um das überhaupt zu schaffen. Die Stadt drohte, die
Stadt forderte Informationen, die Stadt kassierte Strafzahlungen. Nichts
davon nutzte etwas. Nun zieht sie also die letzte Karte und macht von ihrem
Sonderkündigungsrecht Gebrauch. Damit schwindet allerdings auch ihre letzte
Einflussmöglichkeit.
Spannend wird, wie Windhorst nun reagiert. Der Spiegel deckte schon im
vergangenen Jahr auf, dass er hohe Grundschulden auf das Ihme-Zentrum hat
eintragen lassen. Er nutzte die Immobilie also vermutlich, um frisches
Kapital locker zu machen. Einen Weiterverkauf erleichtert das nicht.
Einige der unermüdlich Engagierten aus dem Ihme-Zentrum wünschten sich
sogar, dass Windhorst die fürs Ihme-Zentrum zuständige Projektgesellschaft
pleitegehen lässt. Das, so glauben sie, könnte den Weg freimachen für eine
[4][„hannoversche Lösung“]. Für eine solche hat beispielsweise der
Ex-Umweltdezernent der Stadt, Hans Mönninghoff (Grüne), erst jüngst wieder
Werbung gemacht. Im Verbund mit Architekten, Stadtplanern, Künstlern und
Bewohnern wünscht er sich, dass zur Abwechslung endlich einmal einheimische
Investoren einsteigen. Wenn man die Wege und einen Teil der bisherigen
Gemeinschaftsflächen zu öffentlichen Flächen umwidmet, glaubt er, könnte
man sogar öffentliche Fördermittel locker machen. Dann müsste man das
Ihme-Zentrum nämlich endlich als das behandeln, was es ist: ein
sanierungsbedürftiger Stadtteil und kein privates Bauwerk.
Wenn man dann noch einen Teil der Büros in Wohnungen verwandelt, könnte
sich das in Zeiten des knappen Wohnraumes doch sogar lohnen, hoffen sie.
Und auch wenn der Traum vom Einkaufszentrum ausgeträumt ist, könnte man
immerhin zukunftsträchtiges Kleingewerbe (Start-ups! Irgendwas mit
3-D-Druck!), einen Logistikhub und Dienstleister aus dem Gesundheitssektor
ansiedeln.
Die Stadt reagiert auf solche Vorstöße erst einmal verhalten. Sie hat
natürlich auch viel größere Sanierungsgebiete am Bein, in Stadtteilen, wo
viel mehr auf der Kippe steht als im dann doch vergleichsweise kleinen
Ihme-Zentrum, wo eine gutbürgerliche Klientel verzweifelt versucht, ihre
Altersvorsorge zu retten.
„Einfach abreißen“ wie es in Straßenumfragen immer mal wieder gefordert
wird, kann man das Ding allerdings auch nicht. Nicht nur, weil dem die
Eigentümerstruktur entgegen steht. Sondern auch, weil niemand da ist, der
die horrenden Kosten dafür übernehmen würde.
Als „größtes gegossenes Betonfundament Europas“ wurde der Bau damals
gepriesen, bis heute zählt der Klotz zu den Top Ten der größten
zusammenhängenden Gebäude Deutschlands (jedenfalls, wenn man die Nutzfläche
zu Grunde legt). Betoniert für die Ewigkeit. Unter Denkmalschutz steht er
allerdings nicht: Dazu wurde über die Jahre zu viel daran herumgemurkst.
4 Apr 2023
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[4] https://www.ihmezentrum.info/
## AUTOREN
Nadine Conti
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