# taz.de -- IG-Metall fordert eine Vier-Tage-Woche: Corona killt den Lohnausgle… | |
> Arbeitszeitverkürzung klingt nach Freizeit. Aber wenn sie zur | |
> Krisenbewältigung dient, dann zahlen sie die Beschäftigten. | |
Bild: Die Krise ist da: IG-Metall-Aktion beim Autozulieferer Flamm Aerotec in L… | |
In Zeiten der Hochkonjunktur haben die Gewerkschaften das Thema | |
Arbeitszeitverkürzung nicht auf die Tagesordnung gesetzt – jetzt, in Zeiten | |
der Pandemie, wird aus der schönen Vision vom stressfreien Leben ein | |
Kriseninstrument. Finanziert würde eine mögliche Senkung unter diesen | |
Umständen wohl vor allem von den Beschäftigten. | |
Nicht erst in der Coronakrise gibt es das Bedürfnis, weniger zu arbeiten – | |
etwa, wie von IG-Metall-Chef Jörg Hofmann ins Spiel gebracht, nur an 4 | |
statt an 5 Tagen in der Woche. Der Wunsch, klassische Arbeitszeitmodelle | |
aufzubrechen, ist in der Gesellschaft groß, sagt Claus Michelsen, Leiter | |
der Abteilung Konjunkturpolitik beim Deutschen Institut für | |
Wirtschaftsforschung Berlin (DIW). Unternehmen sind durchaus offen dafür. | |
„Eine Flexibilisierung finden auch die Arbeitgeber gut“, ist er überzeugt. | |
Die Frage ist aber, ob das bei vollem, weitgehendem oder ohne Lohnausgleich | |
geschieht. „Es gibt derzeit in den Unternehmen sehr wenig Luft für einen | |
großen Ausgleich“, sagt der Konjunkturexperte. Viele Firmen sind aufgrund | |
der Coronakrise in extremen Schwierigkeiten, haben Rücklagen aufgebraucht | |
und blicken in eine unsichere Zukunft. Sie fürchten um ihre | |
Wettbewerbsfähigkeit, wenn sie die Arbeitszeit senken, die Löhne und | |
Gehälter aber nicht. | |
Von Gewerkschaftsseite wird dagegen oft vorgebracht, dass die Produktivität | |
der Beschäftigten steigt und sie deshalb einen vollen Lohnausgleich | |
verdienen. Tatsächlich hat die Arbeitsdichte in vielen Branchen in den | |
vergangenen Jahren enorm zugenommen – vor der Krise. Jetzt ist die Lage | |
anders. | |
Die aktuell [1][enorme Verbreitung der Kurzarbeit] zeigt, dass zurzeit sehr | |
viel Arbeitszeit von Unternehmen nicht benötigt wird, erklärt Michelsen. | |
Mit Kurzarbeit können Betriebe, allerdings zeitlich befristet, immerhin | |
Kündigungen vermeiden. „Perspektivisch kann die Reduzierung der Arbeitszeit | |
sinnvoll sein, damit die Unternehmen ihre Belegschaften zusammenhalten | |
können“, sagt Michelsen. Sie würden damit Kosten sparen, etwa für | |
Sozialpläne, mit denen Entlassungen sozial abgefedert werden. Vor allem | |
würden sie verhindern, dass sie in wenigen Jahren wieder händeringend | |
Fachkräfte suchen. „Aufgrund der demografischen Entwicklung ist ein | |
Fachkräftemangel absehbar“, sagt Michelsen. | |
## Ein gutes Mittel, um den Strukturwandel zu begleiten | |
Wie ein Lohnausgleich aussehen könnte, hängt von der jeweiligen Branche und | |
dem Verdienst ab. Der Konjunkturexperte plädiert dafür, zu differenzieren. | |
In der Autoindustrie oder im Maschinenbau ist die wirtschaftliche Lage | |
schwierig, gleichzeitig verdienen die Beschäftigten mit | |
Tarifarbeitsverhältnissen vergleichsweise gut. Anders sieht es [2][in der | |
Pflege oder im Gesundheitssektor] aus. Dort ist die Arbeitsbelastung hoch, | |
die Einkommen sind niedrig. „Hier ließe sich ein Lohnausgleich gut | |
begründen“, sagt Michelsen. Fatal wäre die Senkung von Arbeitszeit und von | |
Bezahlung für Beschäftigte im Niedriglohnbereich. Hier würde der volle | |
Lohnausgleich auch einen Teil der bestehenden Ungerechtigkeit auflösen, | |
sagt er. | |
Jenseits von Krisenzeiten ist die Reduzierung der Arbeitszeit ein gutes | |
Mittel, um den Strukturwandel zu begleiten, sagt Michelsen. Sinnvoll wäre | |
etwa, sie auch für die Weiterbildung zu nutzen. Denn in vielen Branchen | |
werde es aufgrund der Digitalisierung zu erheblichen Umbrüchen kommen. Der | |
Staat könne das begleiten, indem er etwa den Lohnausgleich zahlt. | |
Für ein einzelnes Unternehmen kann die Reduzierung der Wochenarbeitszeit in | |
Krisenzeiten sinnvoll sein, flächendeckend ist sie es dagegen nicht, ist | |
Oliver Stettes überzeugt, Arbeitsmarktexperte des arbeitgebernahen | |
Instituts der deutschen Wirtschaft. Wie bei der Kurzarbeit könnten Betriebe | |
auf diese Weise eine schlechte Auftragslage ausgleichen. „Wenn aber alle | |
die Arbeitszeit um 20 Prozent senken, bedeutet das 20 Prozent weniger | |
Wohlstand“, sagt er. Von einem vollen Lohnausgleich für die Beschäftigten | |
hält Stettes nichts, weil das die Arbeitskosten für die Firmen erhöht. „Das | |
setzt die Unternehmen noch mehr unter Druck.“ | |
18 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
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