| # taz.de -- Homeoffice und Corona: Von Unterwäsche und Schrankwänden | |
| > Die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Arbeitsraum sind schon | |
| > lange aufgeweicht. Ein Gutes hat es: Man lernt die Kolleg*innen neu | |
| > kennen. | |
| Bild: Die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem (Arbeits-)Raum weichen la… | |
| Neulich sagte eine taz-Kollegin in der morgendlichen Zoom-Konferenz: | |
| „Mittlerweile kenne ich mich ganz gut aus in den Zimmern der Kolleg*innen.“ | |
| Wie wahr. Vollgestellte Bücherregale und Schrankwände aus Fichtenholz | |
| wechseln sich ab mit penetrant weißen Wänden. Gerne zu sehen ist auch mal | |
| etwas Kunst auf Rigips. Unterbrochen werden die virtuellen Stillleben nur, | |
| wenn jemand zu sprechen beginnt oder durch das zeitweise Erscheinen | |
| arbeitsferner Silhouetten im Hintergrund. | |
| In diesen Momenten, wo sich Kind oder Haustier kurzfristig in den | |
| Mittelpunkt der Aufmerksamkeit schieben, schwindet nicht nur die | |
| Ernsthaftigkeit der Beteiligten, es weichen auch die Grenzen auf, die den | |
| privaten vom öffentlichen (Arbeits-)Raum trennen. | |
| Dass diese seit der Pandemie immer fließender werden, merke ich auch an mir | |
| selbst. Die Disziplin, die ich mir durch einen gewissen, nicht immer ganz | |
| gesunden Perfektionsdrang antrainiert habe, leidet. Mich jeden Morgen zu | |
| schminken und (manchmal zu) viel Wert auf meine Kleidungswahl zu legen, um, | |
| wie man in meiner österreichischen Heimat sagt, „wie aus dem Schachterl“ | |
| auszusehen, sind längst keine Parameter mehr. | |
| Ja, selbst das tägliche Duschen am Morgen fällt zuweilen aus, besonders, | |
| wenn außer einem Kurzbesuch im nächsten Supermarkt keine | |
| Außerhaus-Aktivitäten geplant sind. Stattdessen findet höchstens noch ein | |
| Wechsel von der Pyjama- zur Jogginghose statt. | |
| ## Wenig Abwechslung, wenig Inspiration | |
| Zugegeben, so bequem das ist, mehr oder weniger gleich aus dem Bett auf den | |
| Schreibtischstuhl zu rollen, mittlerweile ist es doch mühsam geworden. Und | |
| mühsam ist eigentlich noch euphemistisch ausgedrückt. Besonders im | |
| Kulturbereich, der zumindest teilweise meinen Arbeitsbereich bestimmt, | |
| fällt ja nun bekanntermaßen vieles weg. | |
| Das ist nicht nur mühsam, sondern vor allem traurig und in vielen Fällen | |
| existenzbedrohend und fordert bei Kulturschaffenden, aber auch meinen | |
| Kolleg*innen und mir ein Höchstmaß an Kreativität. Dass Letztere durch | |
| wenig In- und Output, durch allzu sehr fehlende Inspiration aus dem Bereich | |
| fernab des privaten Raumes langsam abbaut, ist kein Wunder. So erzählte | |
| eine Kollegin unlängst, dass sie früher in der Redaktion vor allem | |
| Organisatorischem nachgekommen sei, während sie sich fürs Schreiben gerne | |
| in ihre Wohnung zurückzog. | |
| Die räumliche Trennung der Arbeitsbereiche war produktiv, doch ist nun ein | |
| Luxus längst vergangener Tage, dank Corona. Nun, wo alles am heimischen | |
| Schreibtisch erledigt werden muss – die Konferenzen, die | |
| Zeitungsproduktion, das Absprechen und Diskutieren mit den Kolleg*innen | |
| –, gehe alles durcheinander und sie komme kaum mehr zum Schreiben. Mir geht | |
| es ähnlich. | |
| Eine gute Sache hat es, dass wir, die wir täglich in Videokonferenzen | |
| hocken, einander plötzlich anhand der Schrankwände und kuratierten | |
| Heimgalerien erkennen: Die Hemmschwelle sinkt. | |
| ## Homeoffice oder die Entmystifizierung der anderen | |
| Wo ich mich vor Corona als Jungtazlerin versuchte, so unauffällig wie | |
| möglich durch die Gänge der Friedrichstraße 21 zu bewegen, mir jeder Anruf | |
| oder Besuch bei Kolleg*innen am Schreibtisch Herzrasen verursachte, hat | |
| mich das Homeoffice kommunikativer werden lassen. Nun greife ich zum Hörer, | |
| wann immer etwas ist – und das Reden in die Kamera klappt auch schon ganz | |
| gut. | |
| Das mag auch an der Entmystifizierung der anderen liegen. So erzählte mir | |
| F., die bei einem großen Radiosender volontiert, neulich von einer ihr | |
| höhergestellten Kollegin, die bei einer Videokonferenz durch ein Klingeln | |
| an der Tür gestört wurde. Als sie dann aufstand, trug sie nur Unterhose und | |
| Strumpfhose. | |
| Das habe F. deshalb etwas schadenfröhlich werden lassen, weil besagte | |
| Kollegin sonst gerne mal ihre Hierarchiestellung habe raushängen lassen. | |
| Zwar muss man die Kolleg*innen nicht gleich in Unterhose sehen, doch | |
| etwas weniger Schein statt Sein schadet der Zusammenarbeit sicher nicht. | |
| 20 May 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Sophia Zessnik | |
| ## TAGS | |
| Kolumne Berlin viral | |
| Homeoffice | |
| Pandemie | |
| Berlin Kultur | |
| Privatsphäre | |
| Kolumne Berlin viral | |
| Kolumne Berlin viral | |
| Kolumne Berlin viral | |
| Kolumne Berlin viral | |
| Kolumne Berlin viral | |
| Kolumne Berlin viral | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Leben nach den Lockdowns: Völlig aus der Übung | |
| Unser Autor muss wegen Corona soziale Interaktion wieder üben. Obwohl er | |
| seine Freunde vermisst hat, merkt er auch, dass er intoleranter geworden | |
| ist. | |
| Haustier allein zu Haus: Das Jaulen der Coronahunde | |
| Corona-Einsamkeit hat die Tierliebe bei so manchen BerlinerInnen geweckt. | |
| Aber was passiert mit Wuffi, wenn das Leben plötzlich wieder losgeht? | |
| Draußen etwas Neues finden: Kohortencornern in urbanen Nischen | |
| Stille Ecken entdecken in der eigenen Stadt: Unter Brücken, hinter | |
| Denkmälern, unter Vordächern. Das pandemiebedingte Leben verändert den | |
| Blick. | |
| Plasmaspenden während Corona: The Next Best Thing | |
| Fast so gut wie im Kaffeehaus: Im Saal der Blut- und Plasmaspender liegen | |
| und Zeitung lesen, bis die Prozedur beendet ist. | |
| Abwechslung in der Pandemie: Vibratoren für alle Diktatoren | |
| Endlich mal wieder dichtes Gedränge auf den Straßen. Das ging am 1. Mai. | |
| Auch unser Autor hat einiges erlebt, zumindest aus der Ferne. | |
| Improvisation im Baumarkt: Recycling mit MacGyver und Adenauer | |
| Wenn man zum Testen zu faul ist, muss der Erfindergeist ran: Klebeband für | |
| die defekte Brause statt einer neuen aus dem Baumarkt. |