| # taz.de -- Abwechslung in der Pandemie: Vibratoren für alle Diktatoren | |
| > Endlich mal wieder dichtes Gedränge auf den Straßen. Das ging am 1. Mai. | |
| > Auch unser Autor hat einiges erlebt, zumindest aus der Ferne. | |
| Bild: Schaulustig ohne Abstand einzuhalten: Berlin-Neukölln am 1. Mai 2021 | |
| Man vegetiert so vor sich hin in der Lockdown-Tristesse und weiß nicht, wie | |
| sich die Zeit totschlagen lässt und dann gibt es in Berlin plötzlich ohne | |
| Ende Möglichkeiten, mal wieder etwas zu erleben. Fahrrad-, Mieten-, | |
| Querdenkerdemo, es war ja wirklich einiges los an diesem Wochenende. Gerne | |
| wäre ich gleich in der Walpurgisnacht am 30. April auf die | |
| queer-feministische „Take back the night“-Demo gegangen. | |
| Aber dort waren ausdrücklich kein Alkohol, keine Fahrräder und keine | |
| Cis-Männer erlaubt. Warum eigentlich keine Fahrräder? Cis-Männer nicht | |
| erwünscht, das scheint gerade ein feministischer Retro-Trend zu sein. | |
| Bestätigte mir auch eine Freundin. Eine Zeit lang hat man es mit ihnen | |
| versucht, etwas zum Besseren zu wenden, jetzt hat man das aufgegeben. | |
| Natürlich habe ich den Wunsch der Frauen respektiert und bin da nicht | |
| hingegangen. | |
| Dann der 1. Mai: Erst mal ein wenig die Liveticker verfolgen: Die Demo, bei | |
| der das Fahrrad wiederum ausdrücklich erlaubt war, [1][der Radkorso durch | |
| Grunewald], durfte sogar auf der Autobahn A-100 fahren. Bei anderen | |
| Protesten soll die Stimmung dagegen eher so mittelmäßig bis mau gewesen | |
| sein. Und bei den Querdenkern in Lichtenberg war nicht mal ein bekanntes | |
| Gesicht aus Film und Fernsehen mit dabei gewesen, sonst hätte man doch | |
| bestimmt etwas davon erfahren. | |
| ## Live bei Putins Haussender | |
| Beste Demo-Liveberichterstattung bot übrigens Putins Haussender [2][Russia | |
| Today] an mit seinem Youtube-Livestreaming. Warum kriegen deutsche Medien | |
| so etwas eigentlich nicht hin? Gerade während der Pandemie, wenn man sich | |
| zwei Mal überlegt, ob man unbedingt auf Massenveranstaltungen herumrennen | |
| muss, ist so ein Dauerstream eine feine Sache. Am meisten Action versprach | |
| die traditionelle „Revolutionäre 1.-Mai-Demo“ um 18 Uhr. Zuerst hatte ich | |
| mir überlegt, auf diese am geplanten Zielort Oranienplatz zu warten. | |
| Da wäre es mir freilich wie Godot ergangen, die Demo wurde ja bereits in | |
| der Sonnenallee gestoppt und vorzeitig aufgelöst. Faul irgendwo darauf zu | |
| warten, dass der Demo-Karneval endlich an einem vorbeizieht, war die | |
| falsche Entscheidung. Das mussten auch die Massen an Menschen erkennen, die | |
| die Panierstraße säumten. Gleich kommt der Umzug, dachten sich die | |
| Anwesenden, Polizei und Wannen ohne Ende waren ja bereits im Einsatz. Als | |
| dann aber einfach nichts passierte, kam spontan Myfest-Stimmung auf. Vor | |
| den Spätis bildeten sich Schlangen und es wurde sich mit Alk eingedeckt. | |
| Und auf Höhe der Weserstraße gab es eine Spontanparty, bei der getanzt | |
| wurde. | |
| Derweil war bei der „Revolutionären 1.-Mai-Demo“ Flaschenwerfen und „Ganz | |
| Berlin hasst die Polizei“-Skandieren bereits in vollem Gange. Es brannten | |
| auch ein paar Barrikaden, die Hitze der Flammen tat ganz gut, denn es war | |
| ein wenig frisch. | |
| ## Antisemitismus in Neukölln | |
| Leider wurden an der Demospitze „Free Palestine“-Schilder hochgehalten. | |
| [3][Zig antizionistische Gruppen] beteiligten sich beim Marsch durch | |
| Neukölln. „From the river to the sea, Palestine will be free“-Sprechchöre | |
| wurden angestimmt. Bei jeder Querdenker-Demo würden linke | |
| Hobbyrevolutionäre zu Recht das Schwenken von Reichsflaggen kritisieren, | |
| aber mit Antisemitismus in den eigenen Reihen hat man offensichtlich kein | |
| Problem. | |
| Der Zugang zum Görli war beim Nachhauseweg von der Polizei abgesperrt und | |
| zwang zu einem Umweg. Dabei kam die Demo am Ende nicht mal in die Nähe des | |
| Parks. War das also wirklich eine angemessene Maßnahme? Über solche Fragen | |
| denkt man zurzeit ja gerne mal genauer nach. | |
| Wenigstens saß vor dem Humana an der Warschauer Straße eine junge Frau mit | |
| Gasmaske über dem Kopf und sang Playback zur Melodie von DAFs „Mussolini“. | |
| Aber mit geändertem Text. „Vibratoren für alle Diktatoren“, dichtete sie | |
| beispielsweise. Wahrscheinlich war das die politisch interessanteste | |
| Forderung, die an diesem 1. Mai in Berlin zu vernehmen war. | |
| 2 May 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Berliner-MyGruni-Demo-am-1-Mai/!5769304 | |
| [2] /Streit-um-Sender-RT-DE/!5757313 | |
| [3] https://www.youtube.com/watch?v=0VP6zTb807c | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Hartmann | |
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