# taz.de -- Plasmaspenden während Corona: The Next Best Thing | |
> Fast so gut wie im Kaffeehaus: Im Saal der Blut- und Plasmaspender liegen | |
> und Zeitung lesen, bis die Prozedur beendet ist. | |
Bild: Wegweiser zu Blutspendeeinrichtung. Das Blutspendewesen gilt als systemre… | |
Ins Kaffeehaus geht man bekanntlich, um in Gesellschaft allein zu sein. Man | |
ist nicht für sich zu Hause, aber man wird trotzdem in Ruhe gelassen beim | |
Zeitunglesen, Notizenmachen oder Löcher-in-die-Luft-Starren. Leider ist das | |
in Deutschland pandemiebedingt gerade nicht möglich. | |
Ich habe mir darum während der diversen „Lockdowns“ eine neue Angewohnheit | |
zugelegt, die als Ersatz für lange verflossenes Sozialleben dienen soll: | |
Plasma spenden. Einen Nachmittag im Biergarten oder bei Kuchen Kaiser | |
ersetzt das zwar nicht ganz. Aber in Anbetracht der Umstände ist es „the | |
next best thing“. | |
Da Plasmaspenden wegen Corona gerade besonders dringend benötigt werden, | |
wird man als Spender erst mal empfangen wie der Chef. Vor jeder Spende muss | |
man denselben Fragebogen auf einem Touchscreen ausfüllen. | |
Was einen da als Spender disqualifiziert, klingt zum Teil gar nicht so | |
schlecht: Drogen schnupfen. Sex mit mehr als drei Leuten. Oder mit | |
„transsexuellen Personen mit sexuellem Risikoverhalten“ – warum habe ich | |
das eigentlich nicht getan, als man es noch konnte, ohne sich vor | |
Covid-Infektionen zu fürchten? | |
## Fast kommt Kaffeehausstimmung auf | |
Man muss sogar angeben, ob man in der letzten Zeit eine Auslandsreise | |
gemacht habe – schön wär’s, ihr Witzbolde. Auch die Frage, ob man in | |
jüngster Zeit geimpft worden sei, würde man natürlich viel lieber mit Ja | |
beantworten. | |
Danach findet man sich in einem Saal wieder, der an die Balkone im | |
„Zauberberg“ erinnert. In bequemen Liegen lagern bis zu zwei Dutzend | |
Besucher mit Schlauch in der Armbeuge, aus der Blut mit Plasma in eine | |
Zentrifuge, dann Blut ohne Plasma zurück in ihre Arme fließt. | |
Je nach Blutdruck dauert das zwischen 25 und 45 Minuten – Zeit, die taz zu | |
lesen oder für eine ausgedehnte Runde Doomscrolling am Smartphone. Ein | |
formidabler Blick auf die dekonstruktivistisch verformte Fassade des neuen | |
Springer-Gebäudes vervollständigt die Erfahrung. Da kommt doch fast schon | |
Kaffeehaus-Stimmung auf. | |
## Motivation zum Spenden | |
Zum Abschied gibt es 25 Euro „Aufwandsentschädigung“. Weil man Plasma im | |
Gegensatz zum Blut bis zu zweimal pro Woche spenden kann, lässt sich die | |
Firma allerhand einfallen, um einen zur baldigen Rückkehr zu motivieren. | |
Mal gibt es Stempelkarten, mal einen Zehner für zwei Besuche pro Woche, es | |
werden „Spender des Monats“ gekürt und bei Facebook und Instagram | |
vorgestellt – eine regelrechte Gamification des Spendens. | |
Regelmäßige Besucher erhalten irgendwann einen Pumpball in Herzform, für | |
den Fall, dass das Blut mal nicht so richtig fließen will, oder einen | |
„Venenstauer“, der nach der Spende das Pflaster auf dem Einstichloch in der | |
Armbeuge fixiert. Beides ist in den Unternehmensfarben gehalten. Anfang | |
Dezember erhielten alle Blutsschwestern und -brüder einen Adventskalender. | |
Die Lotterie, die neuerdings nach jeder Spende durchgeführt wird, geht mir | |
in einer medizinischen Einrichtung allerdings etwas zu weit. | |
Dass man für seine Körpersäfte bezahlt wird, ist erst mal irgendwie | |
komisch. Aber mein Plasma zirkuliert inzwischen in den Venen von Blutern | |
und Patienten mit Immunschwächen in ganz Deutschland, vielleicht sogar | |
international. | |
Man macht also nichts Unethisches. Und man hat einen Grund, die Wohnung zu | |
verlassen, so lange die Welt weitgehend geschlossen hat. Als Alternative zu | |
den ewigen Spaziergänge auf dem Tempelhofer Feld ist das gar nicht so | |
schlecht – wenn einem ein Piks und eine Kanüle in der Armbeuge nichts | |
ausmachen. | |
18 May 2021 | |
## AUTOREN | |
Tilman Baumgärtel | |
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