# taz.de -- Ungebetene Menschenmeinungen: Harald Martensteins Opinionporn | |
> Insgeheim sehnt sich unser Autor nach Harmonie. Womöglich ist nun doch | |
> endlich mal Zeit für einen gründlichen Social-Media-Detox. | |
Bild: Der zarte Wunsch nach einem gründlichen Social-Media-Detox wächst zu ei… | |
Im Verlauf der Pandemie ist es mir zur morgendlichen Routine geworden, als | |
Erstes Küche, Schrank und Internet von ungebetenen Gästen zu befreien: | |
Motten klatschen, Spacken blocken. Psychohygiene und Schädlingsbekämpfung | |
ähneln einander frappierend, nicht zuletzt in dem verlässlich damit | |
verbundenen Gefühl, dass einem hier etwas unaufhaltsam über den Kopf | |
wächst. Kleidermotten, Mehlmotten, Menschenmeinungen. Immerzu habe ich die | |
unterschwellige Ahnung einer lastenden Sorge, die sich bei näherer | |
Betrachtung doch wieder nur als irgendein Bullshit entpuppt, den irgendwer | |
ins Internet geblasen hat, nicht selten auch ich selber. Die Nerven liegen | |
blank. | |
Denn nur weil ich in diversen Artikeln vehement [1][zur weiteren Spaltung | |
der Gesellschaft aufrufe], heißt das noch lange nicht, dass ich mich nicht | |
insgeheim nach Harmonie sehne. Gerade wer Öl ins Feuer gießt, hat es | |
bekanntlich einfach gerne nur besonders warm. Und schließlich war doch | |
alles nur Satire, höhö – wer regelmäßig „Tatort“ guckt, weiß ja, was… | |
ist: immer haargenau das Gegenteil von Wirklichkeit. | |
Aber langsam bin ich es leid. Ich merke, dass ich mich mit mir selbst nicht | |
mehr wohl fühle. Denn einem Harald Martenstein beim | |
Doing-Martenstein-things zuzusehen und sich von diesem Opinionporn so | |
gewollt wie zuverlässig erregen zu lassen, ist das eine. Aber dass der Puls | |
auch steigt, nur weil liebenswerte Mitmenschen andere Meinungen vertreten, | |
ist eigentlich nicht normal. Das war doch früher nicht so, oder? War ich, | |
waren die anderen, waren wir wirklich die ganze Zeit über schon so scheiße? | |
Es liegt wohl doch an der Seuchensituation. Der Kollege Paul Bokowski | |
bemerkt dazu: „Das gezielte Herunterfahren sozialer Kontakte in Kombination | |
mit der ständigen psychosozialen Belastung macht uns die mühevoll erlernten | |
Kommunikationsskills kaputt.“ Bezeichnenderweise schreibt er das auf | |
Instagram. Auf Facebook würden ihm die dort den Ton angebenden harschen | |
alten Männer und Frauen auf unschöne Weise demonstrieren, wie recht er hat. | |
Kontraproduktive Kraftverschwendung | |
Vor allem erscheint es mir so überflüssig. Denn es gibt so viel Wichtigeres | |
als diese kontraproduktive Kraftverschwendung an Nebenkriegsschauplätze, | |
wie jenem Affentheater neulich um die diktaturmüden Schauspieler, die | |
Merkel eine Aktentasche mit verbalem Sprengstoff unter den | |
Besprechungstisch gestellt hatten. Die meisten Echauffeure hätten sich | |
bestimmt easy auf den größten gemeinsamen Nenner einigen können, [2][dass | |
die Damen und Herren Mimen keine Nazis sind], dass sie nur ihr Bestes | |
gegeben haben und dass das womöglich nicht besonders viel ist. | |
Stattdessen habe ich schon wieder Schaum vorm Mund, sobald ich bloß dran | |
denke. Sich nicht einzumischen, klappt bei mir zwar oft ganz gut, doch was | |
hilft das, wenn an meiner kleinkarierten Krämerseele zugleich das Unbehagen | |
nagt, und ich die Zähne runterknirsche bis zum Kieferknochen. Das ist nicht | |
gesund. | |
Neuerdings habe ich deshalb immer öfter das Gefühl, man müsse jetzt endlich | |
mal abrüsten. Zuerst natürlich die anderen, die sind ja noch weitaus | |
aggressiver und unvernünftiger als ich, die dummen Arschlöcher. Oder sollte | |
ich doch erst selbst in Vorleistung gehen? Der Klügere tut so, als gäbe er | |
nach. Dann tritt er zu. | |
Ach, ich sehne mich so nach Frieden, innerem wie äußerem. In mir schält | |
sich der zarte Wunsch nach einem gründlichen Social-Media-Detox heraus, und | |
wächst nun zunehmend zu einem strammen Entschluss heran, der bereits | |
vorsichtig, aber kühn an der Entscheidung schnuppert: Na, wie riecht das? | |
Gar nicht mal so übel – nach Autonomie, nach Ruhe und, ja, nach echter | |
Freiheit. | |
2 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
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