Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ausflug im Pampersbomber: Aus Versehen SUV-Fahrer
> Mit dem Auto ins Grüne zu fahren verspricht zu Coronazeiten dringend
> nötige Abwechslung. Dumm nur, wenn aus dem Kleinwagen ein protziger SUV
> wird.
Bild: Kein schöner Land im SUV
Seit ich denken kann, habe ich das Bedürfnis, ab und zu meine gewohnte
Umgebung zu verlassen und rauszufahren, dahin, wo es Landschaft, Natur und
Weitblick gibt. Normalerweise benutze ich dafür mein Fahrrad. Aber für eine
längere Radtour war es mir lange noch zu kalt.
Ich entscheide mich kurzentschlossen für eine für mich sehr exotische
Option: Mietwagen. Bei der Abholung trifft mich der Schlag: Ich bekomme ein
Upgrade. Statt des gebuchten Kleinwagens stellt mir die Autovermietung
einen fabrikneuen SUV auf den Hof, Diesel und Allrad.
Ich bin beschämt. Aber der Preis bleibt gleich, ich bin wehrlos und lasse
mich in den lederbezogenen Sitz fallen. Vor meinem geistigen Auge sehe ich
mich um zehn Jahre gealtert, Mitte 30, verheiratet, zwei kleine Kinder;
genau die Lebensphase also, in der man sich einen Pampersbomber zulegt.
Wie komme ich aus der Sache mit einer moralisch weißen Weste wieder raus,
frage ich mich. Es gibt nur eine Möglichkeit: Ich deklariere meinen Trip um
und behandle ihn wie ein soziologisches Forschungsprojekt. Gedanklich
flexibel bleiben, denn wer SUV-Fahrer*innen nicht versteht, versteht die
Gefühlswelt dieses Landes nicht, da bin ich mir sicher. Alle meine
Sinneswahrnehmungen möchte ich aus der Perspektive eines privilegierten
Familienvaters mit erstaunlich gut bezahltem mittleren Managementjob
interpretieren.
## Lenkradheizung grillt die Finger
Es geht gut los: Irgendwo im vierspurigen Berliner Norden wundere ich mich
über meine schwitzenden Hände. Kurz überlege ich, ob es wirklich dieser
völlig absurde SUV ist, der mich derart nervös macht. Dann stelle ich fest,
dass die Ursache für meine gegrillten Finger die Lenkradheizung ist.
Kurz muss ich schmunzeln, doch ich besinne mich und fantasiere eine
Situation herbei, in der so ein beheiztes Lenkrad ungemein praktisch wäre.
Nach dem weihnachtlichen Nadelbaumkauf zum Beispiel. Da werden die Hände
immer so kalt.
Die erhoffte Natur habe ich, seit ich losgefahren bin, nur durch getönte
Scheiben gesehen. Doch der Tag ist noch lang und eine Wanderung immer schön
– ich fahre ins Naturschutzgebiet und bugsiere meinen SUV auf den
Wanderparkplatz.
Am Waldeingang werde ich dann aber aufgehalten, ein Mann sperrt mit
Flatterband den Wald ab. „Sie befinden sich hier im Kerngebiet der
Afrikanischen Schweinepest. Das Betreten der Waldwege ist verboten.“ Ich
zucke enttäuscht mit den Schultern. Pandemien, kenne ich schon. „Ich will
mir eigentlich nur kurz die Beine vertreten“, sage ich. Ob ich hier
vielleicht doch ein bisschen laufen könnte?
Der Mann mustert mich emotionslos. „Sie können den Asphaltweg bis zum
Ruheforst runterlaufen und wieder zurück“, sagt er. Ich schlendere
begeistert los. Am Ruheforst ist es, nun ja, ruhig. 15 Minuten später
brause ich mit meinem SUV wieder davon. Die Natur, denke ich mir dabei, ist
wirklich ein schönes Fleckchen Erde.
## Sorgenvoll in Eisenhüttenstadt
Kurze Stippvisite in Eisenhüttenstadt. Die Kleinstadtjugend marodiert durch
die DDR-Architektur. Basslastiger Pop scheppert aus den tragbaren
Musikboxen und hallt in den magistralenartigen Straßen wider. Ich habe
meine Rolle mittlerweile derart verinnerlicht, dass ich beim Spaziergang
Angst um meinen abseits des Zentrums geparkten SUV bekomme. Wer weiß schon,
auf welche Ideen man mit 16 in Eisenhüttenstadt kommt.
Nachdem ich den SUV wieder in Berlin abgegeben habe, überkommt mich
Erleichterung. Vielleicht sollte ich es doch einfach beim Fahrradausflug
belassen und trotzdem zugeben: Ich bin vielleicht in gänzlich
hedonistischer Manier mit einem viel zu großen Dieselauto völlig
sinnbefreit durch die Brandenburger Landschaft gefahren. Aber immerhin habe
ich überhaupt mal wieder etwas erlebt.
1 Jun 2021
## AUTOREN
Julian Sadeghi
## TAGS
Kolumne Berlin viral
SUV
Brandenburg
Umweltschutz
Eisenhüttenstadt
Kolumne Berlin viral
Gemälde
Kolumne Berlin viral
Kolumne Berlin viral
Kolumne Berlin viral
## ARTIKEL ZUM THEMA
Zurück zum normalen Ausnahmezustand: Die Berlindemie
Einen maßvollen Übergang bekommt Berlin einfach nicht hin. Kaum fallen die
Coronarestriktionen, ist alles fast wie immer, nur halt ohne die Touristen.
Kunst im Impfzentrum: Kein Warten ohne Werbung
Im ehemaligen Flughafen Tegel, jetzt ein Impfzentrum, hängen nun Poster
berühmter Gemälde. Verziert sind sie etwas eigenwillig.
Draußen etwas Neues finden: Kohortencornern in urbanen Nischen
Stille Ecken entdecken in der eigenen Stadt: Unter Brücken, hinter
Denkmälern, unter Vordächern. Das pandemiebedingte Leben verändert den
Blick.
Plasmaspenden während Corona: The Next Best Thing
Fast so gut wie im Kaffeehaus: Im Saal der Blut- und Plasmaspender liegen
und Zeitung lesen, bis die Prozedur beendet ist.
Spaziergänge an der Berliner S-Bahn: Laufen entlang des Ringes
In der Pandemie braucht man Umwege und neue Blickwinkel. Dabei helfen
Spaziergänge entlang des S-Bahn-Ringes durch Kleingärten und kleine und
große Straßen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.