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# taz.de -- Historiker zu Frauen im KZ Ravensbrück: „Nur der Körper ist noc…
> Der Historiker Henning Fischer forscht über die Frauen im
> Konzentrationslager Ravensbrück. Und über den Weg kommunistischer
> Häftlinge in Ost und West nach 1945.
Bild: Vor 72 Jahren wurde das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück befreit
taz: Herr Fischer, vor 72 Jahren, am 30. April 1945, wurde das
[1][Konzentrationslager Ravensbrück] durch die Rote Armee befreit. Was war
das Besondere an diesem Lager?
Henning Fischer: Ravensbrück war das größte Frauenkonzentrationslager
während des Nationalsozialismus. Zwischen 1939 und 1945 waren hier 130.000
Frauen und 20.000 Männer inhaftiert, etwa 30.000 von ihnen wurden ermordet.
In Ravensbrück wurden auch die Aufseherinnen der Konzentrationslager
zentral ausgebildet. In der Nähe des Lagers befand sich das sogenannte
Jugendschutzlager Uckermark. Es war ein Konzentrationslager für Mädchen und
junge Frauen, die als „asozial“ verfolgt wurden. Ab dem Januar 1945 wurden
dort mehrere Tausend Häftlinge aus Ravensbrück ermordet.
Welche Aspekte der Lagergeschichte haben Sie vor allem beschäftigt?
Die Erinnerung an das Lager Ravensbrück und an die dort inhaftierten Frauen
und Kinder stand lange im Schatten von Lagern wie Buchenwald oder Dachau
und der männlichen Häftlinge. Aus diesem Schatten sollte die Geschichte der
„Ravensbrückerinnen“ herausgerückt werden – und zwar auch bezüglich der
Jahrzehnte nach 1945, in der die Überlebenden politisch vielfältig aktiv
waren und dabei insbesondere in der BRD lange Zeit auf Ablehnung, Ignoranz
und Feindschaft durch Gesellschaft und staatliche Einrichtungen stießen.
Wie waren die spezifischen Erfahrungen als Frauen im Lager?
Bei der Aufnahmeprozedur mussten sie sich entkleiden, ihnen wurden die
Haare abrasiert und sie waren der Begutachtung von SS-Ärzten ausgesetzt.
Die Lagerregeln waren darauf ausgelegt, die Persönlichkeit und ihre
weiblichen Anteile zu zerstören. Die Häftlinge waren unterernährt und bei
vielen blieb die Menstruation aus. Gleichzeitig wurden sie durch die
ständige Drohung von sexueller Gewalt sexualisiert. Auch wenn ihr Körper
noch so entstellt war, war er doch einer der wenigen Erinnerungen an das
Leben vor dem Lager.
Wie meinen Sie das?
Der Körper ist noch da, im Gegensatz zu allem anderen, was dir genommen
wurde. Die Frauen versuchten, Zeichen von Weiblichkeit an ihren Körpern
wiederherzustellen. Um nicht als alt aussortiert zu werden, schwärzten sich
manche von ihnen die Haare mit Ruß. Einige sprachen den Aufseherinnen ihre
Weiblichkeit ab, sie sahen sie als Bestien an. Dadurch, dass sie ihnen das
Frausein absprachen, konnten sie das eigene erhalten.
Sie beschäftigen sich besonders mit der Stellung der Kommunistinnen im
Lager. Wodurch zeichnete sie sich aus?
KPD-Kommunistinnen hatten Vorteile, weil sie im Lager eine Gemeinschaft
bilden konnten, in der sie sich gegenseitig unterstützten. Gleichzeitig
grenzten sie sich scharf von anderen Häftlingen ab, auch von
Trotzkistinnen, die nicht auf Parteilinie waren. Als Funktionshäftlinge
waren sie Teil der sogenannten Häftlingsselbstverwaltung. Aus dieser
bessergestellten Position heraus waren sie in der Lage, klandestine
Netzwerke zu bilden und Widerstand zu leisten, aber aufgrund der
Zwangssituation und des Terrorsystems der Lager gerieten sie so
gleichzeitig in gefährliche Nähe zur Mordmaschinerie der SS.
Wurde das den Insassinnen später angelastet?
Das Wissen, das die Kommunistinnen in ihren Positionen über das Lager
erlangten, konnten sie nach 1945 dokumentarisch und juristisch nutzen,
gleichzeitig konnte es aber auch eine Gefahr darstellen, weil ihnen
unterstellt wurde, der SS zu nahe gestanden zu haben. Maria Wiedmaier, die
als Vorarbeiterin in der Schneiderei in Ravensbrück gearbeitet und nach
eigenen Angaben als eine Art Betriebsrätin im Lager agierte, wurde von der
SED beschuldigt, mit der SS kollaboriert zu haben.
Haben die Kommunistinnen unter ihrer „Privilegierung“ auch gelitten?
Von vielen Überlebenden, unabhängig von ihrer weltanschaulichen Prägung,
ist überliefert, dass sie sich schuldig fühlten, weil sie überlebt hatten,
während so viele andere starben. Bei vielen Kommunistinnen scheinen solche
Gefühle abgemildert gewesen zu sein, weil sie sich sagen konnten, mit
vielen anderen einen richtigen Kampf gekämpft und zusammen Opfer für die
politische Sache gebracht zu haben.
Wie erlebten sie die Zeit nach der Haft?
Um die emotionalen, körperlichen und psychischen Schäden der Lagerzeit
auszugleichen, brechen die Frauen sofort in Aktivität aus: Sie gehen in die
Partei, in Arbeitsausschüsse und fangen als selbsttherapeutische Tätigkeit
an, ihre Erinnerungen aufzuschreiben. In den Westzonen verschaffte das
Kontakthalten zu den Kameradinnen aus dem Lager ein bisschen Halt. Außer
den Kommunistinnen wollten nur wenige etwas von ihren Erfahrungen hören
oder darüber reden. Als im Westen die Sozialdemokrat_innen und
Kommunist_innen aus den Ämtern gedrängt werden und die Nazis und
Mitläufer_innen zurückkommen, beginnt der Kampf um Entschädigungszahlungen.
Für Frauen ist das besonders hart, weil ihr Körper ständig von Amtsärzten
als Beweismittel begutachtet wird und ihnen ihre Traumata aberkannt werden.
Wann beginnt die Geschichte der Lagergemeinschaft?
Im Jahr 1947 gründen die Überlebenden in Berlin das Ravensbrück-Komitee.
Anlass für die Gründung waren die Prozesse gegen die Täter_innen von
Ravensbrück, bei denen die Überlebenden ausgesagt und sich an den
Ermittlungen beteiligt haben. Mit der Trennung in BRD und DDR 1949 entsteht
die DDR-Lagergemeinschaft. Im Westen ist erst einmal 20 Jahre lang wenig
möglich, weil die Frauen sich aufgrund der antikommunistischen Stimmung,
der Kindererziehung und ihrer Berufstätigkeit nicht rühren können.
Was waren die Erfahrungen der Lagermeinschaft in der DDR?
Den Frauen war als kämpferische Antifaschistinnen und Parteimitglieder ein
Platz im Apparat und in der Repräsentation der Geschichte sicher. Der Kampf
im Lager galt als Teil der Niederlage des Nationalsozialismus und war Teil
des Gründungsmythos der DDR. Es gab aber auch Konflikte: Die Frauen haben
offen kritisiert, dass ihr Beitrag zum antifaschistischen Widerstand bei
Gedenkfeiern nicht präsent genug war. Eine Überlebende erklärte entgegen
der SED-Linie, dass sie im Lager gegen den Krieg gekämpft habe, nicht aber
für den Sozialismus. Seit Ende der fünfziger Jahre, als auch die
Gedenkstätte Ravensbrück gegründet wird, galt nur noch die Parteilinie.
Und in der BRD?
Die Frauen hatten in der antikommunistischen Hegemonie keinen Platz. Ihnen
wurde der Anspruch auf Entschädigung verwehrt, weil ihnen vorgeworfen
wurde, dass sie die Verfassung bekämpften. Teilweise mussten sie bereits
erhaltene Entschädigungsleistungen wieder zurückzuzahlen, weil sie sich
nach dem KPD-Verbot 1956 wieder kommunistisch betätigt hatten. Erst ab 1966
können sie sich als Teil der neuen sozialen Bewegungen als
Lagergemeinschaft wieder zusammentun. Sie geben ihren revolutionären
Anspruch auf und legen ihren Schwerpunkt auf die NS-Erinnerung und das „Nie
wieder!“.
Wie sind sie politisch aktiv?
Sie organisieren Veranstaltungen, geben Interviews, demonstrieren und
beginnen in Schulen zu gehen, um über ihre Erlebnisse zu berichten. In den
achtziger Jahren sind sie Teil der Erinnerungsbewegung, als sie sich für
öffentliche Gedenksteine und -tafeln einsetzen. Im Jahr 1991 vereinigen
sich die beiden deutschen Lagergemeinschaften und sprechen sich für eine
antifaschistische Mobilisierung gegen die Welle rechtsextremer Anschläge
aus.
Was war die gemeinsame Haltung der Frauen?
Sie waren aktive Subjekte ihres eigenen Lebens und korrigieren so die
Vorstellung von passiven und bemitleidenswerten Opfern oder Überlebenden,
die nur auf ihre Traumaerfahrungen reduziert werden. Bis 1945 konnten sie
auch deswegen durchhalten, weil sie an den Kommunismus glauben konnten,
nach 1945 half ihnen bei der Bearbeitung ihrer Traumata, dass es ihn
weiterhin gab.
29 Apr 2017
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Zoe Sona
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