# taz.de -- Jugend KZ Uckermark: Gedenken ist Handarbeit | |
> Jährlich organisiert die Initiative „Gedenkort ehemaliges KZ Uckermark | |
> e.V.“ Bau- und Begegnungstage und setzt sich für ein würdiges Gedenken | |
> ein. | |
Bild: Gedenkstein für die Opfer des Jugend KZs in der Uckermark | |
Uckermark taz | Im Brandenburger Hinterland in einem Wald unweit von | |
Fürstenberg an der Havel läuft über eine Bluetooth-Box der 2000er Hit | |
„Daylight in Your Eyes“. Steine werden zur Musik von No Angles von einer | |
Menschengruppe bemalt, die zwischen Handschuhen, Pinsel und Werkzeugen am | |
Wegesrand sitzt. Bereits rot bemalte Steine markieren einen Weg. Die | |
Steine, ein mit blauer Farbe auf den Teer gesprühter Wegweiser und Schilder | |
mit der Aufschrift „Zugang Erwünscht“ verweisen am Rande des Kopenhagen | |
Radwegs auf das ehemalige Jugendkonzentrationslager Uckermark. | |
„Wir nennen es verleugnetes Lager“, erklärt Jascha Bertram (Name von der | |
Redaktion geändert) während sie eine drei Meter hohe Holzkonstruktion mit | |
Lack bestreicht. Diese Verleugnung liege laut Bertram an den Gründen, | |
[1][weshalb die Menschen im Jugendkonzentrationslager Uckermark im NS | |
inhaftiert waren]. Die von den Nazis als „Asoziale“, „Kriminelle“ und | |
„Berufsverbrecher“ Verfolgten wurden lange nicht als Opfergruppe anerkannt | |
und nach Kriegsende herrschte in der Gesamtgesellschaft häufig die | |
Auffassung, dass sie zu Recht eingesperrt worden seien. „Die Ausgrenzung | |
ging also weiter. Auch später hatten die Menschen einfach keine Lobby. Es | |
waren viele Menschen in dem Lager, die erwerbslos waren, wohnungslos, krank | |
und arm. Die haben auch heute keine Lobby“, fasst Jascha Bertram zusammen. | |
Sie ist seit 2005 bei der Initiative für einen Gedenkort ehemaliges KZ | |
Uckermark e. V., die zum Ziel hat, einen würdigen Gedenkort an das | |
Jugendkonzentrationslager und den späteren Vernichtungsort Uckermark zu | |
schaffen. 1997 wurden dafür die ersten antifaschistischen und | |
feministischen Bau- und Begegnungstage abgehalten. Seit 2001 finden sie | |
jährlich mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten statt. Auch | |
dieses Jahr kamen FLINTA (Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, | |
trans und agender Personen) aus ganz Deutschland und Österreich vom 19. bis | |
28. August auf dem Gelände des ehemaligen KZs zusammen, um den Gedenkort zu | |
pflegen, instand zu halten und weiterzuentwickeln. „Die praktische Arbeit | |
am Ort und die gleichzeitige Auseinandersetzung damit, was das für ein Ort | |
war und welche Menschen hier inhaftiert waren, wird kombiniert“, so | |
Bertram. | |
## Genderspezifische Verfolgung im NS | |
Ab 1942 haben die Nazis Mädchen und junge Frauen im Alter von 16 bis 21 | |
Jahren in das Konzentrationslager, das sich in unmittelbarer Nähe des | |
Frauenkonzentrationslagers [2][Ravensbrück] befand, gebracht. Bis 1945 | |
waren ungefähr 1.200 Mädchen und junge Frauen unter verheerenden | |
Bedingungen inhaftiert, sie wurden gequält und mussten Zwangsarbeit | |
verrichten. Die im Nationalsozialismus als „Jugendschutzlager“ bezeichneten | |
KZs für Jugendliche, standen im engen Zusammenhang mit den sogenannten | |
Fürsorgeeinrichtungen. Von dort wurden vermeintlich „unerziehbare“ | |
Jugendliche teilweise direkt ins Lager gebracht. „Die sogenannte sexuelle | |
oder sittliche Verwahrlosung hat nur Frauen beziehungsweise Frauen* | |
betroffen, auch überwiegend junge Frauen. Das gab es für Männer nicht.“ So | |
leitet Jascha Bertram den feministischen Fokus der Bautage und der | |
Initiative aus der genderspezifischen Verfolgung ab, von der der Gedenkort | |
zeugt. | |
„Es geht darum, dass das, was die Initiative geschaffen hat nicht wieder | |
komplett überwuchert wird. Deswegen haben wir viel wieder freigelegt und | |
den historischen Ort gepflegt“, sagt eine Teilnehmer*in, die zum ersten Mal | |
bei den Bautagen mitmacht. Einer der mit Steinen markierten Wege führt | |
mitten im Wald, an einem Hochsitz vorbei zur Havel. | |
Dort hat die Initiative in einer Bucht ein Schild aufgestellt mit einem | |
Zitat der Überlebenden Maria Potrzeba: „Die Natur hat alles zuwachsen | |
lassen; ich fand nur noch den Steg wo Siemens die Schiffe an der Havel | |
beladen hat.“ Ob sich der Steg dort befand, wo das Schild steht, weiß die | |
Initiative nicht. Der Ort sei dennoch eine sinnvolle Stelle, um mit dem | |
Boot zum Gedenkort zu gelangen. Ab und zu fährt zwar ein Motorboot vorbei, | |
aber keins von ihnen hält an. | |
[3][Das ehemalige KZ Gelände scheint sich ewig zu erstrecken.] An manchen | |
Stellen verweisen rot angemalte Pfähle in der Erde darauf, was dort, wo | |
heute Sträucher und Bäume wachsen, einmal war. An anderen gibt es Tafeln | |
mit Informationstexten und den Geschichten der Überlebenden. | |
## Offenes Gedenken | |
„Wir wissen jetzt mehr, oder wir denken, dass wir jetzt mehr wissen“, sagt | |
Jascha Bertram, wenn man sie fragt, wie sich die Arbeit der Initiative über | |
die Jahre verändert hat. Es habe viele Diskussionen darüber gegeben, wie | |
das Gelände gestaltet werden sollte „ohne, dass wir jedes Mal, wenn wir ein | |
neues Zitat oder eine neue Information finden, ein Schild machen und dann | |
irgendwann einen Schilderwald stehen haben.“ | |
Das Gedenken offen zu gestalten, macht die Arbeit des selbst organisierten | |
Netzwerkes aus. Dadurch unterscheidet sich der Gedenkort in der Uckermark | |
von institutionalisierten Gedenkstätten. | |
Das Konzept des „offenen Gedenkens“ illustriert Bertram, die mal lackiert, | |
mal Werkzeuge einsammelt, an einer Anekdote. „Kürzlich war eine | |
Jugendgruppe da, die vorher in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück war. | |
Eine Person aus der Gruppe war schon völlig gesättigt von den ganzen | |
Informationen. Die Person hat dann hier ein Schild repariert und noch ein | |
bisschen Grünzeug weggemacht. Das war eine Art sich dem Ort zu nähern.“ | |
Es wird geklatscht und gejubelt als sich die gesamte Gruppe zum | |
Abschlussrundgang versammelt. Die einzelnen Projekte, an denen die | |
Teilnehmer*innen 10 Tage gearbeitet haben, werden vorgestellt. | |
Freigelegte Flächen, Wege und selbst gebaute Drahtfiguren werden | |
präsentiert. Dort, wo gerade ein Holzgestell steht, soll schon bald eine | |
mit Solar betriebene Soundbox eingelassen werden. Über den Inhalt müsse man | |
sich noch abstimmen, aber eine wasserdichte Lösung für ein Audioangebot | |
unter freiem Himmel haben die diesjährigen Teilnehmer*innen erst einmal | |
gefunden. | |
29 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Martha Blumenthaler | |
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