| # taz.de -- Aufarbeitung im Bundestag: Späte Anerkennung für Nazi-Opfer | |
| > Der Bundestag erkennt die von den Nazis als „Asoziale“ und | |
| > „Berufsverbrecher“ Verfolgten als Opfer des NS-Regimes an. Nur die AfD | |
| > enthält sich. | |
| Bild: Stacheldrahtzaun des früheren Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau | |
| Berlin taz | Der Bundestag bekennt sich. Am Donnerstagabend stimmten alle | |
| Fraktionen im Bundestag mit Ausnahme der AfD für die Anerkennung der von | |
| den Nazis als „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ Verfolgten als Opfer des | |
| Nationalsozialismus. 75 Jahre nach der Befreiung kommt die Anerkennung der | |
| Opfer dieses spezifischen NS-Unrechts nicht nur sehr spät, sondern, bei | |
| aller demokratischen Einigkeit, nicht ohne revisionistische Widerworte aus. | |
| „Niemand wurde zu Recht in einem Konzentrationslager inhaftiert, gequält | |
| oder ermordet“, heißt es im beschlossenen Antrag der Großen Koalition. Die | |
| lange Zeit ignorierten Opfer der Nazis sollen als solche anerkannt werden | |
| und stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt werden. Darüber hinaus | |
| sollen sie einen Platz im Gedenken an die nationalsozialistischen | |
| Verbrechen bekommen und entsprechende Ausstellungs- und Forschungsprojekte | |
| gefördert werden. | |
| Zudem steht Überlebenden nun eine Entschädigung zu, ihre Haftgründe sollen | |
| in die Liste des „Allgemeinen Kriegsfolgengesetz“ [1][aufgenommen werden.] | |
| „Es ist natürlich keine Sternstunde für unser Land, dass diese finanzielle | |
| und gesellschaftliche Anerkennung erst 75 Jahre nach Kriegsende erfolgt“, | |
| betonte Melanie Bernstein, Obfrau der Unionsfraktion für den zuständigen | |
| Kulturausschuss. Bernstein bedauerte, dass eine „übergroße Zahl der Opfer, | |
| die die Gewaltherrschaft der Nazis überlebt hat“, diese „späte | |
| Gerechtigkeit“ nicht mehr erleben könne. Opfer schwiegen oft bis zu ihrem | |
| Tod, auch aus Scham und wegen gesellschaftlicher Stigmata. Dennoch sei | |
| dieser Beschluss wichtig. Bernstein begrüßte die Einigkeit aller Fraktionen | |
| außer der AfD beim Thema. | |
| ## Erst arbeitslos, dann wohnungslos, später ermordet | |
| An das Schicksal Karl Otto Mielkes erinnerte die Abgeordnete Marianne | |
| Schieder (SPD). Mielke verlor in den 1930ern seine Wohnung und seine | |
| Arbeitsstelle, galt für die Nazis nunmehr als „asozial“ und „arbeitssche… | |
| und wurde verfolgt. Später wurde er wegen des nationalsozialistischen | |
| Straftatbestands des „Bummelns“ von den Nazis verurteilt und im | |
| Konzentrationslager Sachsenhausen ermordet. Ein Stolperstein am | |
| Alexanderplatz, vor einem ehemaligen Restaurant, welches von vielen | |
| Wohnungslosen besucht worden sei, erinnert heute an Mielke. Die „Schrecken | |
| des Nationalsozialismus“ dürften sich „nie wiederholen“, so Schieder, | |
| weswegen die Erinnerung an alle Opfer so wichtig sei. „Alle müssen wir sie | |
| zu ihrem Recht kommen lassen“, betonte sie. | |
| Das sehen nicht alle im Bundestag so. Gegen eine „theatralisch zur Schau | |
| gestellte Betroffenheit“ wütete Marc Jongen. Der AfD-Abgeordnete verwies | |
| auf diejenigen Häftlinge, die von den Nazis als sogenannte | |
| Funktionshäftlinge eingesetzt und ausgenutzt wurden, die also als „Kapos“ | |
| über andere Häftlinge wachen und bestimmen konnten. Diese hätte es unter | |
| den „Berufsverbrechern“ häufiger gegeben, weswegen eine „pauschale | |
| Anerkennung als Opfergruppe“ für ihn ein „Ding der Unmöglichkeit“ sei. … | |
| AfD-Fraktion enthielt sich entsprechend bei der Abstimmung. | |
| „Wir verwahren uns gegen den Versuch der AfD, KZ-Opfer erster und zweiter | |
| Klasse zu schaffen“, hielt Petra Pau (Die Linke) dem entgegen. Auch Erhard | |
| Grundl (Grüne), der die Initiative zur Anerkennung als Opfergruppe in den | |
| Bundestag eingebracht hat, widersprach der AfD vehement. Grundl betonte, | |
| dass niemand zu Recht in einem Konzentrationslager saß. „Wer hier ein Aber | |
| hinterherschickt, der zeigt dadurch nur eins: dass er letztendlich der | |
| Logik der Täter näher steht als den Opfern“, so der Grüne. | |
| ## Interfraktioneller Antrag scheiterte an Union | |
| „Statt ein Zeichen der Solidarität und des Gemeinsinns im Sinne der Opfer | |
| zu setzen, wurden Parteigrenzen, insbesondere innerhalb der Großen | |
| Koalition, anscheinend für wichtiger erachtet“, merkte Hartmut Ebbing (FDP) | |
| an und sprach hierbei auf den gescheiterten Versuch an, einen gemeinsamen | |
| Antrag von Union, SPD, Linken, Grünen und FDP in den Bundestag | |
| einzubringen. Die Fraktionen waren sich zwar inhaltlich weitestgehend | |
| einig, ein interfraktioneller Antrag scheiterte aber vor allem an der | |
| Unionsfraktion, die keine gemeinsamen Anträge mit der Linken oder der AfD | |
| stellt. Ebbing zeigte sich deswegen „beschämt“. | |
| FDP, Linke und Grüne hatten eigene Anträge eingebracht. Die FDP-Fraktion | |
| stimmte dennoch für den Antrag der Regierungskoalition, genauso wie Grüne | |
| und Linke. Bei einem solchen Thema sei „parteipolitische Profilierung“ | |
| unangebracht, so Petra Pau. | |
| Die Debatte zur Anerkennung der beiden Opfergruppen wurde maßgeblich | |
| vorangetrieben durch eine von über 21.000 Menschen unterzeichnete und | |
| politisch breit unterstützte Petition. Frank Nonnenmacher, Neffe eines | |
| entsprechenden KZ-Überlebenden und einer der fünf Initiator*innen des | |
| Appells, begrüßte den Bundestagsbeschluss anschließend im Gespräch mit der | |
| taz und zeigte sich erfreut über diese „Wende in der Erinnerungskultur“. | |
| Dennoch gebe es hinsichtlich möglicher Gedenkstätten und Erinnerungsorte | |
| noch offene Fragen, so Nonnenmacher. Der emeritierte Professor für | |
| politische Bildung bedauert zudem, dass etwa die Opfer des | |
| „Polenstrafrechts“, ein diskriminierendes Sondergesetz gegen Pol*innen, in | |
| dem Beschluss keine Beachtung finden. Zudem gebe es im öffentlichen Diskurs | |
| nicht einmal einen „nicht diskriminierenden Namen“ für die Opfer. Die von | |
| den Nazis geprägten Bezeichnungen „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ si… | |
| mangels Alternative weiterhin in Gebrauch, wenn auch in Anführungsstrichen. | |
| 14 Feb 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Opfer-des-Nationalsozialismus/!5659789 | |
| ## AUTOREN | |
| Kevin Culina | |
| ## TAGS | |
| NS-Verfolgte | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Bundestag | |
| Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
| Die Linke | |
| Obdachlosigkeit | |
| CDU/CSU | |
| NS-Gedenken | |
| Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg | |
| NS-Verfolgte | |
| NS-Verfolgte | |
| Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
| NS-Opfer | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Jugend KZ Uckermark: Gedenken ist Handarbeit | |
| Jährlich organisiert die Initiative „Gedenkort ehemaliges KZ Uckermark | |
| e.V.“ Bau- und Begegnungstage und setzt sich für ein würdiges Gedenken ein. | |
| Opfer des NS-Regime: Eine Stimme für die Vergessenen | |
| Ernst Nonnenmacher verbrachte drei Jahre als „Asozialer“ in KZs. Jetzt | |
| gründet sein Neffe einen Verein, um an die vergessenen Opfer zu erinnern. | |
| Forscherin über NS-Polizeirecht: „Terror folgte einem Reglement“ | |
| Ein Bremer Polizeichef sorgte für die Rechtsgrundlage, Menschen ohne Urteil | |
| ins KZ zu sperren. Nach dem Krieg machte er weiter Karriere. | |
| Anerkennung für NS-Opfergruppen: Ein Hauch von Aber | |
| Wer von den Nazis als „Asozialer“ und „Berufsverbrecher“ in KZs gequält | |
| wurde, soll als Opfer anerkannt werden. | |
| Opfer des Nationalsozialismus: Nicht länger „asozial“ | |
| Der Bundestag will die Anerkennung der „Asozialen“ und „Berufsverbrecher�… | |
| als NS-Opfer beschließen. 75 Jahre nach der Befreiung. | |
| Anerkennung von vergessenen NS-Opfern: Zwangsumsiedlung ins Familien-KZ | |
| „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ werden bislang nicht offiziell als Op… | |
| des Nationalsozialismus anerkannt. Das soll sich ändern. |